Nanotechnologie: Ein Roboter repariert Blutzellen. 3D-Rendering.

So wie medizinische Nano-Roboter in der Popkultur dargestellt werden, sehen sie in der Realität nicht aus (Symbolbild).

© Getty Images / ~UserGI15994093/istockphoto

Science

Wie winzige Roboter die Krebstherapie revolutionieren könnten

Es klingt nach Science Fiction: Winzig kleine Roboter, die sich selbstständig durch den Körper bewegen und genau an der richtigen Stelle Krankheiten diagnostizieren, Medikamente freisetzen oder chirurgische Eingriffe durchführen.

Tatsächlich gibt es so ähnliche Systeme schon, nur sehen sie in der Realität meistens ganz anders aus, sagt Simone Schürle-Finke vom Medical Microsystems Laboratory an der ETH Zürich: „Es kann so simpel sein wie ein Liposom, sozusagen ein Nano-Bällchen aus Fetten, in das wir magnetische Nanopartikel und Wirkstoffe geben und das wir dann zur Wirkstofffreigabe mit Magnetfeldern aktivieren.“

Neuartige Krebstherapien

Es brauche keine „Maschine“ im strengeren Sinn, auch eine chemisch-biologische Formulierung, die nach einem Eingangs-Signal einen bestimmten Prozess durchführt, der zum gewünschten Ergebnis führt, kann als medizinischer Mikro-Roboter fungieren. Die Ingenieurin arbeitet derzeit viel mit diesen sogenannten biohybriden Robotern, um die Krebsimmuntherapie weiterzuentwickeln: „Bakterien, die wir mit magnetischen Nanopartikeln bepacken, können wir durch Magnetfelder gezielt in Tumoren anreichern und so Immunzellen anlocken und Wirkstoffe abgeben.“ 

➤ Mehr lesen: 6 Beispiele für die technologische Revolution in der Medizin

Die Bakterien fühlen sich in der meist sauerstoffarmen Umgebung des Krebsgewebes wohl. Sie können zusätzlich mit Tumoren um Nährstoffe konkurrieren und eine Art Hungerzustand bei diesen herbeiführen. „Was ich gerade auch sehr spannend finde, sind Mikro-Roboter, die akustische Signale zurückgeben, wenn an einer bestimmten Stelle im Körper eine bestimmte Krankheit vorliegt.“ Das sei eine ganz neue Form von Kontrastmitteln in der Diagnostik, erläutert Schürle-Finke.

Steuerung von außen 

Will man doch eine „richtige“ Maschine bauen, die als Mikro-Roboter im Körper umherschwirren kann, gilt es einige Herausforderungen zu überwinden. Einerseits dürfen die verwendeten Materialien nicht giftig sein. Wenn sich die Geräte nicht gefahrlos im Körper zersetzen, muss sichergestellt werden, dass sie nach ihrem Einsatz wieder vollständig entfernt werden können. 

Andererseits bringt es nicht viel, einen existierenden, großen Roboter in winzig nachzubauen, betont die Ingenieurin: „Auf der Ebene dominieren andere physikalische Kräfte und Funktionsprinzipien, da ist es schwierig funktionierende Antriebe zu konstruieren.“ 

Optobots mit Laser-Steuerung

Genau damit beschäftigt sich Sinan Haliyo vom Multi-Scale Interactions Lab an der Sorbonne-Universität in Paris. Er räumt mit einem weiteren Missverständnis auf: „Wenn Leute über Mikro-Roboter sprechen, meinen sie meistens diese winzigen Maschinen von einem Millimeter oder kleiner, die sich von selbst bewegen. Aber die sind eigentlich nur der Endeffekt eines riesigen Roboters, der magnetisch oder optisch für den Antrieb sorgt.“

Der Forscher arbeitet derzeit mit sogenannten Optobots. Das sind drohnenartige Roboter, die einige Mikrometer groß sind und von Laserstrahlen bewegt werden.

Künstliche Befruchtung verbessern

Die Idee ist, sie in vitro, also im Labor, als präzise Pinzetten zu nutzen, die einzelne Viren oder Bakterien packen können. Diese neuartigen Werkzeuge könnten auch die künstliche Befruchtung verbessern, meint Haliyo: „Momentan macht man das händisch, mit Pipetten, das ist ungenau und die Erfolgsrate liegt bei nur etwa 20 Prozent. Mit Mikro-Robotern könnte man die Befruchtung in einer exakt kontrollierten Umgebung durchführen.“ 

Komplett autonome Roboter, die im menschlichen Körper eingesetzt, aber nicht von außen gesteuert werden, könne man beim heutigen Stand der Technik nicht bauen, sagt der Robotik-Forscher: „Weil man alle Funktionen eines Roboters auf so kleinem Raum unterbringen muss, also Energiequelle, Antrieb, Sensoren, Elektronik und so weiter, sind völlig autonome Mikro-Roboter unmöglich.“ Er bezweifelt ohnehin, dass Menschen ein Gerät im Körper haben wollen, das sich ohne ärztliche Kontrolle bewegt und kein Kabel hat, an dem man es im Notfall wieder herausziehen könnte.

