Grafische Darstellung des Starts einer Sea Dragon

Grafische Darstellung des Starts einer Sea Dragon

© AstroBidules/Wikimedia Commons

Science

Sea Dragon: Gigantische Rakete sollte aus dem Wasser ins All starten

1983: In der Live-Übertragung ist nur die Meeresoberfläche zu sehen. Die Kamera zoomt näher. Ein metallisches Objekt ragt aus dem Wasser. Sekunden später erhebt sich eine gewaltige Rakete aus den Fluten. Die USA starten die mächtigste Rakete Richtung Weltraum, die es je gab.

Diese Szene stammt aus der Science-Fiction-Show For All Mankind. Darin geht es um eine alternative Realität, in der die Sowjetunion das Rennen zum Mond gewonnen hat. Die Fantasie der Unterwasser-Rakete ist allerdings weniger weit hergeholt, als man glauben möchte. Es war ein reales Konzept, das für die NASA gemacht wurde: Sea Dragon.

Konzeptbild: Sea Dragon im Größenvergleich zum NASA-Hauptquartier im Jahr 1962

Konzeptbild: Sea Dragon im Größenvergleich zum NASA-Hauptquartier im Jahr 1962

Robert Truax designte Sea Dragon

Anfang 1963 wurde ein 250-seitiges Konzept zu Sea Dragon veröffentlicht. Das kann man sich auch heute noch als PDF auf der Website der NASA herunterladen.

Das Projekt wurde schon 1962 gestartet. Verantwortlich dafür war Robert Truax. Er war in der Branche kein Unbekannter: Nach seinem Kriegseinsatz in der Navy hat er u. a. an der PGM-17A Thor der Air Force mitgearbeitet – der ersten Atomrakete der USA.

Später arbeitete er auch an der UGM-27 Polaris, der ersten Atomrakete der US Navy, die von U-Booten gestartet wurde. 1959 wechselte er komplett in die Privatwirtschaft. Er landete bei Aerojet, einem US-Hersteller von Raketenantrieben. Und eines seiner Projekte dort war Sea Dragon.

Großer dummer Booster

Truax‘ Idee war, eine billige Schwerlastrakete zu bauen. Heute werden diese Konzepte Big Dumb Booster genannt – also großer dummer Booster. Der Gedanke dahinter: Es ist billiger, eine große Low-Tech-Rakete mit viel Ladung ins Weltall zu schießen, anstatt viele kleine Raketen.

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Die Wörter „billig“ und „Schwerlastrakete“ vertragen sich aber eigentlich so gar nicht. Wenn eine Rakete groß ist und viel Treibstoff hat, wird nicht nur der Bau, sondern auch alles rundherum teuer. Und das ist der Grund, warum Truax die Rakete versenken wollte.

Ballast statt Startrampe

Anstatt eine riesige Startrampe für viel Geld zu bauen, die beim Start der Rakete vielleicht auch noch beschädigt worden wäre, sollte Sea Dragon im Wasser starten. Und zwar wirklich im Wasser und nicht auf dem Wasser, etwa auf einem Schiff oder einer ausgedienten Ölplattform.

Dazu wurde ein riesiger Ballasttank am Ende der Rakete befestigt. Dieser wurde gefüllt, woraufhin das Heck der Rakete unter Wasser gezogen wurde und sich Sea Dragon so vertikal aufgerichtet hat. Eine Startrampe war damit überflüssig.

Grafische Darstellung des Starts einer Sea Dragon

Grafische Darstellung des Starts einer Sea Dragon

Diese Methode hatte noch einen weiteren Vorteil. Durch das präzise Füllen des Ballasttanks, hätte die Sea Dragon genauso weit aus dem Wasser ragen können, dass ein einfacher Zugang zum Frachtraum per Schiff möglich ist, etwa für finale Inspektionen. Theoretisch hätte man so auch Astronauten ein einfaches Einsteigen in die Raumkapsel an der Spitze der Rakete ermöglichen können.

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Zusammensetzen in der Lagune

Der Start vom Wasser aus sollte zudem Logistik und Transport vereinfachen. Anstatt aufwändige Riesentransporter zu benötigen, sollten die Raketenstufen in Trockendocks gebaut werden. Sind sie fertig, kommt an die erste Stufe noch der Ballasttank ran und an die zweite Stufe das Frachtmodul.

Danach werden beide Stufen zu Wasser gelassen und getrennt von Schiffen im Meer geschleppt. Das Ziel ist die „Assembly Lagoon“, also Zusammenbau-Lagune. Dort werden sie horizontal zur Sea-Dragon-Rakete zusammengesetzt.

Zusammenbau der 2 Stufen in der Lagune

Zusammenbau der 2 Stufen in der Lagune

In der Lagune wird die zweite Stufe mit flüssigem Sauerstoff betankt. Danach wird die Sea Dragon weiter ins Meer geschleppt, zu ihrer Startposition. Dort wird sie mit flüssigem Wasserstoff betankt.

