Forscher lassen Österreichs Industriegebäude länger leben
6.000 Industriegebäude werden in Österreich nicht mehr genutzt – darunter Lager, Fabriken und Produktionsbetriebe. Sie stehen leer, weil sie zu klein geworden sind oder die Maschinen darin veraltet sind.
„Durch neue Trends und technologischen Fortschritt müssen sich Prozesse und Maschinen in der Logistik und Produktion oft verändern. Ein Gebäude muss sich stets daran anpassen können“, erklärt Julia Reisinger, Assistenzprofessorin an der TU Wien. Auch wenn die Planer*innen Ideen haben, was aus einem leeren Gebäude werden könnte, zeigen die Berechnungen oft, dass sich der Umbau finanziell nicht lohnt. Das FFG-geförderte Forschungsprojekt RE:STOCK INDUSTRY soll diese Verschwendung in Zukunft verhindern.
Gebäude länger nutzen
Die Bauwirtschaft verbraucht sehr viele Ressourcen. Gleichzeitig entsteht der Markt für Sekundärbauteile erst. Noch besser als Recycling wäre, die Bauteile direkt vor Ort weiterzuverwenden. „Beim Recycling wird zusätzlicher energetischer und transporttechnischer Aufwand benötigt, im Gegensatz zur direkten Wiederverwendung von Bauteilen vor Ort“, erklärt Projektleiterin Reisinger von der TU Wien.
Infos Zum Forschungsprojekt RE:STOCK INDUSTRY
Lidar
steht für „Light Detection and Ranging“. Die Technologie verwendet Laserlicht, um Entfernungen zu messen und detaillierte 3-D-Karten von Objekten oder einer Umgebung zu erstellen. Auch manche Handys haben bereits solche Scanner verbaut
Vermessung
Mit dem Lidar-Scanner werden gleichzeitig große Teile eines Gebäudes gescannt, woraus dann die 3D-Karte erstellt wird. Zusätzlich werden mit hochauflösenden Kameras bestimmte Bauteile zur Detail-Analyse fotografiert. Dabei geht es hauptsächlich um tragende Strukturen
70 Prozent
des österreichischen Abfalls werden von der Baubranche verursacht. Recycelt wird davon nur ein kleiner Teil. Stahl gilt z. B. als besonders gut recyclebar, weil sich Bauteile aus dem Metall einschmelzen lassen
60 Prozent
der abgebauten Rohstoffe wandern in Österreich in die Baubranche. Daraus werden etwa Beton, Stahl und Bauteile gemacht
Laut Expert*innen sind 90 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle in der EU recyclebar, insgesamt werden 70 Prozent recycelt. Besser wäre allerdings, den Bestand weiterhin zu nutzen – durch den Umbau und die Anpassung des Gebäudes an die Bedürfnisse des Industriebetriebes. Derzeit tut sich die Baubranche damit noch schwer, weil oft grundlegende Informationen zur Wiederverwertung von Bauteilen fehlen. RE:STOCK hat das Ziel, Bauherr*innen mit mehr und besseren Informationen zu versorgen.
„Wenn ein Gebäude in den 70er-Jahren gebaut worden ist, finde ich bestimmte bauliche Strukturen vor. Wenn ich neue Maschinen und Prozesse dort reinbringen will, ist das oft schwierig: Entweder sind die Stützen im Weg oder das Tragwerk kann den neuen erhöhten Lasten nicht standhalten. Mittlerweile brauche ich für die Produktion auch höhere Räume“, erklärt Reisinger. Die Folge sind leere Hallen, Müll und neue Bodenversiegelung. Dazu kommt, dass für Industriegebäude oft größere Flächen gebraucht werden, weil sie meistens einstöckig sind. Die Forscher wollen Bauherr*innen durch bessere Informationen auch ermutigen, mehrstöckig zu bauen.
Wie eine Waffelfabrik
Vorbild ist die Lebensmittelproduktion. „Bei einem österreichischen Hersteller von Schokowaffeln kommen die reinen Rohstoffe wie Mehl und Zucker in Silos ganz oben im Gebäude rein. Im obersten Stock werden sie gemischt. Durch Rohre kommen sie ins nächste Geschoss, dort werden die Waffeln gebacken. Ganz unten wird verpackt und Lkw holen sie ab“, erklärt Reisinger. Eine solche Nutzung ist natürlich nicht immer möglich. Bei anderen Betrieben sei das eine Herausforderung, weil die Produktionsmaschinen oft schwerer sind – etwa Papiermaschinen oder Roboter in der Autoindustrie.
„Eines der Projektziele ist ein 3D-Layout-Generator. Industrieunternehmen sollen in Zukunft nur mehr sagen müssen: Ich habe folgende Bedürfnisse, Maschinen und dieses Bestandsgebäude“, sagt Reisinger: „Es ist ein Planungswerkzeug, das ihnen vorschlagen soll, in welchen Geschossen sie was produzieren können.“ Sogar was der Bau kostet und wie nachhaltig er ist, soll das Programm aufzeigen. Auf der Baustelle wird man sich solche Informationen mit einem iPad direkt anzeigen lassen können.
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KI lernt von Bauten
Mit dem neuen Planungswerkzeug soll es künftig genügen, das Gebäude mit einem Lidar-Sensor abzuscannen und Fotos von wesentlichen Bauteilen zu machen, um das fertige Modell zu erhalten. Derzeit muss man mit einem Radar-Gerät die Bauteile des Bauwerkes noch einzeln untersuchen.
Das Programm wird mit Künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten. „Wir zeigen der KI Bilder und Pläne von unseren Industriebau-Projekten, damit sie daraus lernen kann und tragende Bauteile richtig identifiziert“, sagt der Tragwerksplaner Nikola Ružičić von ATP Architekten und Ingenieure, der auch am Forschungsprojekt beteiligt ist. „Dann wissen wir, ob die Struktur tragfähig genug ist oder wenn nicht, wie man sie verstärken kann.“ Mit dem Programm soll das künftig alles viel schneller, günstiger und nachhaltiger gehen.
Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).
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