Um zu zeigen, dass nicht nur Ziegel, sondern auch komplexe Strukturen aus Cyanobakterien wachsen können, haben die Forscher ein Gewölbe mit Kammern entworfen

Um zu zeigen, dass nicht nur Ziegel, sondern auch komplexe Strukturen aus Cyanobakterien wachsen können, haben die Forscher ein Gewölbe mit Kammern entworfen

© University of Colorado Boulder

Science

Lebende Ziegelsteine saugen CO2 auf

Die Wände im Haus absorbieren Kohlendioxid aus der Luft und heilen sich bei Schäden selbst. Sie leben. Was nach einer Science-Fiction-Geschichte klingt, ist in Wahrheit Forschungsgegenstand des Teams rund um Wil Srubar von der University of Colorado Boulder.

Die Wissenschaftler haben Ziegelsteine entwickelt, die aus Bakterien bestehen. Angesicht des international ausgerufenen Klimanotstands eine willkommene und zwingende Innovation. Der neuartige Ziegel reinigt nämlich nicht nur die Luft, er kann auch die globalen CO2-Emissionen, die bei der Produktion von Zement und Ziegel ausgestoßen werden, reduzieren. Je nach Rechenweg und einbezogenen Produktionsprozessen betragen diese 4 bis 8 Prozent der globalen Emissionen. Der weltweite allgemeine Ausstoß von Kohlendioxid hat im Jahr 2018 einen Höchstwert von fast 37 Milliarden Tonnen erreicht.

Grüne Cyanobakterien

Die neuen Ziegel bestehen aus Cyanobakterien, die früher zur Familie der Blaualgen gezählt wurden. Im Gegensatz zu Algen haben sie jedoch keinen echten Zellkern, was sie zu Mikroben macht. Zum Leben brauchen sie Kohlendioxid, das sie aus der Luft filtern. „Unser Material besteht aus photosynthetischen Bakterien, die durch Sonnenlicht gedeihen – und zwar direkt während ihres Herstellungsprozesses“, sagt Forscher Srubar der futurezone und ergänzt: „Wir zeigen, dass für das Erzeugen nützlicher Baumaterialien verwendet werden kann und nicht nur ausgestoßen wird.“ Kohlenstoffneutrale und kohlenstoffspeichernde Materialien seien generell wesentlich, um die globalen CO2-Emissionen zu senken.

Wil Srubar und Studentin Sarah Williams

Die Mikroorganismen werden von den Forschern in ein Gemisch aus Gelatine und Sand gerührt und sorgfältig gepflegt. Erst wird die Gelatine in Wasser aufgelöst und gekühlt. Dabei entsteht eine spezielle Verbindung zwischen ihren Molekülen. „Nachdem wir die Materialien angefertigt haben, sind die Bakterien im Inneren eingekapselt und ruhen“, sagt der Forscher. Damit die grünen Mikroben wachsen, werden sie bestimmten präzisen Temperatur- und Feuchtigkeitswerten ausgesetzt.

„So können wir gezielt ihr Wachstum während der Herstellung kontrollieren“, sagt der Experte. Die Gelatine hilft ihnen, stärker und schneller zu wachsen und dabei Kalziumcarbonat auszuscheiden. Dieses mineralisiert die Gelatine. Mit Sand gepaart entsteht eine Art Beton, der stabil ist und großes Gewicht aushält.

Das Forscherteam hat festgestellt, dass 14 Prozent der Bakterien-Kolonien nach rund einem Monat noch leben. Zum Vergleich: In herkömmlichem Beton überlebt nur ein Prozent der Mikroorganismen. Gesundheitsprobleme für den Menschen sind laut Srubar extrem unwahrscheinlich.

Unfruchtbare Regionen

Das wohl Imposanteste an dem neuen Ziegel ist, dass er autonom weiterwächst, wenn er geteilt wird. Jede Hälfte wächst also zu einem neuen Ziegel heran und Schäden heilen von selbst. Srubar glaubt, dass das Material besonders für unfruchtbare Regionen mit Ressourcenknappheit geeignet ist, etwa Wüsten oder die Arktis. „Oder gar in menschlichen Ansiedlungen auf anderen Planeten“, sagt er.

Nun arbeitet das Forscherteam an der Weiterentwicklung und Optimierung der Baustoffformel, um mechanische Eigenschaften, Funktionsfähigkeit und Langlebigkeit zu maximieren. Auch andere lebende Organismen mit unterschiedlichen biologischen Funktionalitäten werden erforscht. Diese Bakterien und Co-Kulturen von Bakterien sollen unter anderem Gifte in der Luft „spüren“ und darauf reagieren und unter unterschiedlichen Lichtformen aufleuchten oder fluoreszieren können. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg – derzeit steckt die Forschung noch in Kinderschuhen. „Wir gehen davon aus, dass das Material in den kommenden 5 bis 10 Jahren kommerziell verfügbar sein wird“, sagt Srubar.

Ersatz für Styropor

Auch hierzulande tut sich im Bauwesen einiges. Unter anderem wurde ein Dämmstoffziegel aus umweltfreundlichem, auf Zement basierendem Mineralschaum entworfen, wodurch künftig Styropor ersetzt werden soll. Zur Entwicklung des Dämmstoffs im Ziegel hat die österreichische Wienerberger Gruppe mit der auf innovative Materialien und Technologien spezialisierten Interbran Gruppe eine strategische Partnerschaft geschlossen. „Ziel der Kooperation ist die gemeinsame Entwicklung neuartiger und nachhaltiger Materialien mit höchsten Dämmeigenschaften. Es sollen natürliche mineralische Dämmstoffe entwickelt werden, die brandsicher und wiederverwertbar sind“, sagt Aart Jan van der Meijden, CCO bei der Wienerberger AG

Der neue Mineralschaum des „Porotherm W.i“ wird mit einer Düse in die Ziegelhohlräume gespritzt. Neben der  Wärmedämmung bestehen die wesentlichen Vorteile aus Brandschutz aufgrund der nicht brennbaren Ausgangsstoffe und der verbesserten Recyclingfähigkeit. Der Einsatz des ökologischen Baumaterials ist schon absehbar: „Die mit den neuen mineralischen Dämmstoffen gefüllten Ziegel werden aus heutiger Sicht mit Beginn der Bausaison 2021 zur Verfügung stehen“, sagt der Experte. 

Ziegel mit Holzkern

Das deutsche Unternehmen Leipfinger Bader bietet Ähnliches an. Es befüllt seine Mauerziegel mit natürlichen Holzfasern. Dieser Dämmstoffkern soll besonders nachhaltig sein: „Da es sich hier um einen nachwachsenden Rohstoff handelt, werden natürliche Ressourcen geschont“, heißt es. Und: Kohlenstoffdioxid bleibt in den Holzfasern dauerhaft gebunden. Dieses Baumaterial trage somit ebenfalls zu einer positiven CO2-Bilanz bei.

Der US-Bauingenieur Henry Liu hat zudem Ziegel aus Asche entworfen. Die entsteht hauptsächlich in Wärmekraftwerken und Müllverbrennungsanlagen und wäre normalerweise Deponiemüll. Bei der Herstellung wird weniger Energie verwendet als bei herkömmlichen Ziegeln.

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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