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Science

Künstlicher Nerv zur Behandlung schwerer Nervenverletzungen

Beim schnellen Bergabfahren der Waldroute verliert der Radfahrer durch den Wechsel von Licht und Schatten sein Gleichgewicht und stürzt. Er landet auf seiner Hand.

Im Laufe der nächsten Tage wird sie taub – ein Hinweis auf eine periphere Nervenverletzung. Das ist eine Nervenverletzung außerhalb des Gehirns und kann generell durch stumpfe oder scharfe Gewalteinwirkung entstehen. Sie kann die Lebensqualität von Betroffenen stark einschränken und unter anderem zum Verlust der motorischen und sensorischen Funktionen führen. 

Je nach Ausmaß der Verletzung kann sich der betroffene Nerv von selbst regenerieren. Dabei bilden sogenannte Schwann-Zellen zwischen den durchtrennten Nervenenden längs verlaufende Zellbahnen, um die Verbindung wiederherzustellen. Diese Zellbahnen werden als „Büngner-Bänder“ bezeichnet.

Sie entstehen durch die längliche Ausrichtung der Schwann-Zellen. Die Büngner-Bänder werden vom  Fortsatz der Nervenzelle (Axon) genutzt, um von einer Seite des Defekts auf die andere nachzuwachsen. Das ist wichtig, damit das Axon aufgenommene Reize in der Nervenzelle wieder weiterleiten kann. 

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Transplantat notwendig

Ist eine Verletzung so akut, dass sich der Nerv nicht von selbst regenerieren kann, braucht es hingegen ein Nerventransplantat aus dem eigenen Körper. Dabei wird ein gesunder Nerv geopfert, um die Funktion des verletzten Nervs wiederherzustellen. Um in Zukunft nicht mehr von Spender-Nerven Gebrauch machen zu müssen, will ein Forschungsteam der FH Technikum Wien künstliche Nerventransplantate herstellen. Diese sollen laut der Forscherin Carina Hromada den natürlichen Regenerierungsprozess einer Nervenverletzung im Körper nachahmen.  

Entwickelt wurde der sogenannte MagneTissue-Bioreaktor, mit dem die Büngner-Bänder in-vitro nachgestellt werden. Dafür werden Schwann-Zellen, die Ratten aus dem Ischiasnerv entnommen werden, in   Proteinhydrogele eingebettet und auf eine spezielle Halterung aufgebracht. Am unteren Ende ist diese mit einem Magneten ausgestattet.

Der MagneTissue-Bioreaktor mit kultivierten Schwann-Zellen

„Dieser tritt dann in Wechselwirkung mit einem externen motorgesteuerten Magneten. Dadurch erreicht man eine aktive Dehnung, wonach sich die Schwann-Zellen längs ausrichten“, sagt Hromada der futurezone. Diese innovative Ausrichtung der Schwann-Zellen durch aktive mechanische Stimulierung hat das Forschungsteam international patentieren lassen.

Impulse leiten

Das primäre Ziel ist es, die kultivierten Zellen als Behandlungsmethode bei Nervenverletzungen zum Einsatz zu bringen – als Alternative zu körpereigenen Transplantaten. Im Rahmen von Tests wolle das Team nun beobachten, ob das Auswachsen von Axonen entlang dieser künstlichen Büngner-Bänder möglich ist und ob sie Impulse an die andere Seite des Defekts leiten können. 

Ein zweites Anwendungsgebiet sei die Entwicklung eines künstlichen Nervs, der weiterverwendet werden kann, um regenerative Prozesse während Nervenverletzungen genauer zu erforschen. „Denn vieles ist noch unbekannt. Diese Prozesse wollen wir anhand eines In-vitro-Modells darstellen, wodurch keine unzähligen Tierversuche mehr erforderlich wären, um Medikamente zu testen“, sagt Hromada.

Patienteneigene Zellen

Aktuell basieren die verwendeten Schwann-Zellen auf Tiermodellen. Sie werden isoliert, in eine Kultur gebracht und vermehrt. Idealerweise müssen die Zellen aber vom Patient*innen entnommen werden. „Es gibt dabei die Möglichkeit, dass man den verletzten Nerv an den Enden anschneidet, die Schwann-Zellen isoliert und damit die Büngner-Bänder herstellt“, sagt sie. 

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Alternativ könnte man auch Stammzellen dafür verwenden. „Dabei kann man etwa Zellen von der Haut nehmen und auf embryonale Stammzellen zurückprogrammieren. Die lassen sich dann weiterdifferenzieren – auch in Schwann-Zellen“, erklärt die Wissenschafterin. Bis es jedoch so weit ist, bedürfe es ihr zufolge noch viel Arbeit und Optimierung. 

Testplattform für Arznei

„Wo wir in naher Zukunft vielmehr Potenzial sehen, ist die In-vitro-Testplattform, um beispielsweise Medikamente oder Regenerationsprozesse bei unterschiedlichen Nervenkrankheiten zu testen“, sagt sie. Dafür brauche es nämlich keine patienteneigenen Zellen: „Sobald das System steht, kann man damit starten.“

Bei den Nerventransplantaten selbst müsse die Regeneration hingegen erst an Tieren getestet werden. Ein  kritischer Schritt für die Entwicklung der künstlichen Büngner-Bänder sei es, diese Zellkonstrukte im Tiermodell bei Forschungspartnern anzuschauen und zu untersuchen, ob sich die Nervenregeneration damit positiv beeinflussen lässt. Diesen Grundsatzbeweis wolle man im nächsten Jahr erreicht haben.

Bis die künstlichen Transplantate dann in der Klinik zum Einsatz kommen können, würde es noch mindestens 5 Jahre dauern.

Neuronales Netzwerk hilft, Lage des Nervenkanals zu bestimmen

Bekommt ein*e Patient*in ein Zahnimplantat eingesetzt, müssen Zahnärzt*innen die genaue Lage des Nervenkanals im Unterkiefer kennen. Die bestimmen sie mithilfe von Röntgenbildern manuell. Denn nur so lässt sich die passende Größe und Position des Implantats ermitteln. Die Bestimmung dieser Lage ist auch für die Entfernung von Weisheitszähnen sowie für die Kieferchirurgie entscheidend. 

Die Bildanalyse nimmt allerdings viel Zeit in Anspruch. Um Zahnärzt*innen diese Arbeit künftig zu erleichtern und sie bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, hat das finnische Universitätskrankenhaus Tampere, gemeinsam mit dem Finnischen Zentrum für künstliche Intelligenz (FCAI) und dem Unternehmen Planmeca, ein neuronales Netzwerkmodell entwickelt. 

Hohe Präzision

Dieses kann die Lage des Nervenkanals anhand von 3D-Röntgenbildern automatisch bestimmen. Das neuronale Netzwerk wurde mit klinischen Daten aus diesen Bildern gefüttert und trainiert. Tests mit Patient*innendaten haben gezeigt, dass das Modell in der Lage ist, die Unterkieferkanäle schneller als ein Mensch und präziser als andere automatisierte Verfahren zu lokalisieren.

In nur einem bis 4 Prozent der Fälle könnten die Ergebnisse ungenau sein, heißt es. Mehr als die Lokalisierung der Lage soll das Modell aber nicht übernehmen. Die endgültigen Behandlungsentscheidungen treffen weiterhin Ärzt*innen.

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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