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Science

Wie 3D-Brille und Roboterarm Chirurgen im OP helfen

Chirurgen brauchen nicht nur zwei ruhige Händchen, um unter Hochdruck präzise arbeiten zu können, sie sind auch auf scharfes Sehen angewiesen. Bei Operationen im Mikrobereich, wo das menschliche Auge an seine Grenzen stößt, kommen deshalb Mikroskope zum Einsatz. Diese hängen statisch an einem mechanischen Arm über dem Patienten.

Bewährt, aber nicht perfekt

Der Chirurg schaut von oben durch die mikroskopische Vorrichtung, um die betreffende Körperstelle stark vergrößert begutachten zu können, während seine Hände millimetergenau die Arbeit verrichten. Das System, das seit einem halben Jahrhundert praktisch unverändert in Operationssälen zum Einsatz kommt, hat sich zwar bewährt, weist aber einige wesentliche Nachteile auf.

Ist das statische Set-up einmal eingerichtet, ist der Operateur auf den zuvor eingestellten Blickwinkel festgelegt. Schnell einen anderen Blick auf die Stelle zu werfen, ist aufwändig. Denn für die manuell durchgeführte Neuausrichtung des Mikroskops muss der Operateur seine OP-Werkzeuge weglegen.

Dazu kommt, dass die erzwungene, oft stundenlange Haltung in einer fixen Position für den Chirurgen ergonomisch fatal ist. Rückenprobleme als Berufskrankheit mögen angesichts von Operationen, bei denen es um Leben und Tod gehen kann, profan klingen. Für die betroffenen, meist hoch spezialisierten Ärzte können diese bei einer drohenden Berufsunfähigkeit allerdings existenzgefährdend werden.  

Robotermikroskop aus Tirol

Eine kleine Innsbrucker Firma namens BHS Technologies will dies nun mit einer Erfindung ändern, die wegweisend für OP-Säle auf der ganzen Welt werden könnte. Dabei handelt es sich um ein Mikroskop, das modernste Robotertechnik, eine 3D-Kamera sowie virtuelle Realität (VR) kombiniert. Als Basis für das System dient ein Roboterarm, wie er auch in der Industrieproduktion in Fabriken eingesetzt wird. Dieser kann mit einer Genauigkeit von 0,02 Millimeter einen Punkt im Raum ansteuern.

Am Ende des Arms sind statt eines herkömmlichen Mikroskops zwei Hochgeschwindigkeitskameras befestigt, welche die zu operierende Stelle mit 120 Bildern pro Sekunde in hoher Auflösung aufnehmen. Die Aufnahme der beiden Kameras wird verzögerungsfrei auf eine Computerbrille zum Chirurgen übertragen. Dieser muss folglich während der Operation nicht mehr durch ein Mikroskop schauen, sondern bekommt die betroffene Stelle auf einem riesigen virtuellen Bildschirm in der Brille angezeigt.

Totale Bewegungsfreiheit

Er kann dabei auch den Körper oder Kopf frei bewegen, weil das in der Brille angezeigte Bild immer die auf den Körper des Patienten gerichtete Kameraaufnahme zeigt. Den größten Trumpf kann das Robotermikroskop aber ausspielen, wenn der Chirurg die zu behandelnde Stelle von einem anderen Blickwinkel betrachten will.

Mittels intuitiver Kopfbewegung kann die Kameraposition nämlich während der Operation verändert werden, ohne dass der Chirurg diese unterbrechen oder gar die OP-Werkzeuge aus der Hand legen muss. Damit sollen Operationen künftig noch schneller und präziser durchgeführt werden können.

Kein Schwindel

Die Brille ist so konzipiert, dass der Operateur an der Seite und unten „vorbei“ schauen kann, um die reale Situation im Operationssaal überblicken zu können. Das soll neben der besseren Orientierung auch verhindern, dass Chirurgen mit typischen Virtual-Reality-Problemen wie Schwindel zu kämpfen haben, die etwa bei Videospielen mit geschlossener Brille auftreten können.

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Markus Hütter (CEO) und Michael Santek (CTO) von BHS Technologies

Nach jahrelanger geheimer Entwicklungsarbeit ist das System nun soweit, dass es in Kürze in Krankenhäusern eingesetzt werden kann. Die serienmäßige Produktion, die in Österreich stattfinden wird, soll 2020 starten. Erste Geräte will das Tiroler Unternehmen Mitte kommenden Jahres ausliefern, wie BHS-Technologies-Gründer Markus Hütter im Gespräch mit der futurezone verrät.

„200 Operateure konnten unser Mikroskop bereits testen. Das Konzept kommt sehr gut an, einige Kliniken haben bereits Absichtserklärungen abgegeben, dass sie unser System kaufen wollen“, sagt Hütter. Chirurgen seien hoch spezialisierte Handwerker, die besonders offen für technologische Fortschritte seien. „Sie wollen das beste verfügbare Werkzeug für ihre Arbeit haben.“

Export in die Welt

In der ersten Phase soll das Gerät  an Krankenhäuser in Deutschland, Österreich, der Schweiz, aber auch nach Frankreich, Italien und der Türkei verkauft werden.  Das innovative Robotermikroskop soll dabei nicht mehr kosten als existierende Lösungen. „In der Medizintechnik ist es heute oft so, dass tolle innovative Entwicklungen so teuer sind, dass sie nur für  einige wenige Kliniken in Frage kommen. Unser Zugang ist ein anderer: Wir wollen der Medizin Technologie zur Verfügung stellen, die auch leistbar ist“, erklärt Hütter.

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Dadurch, dass das System mit digitaler Bildtechnik ausgestattet ist, können künftig auch  Zusatzinformationen, wie Computertomographie-Aufnahmen, Röntgenbilder oder etwa 3D-Visualisierungen eines Tumors über die Brille eingeblendet werden. Chirurgen können dann vor bzw. während der Operation quasi durch die Haut des Patienten durchsehen und so noch gezielter vorgehen – etwa um  befallenes Gewebe möglichst schonend zu entfernen und Gefäßverletzungen zu vermeiden.

Milliardenschwerer Nischenmarkt

Der Markt für Medizintechnik ist riesig. Operationsmikroskope sind ein gutes Beispiel. Mit geschätzten 30.000 Geräten, die weltweit im Einsatz sind, geht es allein in diesem speziellen Geschäftsfeld um mehrere Milliarden Euro. Hier als neue Firma einzusteigen, ist  mit jahrelangen Entwicklungszeiten schwierig und kostenintensiv. Das wissen auch die Gründer von BHS Technologies, die großteils aus der Medizintechnik-Branche stammen.

„Als klassisches Start-up, das abenteuerlich durch die Welt geht, hat man  in diesem Feld keine Chance“, sagt Firmenchef Markus Hütter. „Bevor man ein Produkt entwickelt,  muss man genau wissen, was der Markt und das Umfeld braucht und darf nichts dem Zufall überlassen.“

In Österreich sei es zwar schwieriger, Risikokapital zu bekommen. Gleichzeitig profitiere man aber von der guten Förderlandschaft. Neben dem Land Tirol wurde die Entwicklung des Mikroskops durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft und die AWS (Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft) unterstützt. Darüber hinaus konnte  ein Schweizer Investor gewonnen werden. Angst vor der Konkurrenz haben die Tiroler nicht: „Wir müssen einfach besser sein. Und den zeitlichen Vorsprung haben wir auch.“

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und aws (austria wirtschaftsservice).

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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