Die Parkinson-Betroffene Lenie Larmit bei der Kunsttherapie von Neuroästhetikerin Blanca Spee.
Ultraschall-Stimulation und Kunsttherapie gegen Parkinson
Was haben Wiens Ex-Bürgermeister Michael Häupl, Showmaster Frank Elstner und Schauspieler Michael J. Fox gemeinsam? Sie sind wie geschätzt 11 Millionen weitere Menschen auf der Welt an Parkinson erkrankt.
In Österreich gibt es derzeit etwa 25.000 Betroffene, Tendenz steigend. „Bei der Parkinson-Krankheit kommt es zu Bewegungsverlangsamung, die zu mühevollen Bewegungsabläufen führt. Typische Symptome sind neben dieser sogenannten Bradykinese eine Zunahme des Muskeltonus oder Muskelsteifigkeit und ein Ruhetremor, also Zittern in Ruhe“, erklärt Klaus Seppi.
Er ist Primar für Neurologie am Bezirkskrankenhaus Kufstein, Vorstandsmitglied der Österreichischen Parkinson-Gesellschaft und forscht als Professor für Bewegungsstörungen an der Medizinischen Universität Innsbruck zur Diagnose der Krankheit.
Ursachen noch unklar
Die genauen Ursachen seien noch nicht bekannt, erklärt Seppi: „Genetische Faktoren spielen eine Rolle. Der wichtigste Risikomarker ist das Alter – die Diagnose wird typischerweise zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr gestellt. Wichtig sind auch Umwelteinflüsse.“
➤ Mehr lesen: Chemikalien in Kunststoff können zu Schlafproblemen führen
Das könnten einerseits wiederholte Erschütterungen des Gehirns sein, aber auch Luftverschmutzung, Pestizide, Lösungsmittel oder Virusinfekte. Hintergrund der Bewegungsstörungen bei Parkinson ist ein Mangel an Dopamin im Gehirn. Der Neurotransmitter sei sozusagen das „Schmieröl für den Bewegungsablauf“, sagt Seppi.
Klaus Seppi ist Primar für Neurologie am Bezirkskrankenhaus Kufstein und vielzitierter Parkinsonforscher.
© BKH Kufstein
Gehirnzellen sterben ab
„Im Gehirn sterben Nervenzellen ab, hauptsächlich die dopaminproduzierenden im schwarzen Kern des Mittelhirns. Wenn 50 bis 60 Prozent dieser Nervenzellen abgestorben sind, treten erste klinisch erkennbare Symptome auf“, so der Mediziner.
Sämtliche medikamentöse Versuche der Medizin, diesen Abbauprozess zu bremsen, waren bisher sehr ernüchternd, meint der Neurologe. Derzeit könnten nur die Symptome behandelt werden.
➤ Mehr lesen: Wie winzige Roboter die Krebstherapie revolutionieren könnten
Dafür gibt es 2 wesentliche Optionen: Man schluckt Levodopa, eine Vorstufe von Dopamin, die dann im Gehirn umgewandelt wird, oder sogenannte Dopaminagonisten, die direkt wirken. Diese Therapien zielen vorrangig auf die motorischen Beschwerden ab.
Unlocking the Muse
„Aber der Mensch hat auch einen großen Verlust von Lebensqualität und Autonomie, und da steigen wir ein“, sagt Blanca Spee. Gemeinsam mit Julia Crone und Matthew Pelowski leitet die Neuroästhetikerin das Projekt „Unlocking the Muse“ der Universität Wien und des Radboud University Medical Center in den Niederlanden.
Mit einem transdisziplinären Ansatz versuchen sie den Zusammenhang zwischen Kreativität und Parkinson zu verstehen. Gleichzeitig begleiten sie Betroffene bei künstlerischen Therapien, deren Wirksamkeit sie ähnlich einer Medikamentenstudie erstmals systematisch bestätigen wollen.
Kreativität messbar machen
„Dopamin ist wichtig, um kreativ denken und lernen zu können“, sagt Spee. In einer kürzlich veröffentlichten Studie stellten sie und ihr Team fest, dass 41 Prozent der 793 befragten Parkinson-Betroffenen nach ihrer Diagnose wesentliche Veränderungen ihrer Kreativität wahrnahmen.
Blanca Spee ist Neuroästethikerin und leitendes Mitglied des Projekts "Unlocking the Muse".