Das Konzept sieht vor, dass der Treibstoff vor Ort durch Elektrolyse hergestellt wird, etwa durch einen nuklearen Flugzeugträger. Auf einer Zeichnung ist die USS Enterprise zu sehen, die bei der US Navy von 1961 bis 2012 im Dienst war.

Sea Dragon neben der USS Enterprise

Sea Dragon neben der USS Enterprise

Teile von Sea Dragon waren wiederverwendbar

Nach dem erfolgreichen Start wird der Ballasttank zur Wiederverwendung zurück zur Lagune gezogen. Das war auch für die erste Stufe vorgesehen. Nach der Separation sollte sie, gebremst durch Fallschirme, unbeschadet im Wasser landen. Sie wird per Schiff zur Lagune geschleppt, wo sie aufbereitet wird, um für weitere Starts genutzt zu werden.

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Durch dieses System sollten ebenso Kosten gespart und schnellere Starts möglich werden, weil nicht immer die erste Stufe neu gebaut werden muss. Es gab also schon 1962 die Idee, mit der SpaceX heute mit seinen Falcon-9-Raketen und deren wiederverwendbaren Boostern so erfolgreich ist.

Grafische Darstellung des Sea-Dragon-Kreislaufs

Grafische Darstellung des Sea-Dragon-Kreislaufs

150 Meter hohe Rakete

Insgesamt hätte Sea Dragon 150 Meter hoch sein sollen. Damit wäre sie auch heute noch die größte Rakete der Welt. SpaceX Starship ist in der aktuellen Bauphase 121 Meter hoch.

Auch der Durchmesser von Sea Dragon wäre mit 23 Metern gewaltig gewesen. Bei Starship sind es 9 Meter. Die 111 Meter hohe Saturn V, mit der 1969 die ersten Menschen zum Mond gebracht wurden, hatte einen Durchmesser von 10 Meter.

Sea Dragon hätte 18.143 Tonnen wiegen sollen. Die Nutzlast wurde mit 550 Tonnen berechnet. Die Idee war, damit große Teile oder gar ganze Raumstationen in den Orbit zu bringen oder Habitate für eine Mondbasis. Das hätte wiederum Kosten und Zeit gespart, weil nicht erst Einzelteile im All oder auf dem Mond zusammengebaut werden müssen.

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Gewaltige Triebwerke

Um diese Last in den Weltraum zu bringen, hatte die erste Stufe lediglich ein Triebwerk. Dieses hätte aber einen Schub von 350 Meganewton (MN) erreichen sollen. Beim Starship sind es aktuell 73,5 MN.

Geplant war, dass der Treibstoff der ersten Stufe nach 81 Sekunden verbraucht ist. Zu diesem Zeitpunkt hätte Sea Dragon in 40 km Höhe fliegen sollen, mit einer Geschwindigkeit von 6.400 km/h. Hier wird die zweite Stufe abgetrennt – die erste landet etwa 290 km entfernt vom Startpunkt im Wasser. Die zweite Stufe sollte ein Triebwerk mit 59-MN-Leistung haben. Dieses hätte 260 Sekunden brennen sollen, bis die Wunschhöhe von bis zu 229 km erreicht ist.

Günstiger, aber trotzdem zu teuer

Die NASA ließ das Konzept vom US-Unternehmen TRW überprüfen, das später u. a. das Antriebssystem für den Apollo Lunar Lander gebaut hat. Berichten zufolge sollen sowohl TRW als auch die NASA überrascht gewesen sein, dass das Konzept als solide und umsetzbar beurteilt wurde. Die Kosten, um ein Kilogramm Fracht mit Sea Dragon ins All zu bringen, wurden mit 60 bis 600 US-Dollar berechnet - maximal ein Viertel der Kosten von NASAs eigener Saturn-V-Rakete.

Sea Dragon im Vergleich mit Saturn V und dem ITS (Vorgänger-Konzept von SpaceX Starship)

Sea Dragon im Vergleich mit Saturn V und dem ITS (Vorgänger-Konzept von SpaceX Starship)

Aerojet hatte schon den Kauf eines Grundstücks an der Küste geplant, bei dem die Lagune gebaut werden sollte. Dieses lag zwischen Santa Barbara und der Vandenberg Air Force Base. Von dort aus hätten Raketen starten können, ohne über große, bewohnte Gebiete zu fliegen.

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Daraus wurde aber nichts. Sea Dragon kam zu einer Zeit, als das Apollo-Programm wegen zu hoher Kosten ausgebremst wurde. Wegen des Vietnam-Kriegs war das Haushaltsbudget der USA zusätzlich belastet. Neben Sea Dragon wurden auch Konzepte für eine bemannte Mars-Mission von der NASA fallen gelassen, für diese die Schwerlastrakete eventuell genutzt hätte werden können.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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