Tiefseebergbau: Jagd auf E-Auto-Rohstoffe am Meeresgrund
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Sie sind nur wenige Zentimeter groß, liegen in 3.000 bis 6.000 Meter Tiefe und sollen die Rohstoffkrise des 21. Jahrhunderts lösen. Manganknollen bestehen aus Erzen, die die Automobil- und Elektroindustrie dringend benötigen. Ein Drittel Mangan, bis zu einem Fünftel Eisen, den Rest machen Kupfer, Nickel, Kobalt und Titan aus. Viele dieser Metalle sind in unseren Smartphones, Laptops und E-Auto-Akkus verbaut.
Milliarden der faustgroßen Knollen bedecken den Grund des Ozeans. Sie haben sich dort über Jahrmillionen aus Metallablagerungen gebildet. Ein versunkener Schatz am Meeresboden also, der – argumentiert die Industrie – nur darauf wartet, gehoben zu werden.
Laut UN „Erbe der Menschheit“
Die Krux: Der Abbau von Manganknollen unterliegt den Vereinten Nationen (UN), genauer gesagt der International Seabed Authority (ISA). Sie hat die Rohstoffe zum „Erbe der gesamten Menschheit“ erklärt. Das bedeutet, Unternehmen oder Staaten können die Knollen nicht einfach nach Lust und Laune fördern.
Seit der Mensch die Manganknollen im 19. Jahrhundert entdeckte, wurden sie nie im großen Stil kommerziell abgebaut. Jetzt stehen allerdings Bergbauroboter in den Startlöchern, erste Testläufe mit ihnen sind bereits beendet. Wird das Rennen um die versunkenen Rohstoffe endlich eröffnet, könnte die Zerstörung der örtlichen Ökosysteme der hohe Preis für ihren Abbau sein.
Metalle für die Rettung des Planeten
„Die Gesellschaft braucht dringend Batteriemetalle für den Übergang zu sauberer Energie und zu Elektroautos“, zeigt sich The Metals Company (TMC) auf seiner Webseite überzeugt. TMC ist weltweit eine der führenden Tiefseebergbaufirmen. Sie hat eine Explorationslizenz, also das Recht, an einem Knollenabbau zu forschen – und zwar in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone.
Dieses Gebiet im Zentralpazifik ist mit rund 4,5 Millionen Quadratkilometern so groß wie die gesamte Landfläche aller 27 EU-Mitgliedsstaaten. Das Forschungsgebiet der TMC macht nur einen Bruchteil, nämlich 1,7 Prozent, der gesamten Clarion-Clipperton-Zone aus. Das Unternehmen schätzt, allein sein Areal könnte Batteriemetalle für 140 Millionen Elektroautos liefern. Denn die Rohstoffe einer Manganknolle decken sich zu weiten Teilen mit jenen einer Elektroautobatterie. Zum Vergleich: In der EU gibt es derzeit 325 Millionen Pkw.
Kaum Alternativen
Kein Wunder also, dass es die Industrie auf Manganknollen abgesehen hat. Zumal sich die Menge an Elektroautos in den kommenden Jahren drastisch erhöhen wird und muss, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Die Weltbank schätzt, dass allein die Kobaltförderung bis 2050 um 500 Prozent ansteigen müsste, um den Bedarf an Batterien für Elektrofahrzeuge zu decken.
Der Mensch könnte aber auch den Abbau von Erzen generell verringern, argumentieren Tiefseebergbaugegner*innen. Beispielsweise durch Recycling von Metallen. Dabei werden Erze aus alten E-Auto-Akkus extrahiert und für neue Batterien wiederverwendet. Auch neue Batterietechnologien, darunter Lithium-Eisenphosphat-Akkus, werden als ressourcenschonende Alternative zu herkömmlichen Batterien genannt.
Das Problem: Die Menschheit steht unter Zeitdruck. Um das Ziel der Netto-Null-Emissionen zu erreichen und der Erderhitzung Einhalt zu gebieten, reicht Recycling allein nicht aus, wie der Guardian berichtet. Und die Entwicklung alternativer Batterien könnte nicht rechtzeitig geschehen. Tiefseebergbau, so lautet das Argument, ist daher die einzige Lösung.
Mit Mähdreschern über den Meeresgrund
Aber die Frage ist, um welchen Preis? Denn der Tiefseebergbau greift laut Forscher*innen drastisch in das lokale Ökosystem ein. „Mit autonomen Maschinen, die Mähdreschern ähneln, werden die Manganknollen vom Boden aufgesammelt“, erklärt Gerhard Herndl, Meeresbiologe an der Universität Wien, der futurezone. „Wenn sie über Tiefseeschwämme und -korallen raspeln, hat man da auch Beifang, bestehend aus heimischen Organismen“, sagt Herndl.
