Im Labor gewachsene rote Blutkörperchen gelten als Schlüssel zu künstlichem Blut.

Im Labor gewachsene rote Blutkörperchen gelten als Schlüssel zu künstlichem Blut.

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Science

Künstliches Blut soll Medizin revolutionieren

Im Körper eines durchschnittlichen, 70 Kilogramm schweren Erwachsenen fließen 5 bis 6 Liter Blut. Bei Männern ist es prozentual etwas mehr als bei Frauen, unter anderem wegen des durchschnittlich höheren Muskelanteils. Die rot gefärbte Flüssigkeit ist für uns lebenswichtig – verlieren wir zu viel davon, sind wir derzeit auf andere Menschen angewiesen, die uns ihres überlassen. 

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Blutspender werden deshalb stets gesucht – und es gibt zu wenige von ihnen. Bereits seit geraumer Zeit hofft die Forschung deshalb, dass sie künstliche Alternativen dafür findet. Obwohl bereits seit Jahrzehnten daran geforscht wird, konnte bisher niemand taugliches Blut künstlich herstellen. In jüngster Zeit sind aber Durchbrüche gelungen, die künstliches Blut in greifbare Nähe rücken. 

Scheibchen für den Sauerstofftransport

Bei Bluttransfusionen wird in der Regel aufbereitetes Blut verabreicht. Meistens handelt es sich dabei um sogenanntes „Erythrozytenkonzentrat“. Dieses  wird derzeit aus Blutspenden gewonnen. Der Name kommt von den roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Weil sie im Körper Sauerstoff transportieren, spielen sie eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von künstlichem Blut. Unter dem Mikroskop betrachtet sind das kleine rötliche Scheibchen mit Dellen in der Mitte. In der Sekunde entstehen in unserem Körper 2 Millionen davon.

Bereits in den 1960er-Jahren versuchten Forscher, den Sauerstofftransport der roten Blutkörperchen mit sogenannten Perfluorcarbonen (PCBs) zu ersetzen, die Sauerstoff binden und transportieren können. Andere Forscher versuchten es später mit freiem Hämoglobin. Der rote Blutfarbstoff hat sich jedoch in der verabreichten Form als äußerst tödlich erwiesen.

Rote Blutkörperchen sind Scheiben mit Dellen in der Mitte.

„Schon lange wird an der Idee geforscht, künstliches Blut herzustellen. Viele Jahre hat das allerdings nicht funktioniert“, erklärt Isabel Dorn. Die Medizinerin und Forscherin züchtet mit ihrem Team an der Med Uni Graz erfolgreich rote Blutkörperchen aus menschlichen Stammzellen im Labor. 

„2010 verabreichten französische Forscher zum ersten Mal in der Geschichte kleinste Mengen einem Menschen“, sagt Dorn. Diese Zellen wurden damals aus Stammzellen der Teilnehmer gezüchtet, denen sie verabreicht wurden. 

Neuer Meilenstein in Großbritannien

Nun tut sich wieder was: In Großbritannien läuft derzeit eine klinische Studie, bei der Forscher erstmals gesunden Probanden rote Blutkörperchen verabreichen, die im Labor aus den Stammzellen anderer Menschen gezüchtet wurden. Damit sie das kultivierte Blut nach der Transfusion wiederfinden können, haben die britischen Forscher es markiert. 

„In dieser Studie wird zunächst untersucht, wie lange diese Zellen nach der Transfusion überleben“, erklärt Dorn. Die abschließenden Ergebnisse liegen noch nicht vor – laut Medienberichten werden sie frühestens gegen Jahresende erwartet. Jedenfalls können Wissenschaftler künstliches Blut nun im Labor züchten und bereits geringe Dosen von 5 bis 10 Millilitern an Menschen verabreichen.

Die britischen Probanden erhielten nur geringe Dosen des neuartigen Konzentrats. (Symbolbild)

Wann kommt es endlich?

„Ich spreche nicht von einem Einsatz bei der großen Masse. Bei einzelnen Patienten kann ich mir den Einsatz ab 2030 allerdings vorstellen“, meint Dorn. „Der Hauptgedanke ist, dass man Konserven für die Transfusion herstellt“, sagt die Forscherin. 

Denkbar sei etwa, dass Ärzte damit zunächst Patienten mit seltenen Blutkrankheiten und wiederholtem Transfusionsbedarf behandeln, die normales Spenderblut nicht vertragen. 

Man könnte sogar Blutgruppenmerkmale modifizieren. „Forscher könnten diese roten Blutkörperchen mit der Genschere CRISPR-Cas auch gezielt verändern, so dass sie für mehr Personen infrage kämen und universeller einsetzbar wären“, sagt Dorn. „Weiter könnten kultivierte Blutzellen Träger für bestimmte Medikamente werden, die dann kontinuierlich im Körper freigesetzt werden“, erklärt die Medizinerin. 

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Blut wächst im Bioreaktor der Zukunft

Zunächst gehe es nun darum, dass die Zellen in Bioreaktoren in großer Menge heranwachsen. „In Anlagen, in denen man etwa die Begasung, den Medium-Austausch und die Zugabe von Wachstumsfaktoren regeln kann“, meint Dorn. Der Prozess muss  günstiger werden. Außerdem müsse man auch die Qualität und Sicherheit des neuen Blutes garantieren können. 

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In Graz nutzt man die kultivierten Blutkörperchen hingegen für Grundlagenforschung. Derzeit vergleichen die Forscher unsere roten Blutkörperchen mit denen von Neandertalern. Sie erforschen damit etwa, welche Effekte die Unterschiede auf die menschliche Fitness und Evolution haben.

Unser Blut wirkt sich auf die körperliche Fitness aus.

Das US-Militär will Soldaten durch Blut-Manipulation leistungsfähiger machen

Die medizinischen Durchbrüche beim Blut aus dem Bioreaktor interessieren nicht nur die Pharmaindustrie, sondern auch das US-Militär. Künftig könnte genetisch verändertes Blut aus dem Bioreaktor deswegen nicht nur Kranken helfen, sondern auch zur Leistungssteigerung von Soldaten beitragen. Das US-Verteidigungsministerium finanziert etwa ein Forschungsprojekt namens „Red Blood Cell Factory“, das das herausfinden soll. 

„Stellen Sie sich vor, dass wir zusätzliches Material in diese Scheiben einfügen könnten“, sagte der leitende Forscher Christoph Bettinger gegenüber Business Insider. Damit könnte man den angesprochenen roten Blutzellen „interessante Vorteile verleihen“. Eine ihrer Ideen ist, dass man rote Blutkörperchen mit bioaktiven Nanopartikeln versehen könnte, die Soldaten in Extremsituationen leistungsfähiger machen. 

Etwa könnte man Blutkörperchen so verändern, dass sie mehr Sauerstoff binden und freisetzen können als normale. Eine andere Möglichkeit wäre, das Blut von Soldaten immun gegen Malaria zu machen oder sie vor Parasiten zu schützen. Bettinger und seine Kollegen denken sogar daran, dass modifiziertes Blut Soldaten weniger verletzlich machen könnte – etwa indem die Zellen so verändert werden, dass die Soldaten bei Wunden am Schlachtfeld weniger bluten. 

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Jana Unterrainer

Überall werden heute Daten verarbeitet, Sensoren gibt es sogar in Arktis und Tiefsee. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Das interessiert mich besonders, mit KI und Robotik steigt die Bedeutung weiter enorm.

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Jana Unterrainer

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