Hirnerkrankungen besser behandeln

Ob mit oder ohne „Rettungsseil“: Robotik-Ingenieurin Schürle-Finkesieht großes Potenzial für die Technologie, unter anderem bei Erkrankungen des Gehirns. Dort sei es besonders schwer, Wirkstoffe effektiv zu verabreichen.

Denn um ins zentrale Nervensystem zu gelangen, müssen sie zunächst die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Generell werden Wirkstoffe im ganzen Körper eher hoch dosiert, da nur ein Bruchteil dort ankommt, wo er benötigt wird – mit entsprechenden Nebenwirkungen für gesunde Organe. 

➤ Mehr lesen: Künstliches Blut soll Medizin revolutionieren

„Bei Krebserkrankungen werden viele Wirkstoffe nicht zugelassen, weil die nötige Dosis systemisch toxisch wäre. Bei gezielter Abgabe mit einem Mikro-Roboter könnte die Dosis reduziert werden“, sagt Schürle-Finke.

Bionauts

Das kalifornische Start-up Bionaut entwickelt solche Mikro-Roboter. Die Bionauts getauften Geräte sollen über eine Nadel in das Rückenmark eingeführt werden. 

Auch sie sind mit einem Magneten versehen, um von außen gesteuert zu werden. Sie können Arzneimittel – winzige Moleküle zur Chemotherapie genauso wie ganze Stammzellen – an die gewünschte Stelle bringen und gezielt freisetzen. 

In Versuchen mit Schweinen und Schafen wurden Form und Geschwindigkeit der Mikro-Roboter optimiert, 2024 liefen erste klinische Studien am Menschen an. Eine davon soll herausfinden, ob sich Bionauts zur Behandlung des Dandy-Walker-Syndroms, einer angeborenen Gehirn-Fehlbildung, eignen. Eine zweite untersucht, wie die Mikro-Roboter Arzneimittel direkt an Tumore im Stammhirn von Kindern freisetzen können.

Weniger invasive Biopsien 

Auch Robeauté, ein Start-up aus Paris, arbeitet an einem Mikro-Roboter, der die Behandlung des Gehirns revolutionieren soll. Statt von außen mit recht starrem Werkzeug durch den Schädel zu operieren, sollen sich die Roboter in der Größe eines Reiskorns flexibel durch das Gewebe bewegen. 

Dafür braucht es nur ein kleines Loch mit 3 Millimeter Durchmesser und eine voreingestellte „Route“, die von einem Arzt oder einer Ärztin erstellt und überwacht wird. Bisher wurde die Technologie im Tierversuch für Biopsien, also zur Entnahme von Gewebe, getestet. 

Das soll auch der erste Anwendungsfall für die menschliche Behandlung werden, erste Studien sollen 2026 starten. „Das System von Robeauté ist schon ziemlich weit, mit Antrieb, Kamera und weiteren Werkzeugen zur in vivo-Anwendung“, meint Robotik-Professor Haliyo. Noch sei der Mikro-Roboter allerdings mit einem Kabel verbunden, was auch regulatorische Gründe habe.

Pillbot: Endoskopie ohne Schlauch 

Ohne Kabel, aber auch auf weniger gefährlichen Terrain, ist der Pillbot unterwegs. Der 3 Zentimeter lange, pillenförmige Roboter des US-Herstellers Endiatx soll unangenehme Endoskopien weitgehend überflüssig machen. Statt unter Narkose einen Schlauch in die Speiseröhre eingeführt zu bekommen, schluckt ein Patient den Mikro-Roboter mit 2 Gläsern Wasser.

Ein Arzt oder eine Ärztin steuert ihn mithilfe eines Gaming-Controllers durch den Verdauungstrakt, danach wird er einfach ausgeschieden. Das batteriebetriebene Gerät leuchtet seine Umgebung mit 4 LEDs aus und überträgt Live-Video-Aufnahmen, die Arzt oder Ärztin sofort interpretieren können. Die Markteinführung in den USA ist für 2026 geplant.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

mehr lesen
Jana Wiese

Kommentare