Im Wiener Siemens-Werk schanzen sich die Roboter die Arbeit zu
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Im Wiener Siemenswerk SIMEA forschen Vladimir Zahorcak und seine Kollegen an der Fabrik der Zukunft. Der Leiter des CPPS-Forschungsprojekts bei Siemens Corporate Technologie (CT) beugt sich vor und spricht in einen handelsüblichen Amazon Echo: „Alexa, triggere den Selbsttest.“ Sodann testet sich die Anlage auf etwaige Fehler und erklärt kurz darauf per Sprachausgabe, dass sie bereit für die Produktion ist. Als Zahorcak daraufhin den Befehl zum Start der Produktion gibt, machen sich die Maschinen an die Arbeit.
Im aktuellen Prototyp sind mehrere Produktionsmodule im Einsatz: Unter anderem ein selbstfahrender Roboter inklusive Förderband auf der Oberseite, ein Kuka-Roboterarm mit Assemblierungs- und Transport-Skills und ein Roboter, der Geräte zusammenschrauben kann. Das Ziel ist, dass diese Maschinen sich selbst steuern und koordinieren, um das gewünschte Produkt zu fertigen.
Dafür müssen verschiedene Voraussetzungen gegeben sein: Unter anderem müssen die Geräte miteinander kommunizieren und Anweisungen bekommen, was sie überhaupt tun sollen. Diese besagte Anweisung kommt dann nicht von einem Menschen, sondern vom Produkt selbst, das den Maschinen seinen Bauplan mitteilt – dazu dient ein „digitaler Zwilling“ des Produkts, also ein digitales Abbild, aus dem die Roboter die Informationen herauslesen können.
„Die Produktionsmaschinen selbst wissen voneinander, welche Skills sie haben, also wozu sie jeweils fähig sind“, sagt Zahorcak. So können sie sich gegenseitig die Aufgaben zuschanzen, die sie erledigen können: Der Greifarm kann das Produkt von A nach B heben, aber Schrauben eindrehen kann er nicht – dafür gibt er das Produktionsteil zum Schraub-Roboter.
Masse der Individuen
Wozu werden derartige Prozesse benötigt? Die Antwort auf diese Frage lautet „Mass Customization“: In großen Mengen kann für jeden einzelnen Kunden ein für ihn maßgeschneidertes Produkt produziert werden. Das ist einerseits interessant, wenn B2B-Kunden beim Siemenswerk in Wien Stromversorgungen für Industriesteuerungen bestellen – viel spannender ist es aber wohl noch bei Produkten für den Endkunden, wenn Kunden sich zum Beispiel einen eigenen Turnschuh mit individuellem Schriftzug zusammenstellen. „Das Ziel ist es, komplett individuell gestaltbare Produkte – wie zum Beispiel Turnschuhe – automatisch zu produzieren, ohne die Konfiguration der Anlage jedes Mal aufwändig ändern zu müssen“, nennt Zahorcak eines von vielen künftigen Anwendungsbeispielen.
Auf dem Weg dahin denken sich die Experten immer wieder neue Dinge aus. So ist es etwa für den Menschen unangenehm, wenn die Maschinen miteinander kommunizieren, ohne dass der Mitarbeiter das Gespräch und die Entscheidungen der Maschinen mitverfolgen kann. Dementsprechend wird die Kommunikation nun auf einem Bildschirm protokolliert. „Das ist quasi wie ein Twitter für unsere Produktionsmaschinen“, sagt Zahorcak.
Noch in diesem Jahr wird mit dem Test von Blockchain-Technologie begonnen, um zum Beispiel gegen Produktpiraterie vorzugehen und via Smart Contracts das Lieferantenmanagement effizienter zu gestalten. Und schließlich sollen die gesammelten Daten auch dazu dienen, via Machine Learning die Produktion zu optimieren.
Einsatz noch in diesem Jahr
Stefan Petsch, Leiter des SIMEA-Werks in Wien, berichtet, dass erste Ergebnisse aus Zahorcaks Forschungsergebnisse zur selbststeuernden Fabrik noch 2019 auch in der regulären Fertigung realisiert werden. Mit der Standardisierung von Produkten und Prozessen hat man hier weniger ein Problem, weil einfach die konzerneigenen Standards verwendet werden.
Aktuelle Produktentwicklungen bekommen bereits einen digitalen Zwilling, also eine virtuelle Hinterlegung der jeweiligen Baupläne. Der Plan ist somit laut Petsch, dass schrittweise die sich selbst koordinierenden Produktionsmodule in der Halle Einzug finden und damit Flexibilität und Produktivität im Werk erhöhen.
Die Steuerung per Alexa läuft derzeit noch über die Amazon Cloud, wie Zahorcak auf Anfrage der futurezone bestätigt: Für eine breitere Anwendung wird Siemens aber wohl auf die eigene Cloud-Lösung MindSphere setzen. Aber immerhin, das demonstriert Zahorcak abschließend: Auch in der Fabrik kann Alexa auf Anfrage ihre grottenschlechten Witze erzählen.
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