© Privat
„Das Gehirn ist ein Netzwerk, wo immer alle Bereiche aktiviert sind und miteinander kommunizieren. Es gibt die Theorie, dass das dopaminerge System die Balance im Gehirn herstellt“, erläutert ihre Kollegin Crone.
Um gut zu funktionieren, brauche das Gehirn dieses Gleichgewicht. Kreativität entstehe dann, wenn es ganz leicht aus den Fugen gerate, sagt die Gehirnforscherin.
Kreativität messbar machen
Das Problem: Kreativität ist enorm schwierig zu definieren. Das Forschungsteam misst sie deshalb über den Umweg der kognitiven Flexibilität, also wie schnell man sich beim Denken an veränderte Umstände anpassen kann.
Möglich ist das etwa über systematische Zeichenaufgaben oder den sogenannten Stroop-Test. Dabei bekommen Probandinnen und Probanden Farbwörter gezeigt, die in unterschiedlichen Farben geschrieben sind. „Da steht dann zum Beispiel „gelb“, aber die Buchstaben sind rot. Man muss dann entweder vorlesen oder die Farbe benennen“, schildert Crone.
Um den Zusammenhang zwischen dopaminerger Balance und Kreativität experimentell nachzuvollziehen, nutzt die Gehirnforscherin Ultraschallstimulation. Dafür bekommen gesunde Testpersonen ein Gerät an die Schläfe, das schwache Ultraschallwellen gezielt in bestimmte Hirnareale schickt.
Gleichzeitig wird die Hirnaktivität bildlich aufgezeichnet. Anschließend müssen die Probandinnen und Probanden den Stroop-Test absolvieren, der Veränderungen der kognitiven Flexibilität sichtbar machen soll. Die Effekte, die Crone dabei beobachtet, seien sehr subtil, viele Zusammenhänge noch unklar – so sei das eben mit Grundlagenforschung.
Julia Crone leitet das Crone Neurocognition Lab an der Universität Wien und ist leitendes Mitglied des Projekts "Unlocking the Muse".
© Privat
Neue Therapieansätze
Ihre Kollegin Spee wendet die Tests, die Crone mittels Ultraschallstimulation erforscht, auch in einem therapeutischen Setting mit Parkinson-Betroffenen an – ergänzt durch neuropsychologische Messungen.
„Wir sehen, dass nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch die Medikamente bei vielen zu starken Schwankungen im individuellen Symptombild führen können. Einige Menschen mit Parkinson erleben abrupte Wechsel zwischen Phasen starker motorischer Verlangsamung, emotionaler Abgeflachtheit oder Antriebslosigkeit – und dann plötzlich das Gegenteil: übersteigerte Beweglichkeit, impulsives oder zwanghaft wirkendes Verhalten.“
Diese Zustände könnten sich innerhalb von Minuten ändern. Für Außenstehende sei das oft schwer nachvollziehbar, was zu Missverständnissen und Stigmatisierung führen könne.
Malen gegen Angstzustände
In ihrer Pilotstudie, die derzeit in großem Maßstab wiederholt wird, sind vergangenes Jahr 15 Parkinson-Betroffene 10 Wochen lang einmal wöchentlich einer selbst gewählten kreativen Tätigkeit nachgegangen: Malerei, Collage, Fotografie, Musik, Theater und vieles mehr.
Blanca Spee mit der Parkinson-Betroffenen Lenie Larmit in der Kunsttherapie.
© Richard Grol
Die Kunsterfahrung sollte dabei immer mit einem Lernprozess einhergehen. Das Wohlbefinden der Studienteilnehmer hatte sich im Anschluss signifikant verbessert, und ihre Ängste waren drastisch vermindert.
Dopamin-Booster Kreativität
„Das eigene Dopamin, das neben der Medikation noch da ist, wird bei kreativen Tätigkeiten sozusagen geboostet“, das gebe Betroffenen Autonomie zurück, betont Spee. Man müsse im Einzelfall herausfinden, was möglich ist und was nicht und mit welchen Tricks man ihren Alltag erleichtern könne.
„Das Faszinierende bei neurologischen Erkrankungen ist, dass sie so individuell sind. Es gibt Menschen, die vornehmlich im Rollstuhl sitzen, aber Radfahren können, oder welche, die wegen eines Tremors im Mund kaum sprechen können, aber 5 Instrumente spielen.“ Solche Erkenntnisse könnten die Lebensqualität unabhängig von Medikamenten enorm verbessern.
Kommentare