Wie mehrjähriger Weizen die Landwirtschaft verändern könnte
Vor etwa 10.000 Jahren begannen die Menschen Weizen anzubauen. Seitdem wird er durch Zucht laufend verbessert, sodass er möglichst viel Ertrag bringt, resistent gegen Krankheiten ist und Dürren sowie regenreichen Zeiten standhält. Eine Eigenschaft hat sich allerdings die gesamte Zeit gehalten: Weizen ist eine einjährige Pflanze, die jedes Jahr von Neuem gepflanzt werden muss.
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Mehrjährige Pflanzen sind besser für die Umwelt
Das belastet die Umwelt, denn das Pflügen verändert das Mikrobiom in den obersten Schichten des Bodens. Außerdem wird gespeichertes CO2 freigesetzt, sagt Kristina Michl vom Institut für Umweltbiotechnologie der TU Graz.
Die Forscherin hat daher untersucht, welche Wirkung mehrjähriger Weizen, der nach einmaligem Säen jedes Jahr nachwächst, auf das Mikrobiom im Boden und in der Pflanze hat. Das Projekt unter der Leitung von Tomislav Cernava wurde vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert und war Teil der EU-weiten Biodiversa-Projektinitiative.
Mikrobiom kennt man vielleicht in Zusammenhang mit der Darmflora. Es beschreibt die Zusammensetzung der verschiedenen Mikroorganismen (z. B. Bakterien) im Verdauungstrakt. “Doch auch jede Pflanze und jeder Boden ist von Mikroorganismen besiedelt”, sagt Michl zur futurezone. Und diese Mikroorganismen haben besondere Eigenschaften, von denen die Pflanzen profitieren. Sie fixieren etwa Stickstoff im Boden, den die Pflanze als Dünger braucht. Somit muss weniger nachgedüngt werden.
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Zudem verdrängen die Mikroorganismen Bakterien und Pilze, die der Pflanze schaden können. “Im Idealfall werden somit Pestizide überflüssig”, sagt Michl. Es gilt: je vielfältiger das Mikrobiom im Boden und an den Wurzeln ist, desto besser für die Pflanze.
Weizengras als Hoffnungsträger
Im Vergleich zum einjährigen Weizen ist das Mikrobiom bei mehrjährigem Weizen - auch als Weizengras, Graugrüne Quecke oder unter dem Markennamen Kernza bekannt - deutlich vielfältiger. Das zeigte sich auf Versuchsfeldern in Frankreich, Belgien und Schweden. In Österreich wird noch kein mehrjähriger Weizen angebaut. Kommerzielle Felder gibt es in Europa noch nicht, denn Nahrungsmittel aus dem mehrjährigen Weizen sind - anders als in den USA - derzeit nicht zugelassen. Nur Bier und Whisky auf Kernza-Basis wird in Europa bereits verkauft.
Bei dem Weizengras handelt es sich um eine relativ junge Züchtung, die vor rund 40 Jahren in den USA entwickelt wurde. Zuvor wurde die Pflanze als reines Futtergras für Vieh angebaut. In den 2000er-Jahren trieb die Non-Profit-Organisation "The Land Institute" die Zucht weiter voran, 2019 kam die erste Sorte unter dem Namen Kernza auf den Markt.
Die Weizenalternative gilt als besonders umwelt- und klimafreundlich. Sie verbessert durch ihr Mikrobiom nicht nur den Boden, ihre Wurzeln reichen auch bis zu 3 Meter tief ins Erdreich hinein und lockern es dadurch auf, wodurch Wasser viel besser aufgenommen werden kann. Das trägt zum Hochwasserschutz bei. Gleichzeitig kann die Pflanze durch ihre tiefen Wurzeln Dürreperioden besser überstehen. Auch oberhalb der Erdoberfläche trägt die Pflanze zur Biodiversität bei, etwa als Brutstätte für Vögel.
Noch wenig Ertrag
Der Nachteil: Der Ertrag ist im Vergleich zum einjährigen Weizen noch sehr gering, er liegt nur bei rund 20 Prozent. Zudem fällt der Ertrag nach etwa 3 Jahren deutlich ab. “Man muss allerdings beachten, dass einjähriger Weizen eine 10.000-jährige Zuchtgeschichte hinter sich hat”, sagt Michl. In 30 bis 50 Jahren soll sich der Ertrag dem des einjährigen Weizens angleichen. “In China wird bereits mehrjähriger Reis gezüchtet, der einen ähnlichen Ertrag hat wie der einjährige Reis - wenn es dort möglich ist, ist es meiner Meinung auch beim Weizen möglich”, so Michl.
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Forscher aus Dänemark schätzen, dass durch den Einsatz von mehrjährigem Weizen 10 Prozent des CO2-Ausstoßes in der Landwirtschaft eingespart werden kann. Dazu müssten allerdings 30 Prozent des Weizens durch Weizengras ersetzt werden.
Boden für andere Pflanzen revitalisieren
Dass in Zukunft einjähriger durch den mehrjährigen Weizen ersetzt wird, sieht Michl nicht: “Eine Idee wäre, ihn in eine Fruchtfolge zu integrieren, für 3 bis 5 Jahre. So wird der Boden für die nächste Pflanze revitalisiert.” Auch für die Produktion von Biogas würde sich der mehrjährige Weizen eignen, weil er viel Biomasse produziert. Österreich würde sich für den Anbau von mehrjährigem Weizen gut eignen, denn die Pflanze braucht kalte Winter, damit sie im Frühjahr wieder Blüten bilden kann.
Bis dahin sind laut Michl allerdings noch einige Fragen offen: “Es laufen viele Versuche - etwa, wie dicht man die Samen sät oder ob man ein Beikraut wie Alfalfa einsetzt. Doch die brauchen Zeit, weil man die Ergebnisse meist erst nach mehreren Jahren sieht.”
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