Ein Experiment macht die Folgen eines Eingriffs in das lokale Ökosystem sichtbar. 1989 „reinigte“ ein Forschungsteam den Meeresboden von Tiefseeorganismen. 20 Jahre später ist an dieser Stelle in tausenden Kilometern Tiefe immer noch nichts nachgewachsen. „Das heißt, diese Böden regenerieren sich unglaublich langsam von so einem Eingriff“, sagt Herndl. Ein Großteil der Bodenfauna filtert zudem seine Nahrung aus Schwebestoffen im Wasser. Wirbelt der Bergbauroboter Sedimente auf, verkleben die Wolken die Filterorgane der Tiere. Auch größere Arten wie Dumbo-Oktopusse oder die Schuppenfußschnecke sind durch die Eingriffe bedroht.
Schürfen besser für Umwelt und Mensch
„Der Umstieg auf saubere Energie erfordert Kompromisse“, relativiert das Bergbauunternehmen TMC. „Die Metallgewinnung - ob an Land oder in der Tiefsee - hat Auswirkungen auf die Ökosysteme“. Hinzu komme, dass der Tiefseebergbau, anders als der herkömmliche, dem Menschen nicht schade. Denn durch die Förderung von Metallen aus dem Meer reduziere sich die Ausbeutung von Erwachsenen und Kindern in Minen zu Land, argumentieren TMC und anderen Bergbauunternehmen.
„Soziale Aspekte dürfen nicht gegen ökologische ausgespielt werden“, sagt Meeresexpertin Iris Dorfegger von Greenpeace gegenüber der futurezone. „Tiefseebergbau ist eine essenzielle Bedrohung für die Meere und zahlreiche Arten. Das trifft auch uns Menschen, denn wir sind von gesunden Ökosystemen abhängig.“
Langzeitfolgen nicht absehbar
Dass Tiefseebergbau unvorhergesehene Langzeitfolgen hat, ist nicht nur eine große Sorge von Greenpeace. „Wir wissen, dass Arten miteinander quer über die Clarion-Clipperton-Zone verwandt sind, sogar über den Pazifik“, sagt Matthias Haeckel vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel der futurezone. „Es kann sein, dass der Genaustausch zwischen den einzelnen Populationen unterbrochen wird und sie dann zusammenbrechen. Das wäre der Worst Case“.
Diesen Worst Case und auch kleinere Schäden zu vermeiden, ist die Aufgabe der ISA, der Internationalen Meeresbodenbehörde. Sie versucht bis Juli 2023 einen Mining-Kodex aufzusetzen. Der soll den umweltverträglichen kommerziellen Abbau von Manganknollen regeln.
Fehlende Infrastruktur
Dass die ISA 2023 tatsächlich ein Mining-Kodex festzurrt und mit dem Manganknollenabbau begonnen wird, bezweifelt Meeresbiologe Haeckel: „Bis auf ganz wenige Kontraktoren hat bisher keiner eine vernünftige Erforschung der Umweltrisiken durchgeführt“. Die sei aber zwingend notwendig, damit die ISA einen Abbauantrag tatsächlich durchwinken kann – unabhängig von einem fertigen Mining-Kodex.
Hinzu komme, dass es sogar Unternehmen wie TMC, die in Sachen Technik schon recht weit seien, an einer Infrastruktur zur Förderung von Rohstoffen aus der Tiefsee fehle. „Die ganze Prozesskette zur Extraktion von Metallen steht noch nicht. Insofern ist es für Konzerne in den nächsten 7 bis 8 Jahren nicht sinnvoll, einen Abbauantrag zu stellen“, gibt Haeckel zu bedenken.
„Wir haben eine einmalige Chance“
Bis tatsächlich Manganknollen im großen Stil vom Meeresgrund an die Oberfläche befördert werden und die Metalle in unseren E-Auto-Akkus landen, dürfte es also noch eine Weile dauern. Auch wenn die ISA wider Erwarten eine Einigung erzielt und 2023 einen Mining-Kodex abschließt.
„Ob wir Tiefseebergbau betreiben sollten, ist am Ende eine gesellschaftliche Frage“, ist Haeckel der Meinung. Denn wir können fördern. Aber sollen wir auch? Manganknollen sind immer noch fossile Rohstoffe, die nicht nachwachsen und deren Förderung nachweislich der Umwelt Schaden zufügt. Welche negativen Auswirkungen durch den Abbau in Jahrhunderten oder Jahrtausenden für das Ökosystem in der Tiefsee entstehen, dazu gibt es derzeit laut Expert*innen keine ausreichenden Daten. Wenn die Menschheit dann feststellt, dass der Schaden groß ist, kann sie die Zeit nicht mehr zurückdrehen.
„Wir haben jetzt die einmalige Chance, uns vernünftig Gedanken zu machen“, sagt der Meeresbiologe. Das erste Mal stelle der Mensch Regularien auf, bevor die Industrie überhaupt mit einer großangelegten Förderung von Rohstoffen begonnen hat. Haeckel: „Diese Chance dürfen wir nicht verspielen".
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