Wie alt wir werden können
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Der erste tausendjährige Mensch könnte dem britischen Biogerontologen Aubrey de Grey zufolge schon geboren sein. Dafür müsse die fortschreitende „Krankheit“ Alter, wie er es bezeichnet, allerdings geheilt werden. Angesichts der globalen Lebenserwartung von 70,4 Jahren bei Männern und 74,9 Jahren bei Frauen scheint seine Annahme jedoch utopisch.
Und doch ist Forschern vom MDI Biological Laboratory unlängst ein Durchbruch bei der Verlängerung der Lebensdauer gelungen. Durch einfache genetische Veränderungen haben sie die Lebensspanne des Fadenwurms Caenorhabditis elegans um 500 Prozent verlängert. Diese Wurmspezies wird häufig in der Altersforschung herangezogen, unter anderem weil 60 Prozent ihrer Gene die gleiche Struktur und Funktion aufweisen wie die menschlichen.
Keine Evidenz
Den Forschern zufolge entspräche diese Verlängerung 400 bis 500 Menschenjahren. Sie hoffen, genetische Veränderungen, die zu einer deutlichen Verlängerung der Lebenserwartung führen könnten, besser zu verstehen, um sie künftig auch beim Menschen anwenden zu können.
Ob und wie das umgesetzt werden soll, ist unklar. Laut dem Altersforscher Franz Kolland von der Universität Wien gebe es zwar die Hypothese, dass ein tiefer Eingriff in das Erbgut und seine Veränderung Langlebigkeit beim Menschen erzeugen können, Beweise dafür gebe es allerdings nicht, wie er im Gespräch mit der futurezone sagt.
Zellteilung
Forschung zum ewigen Leben findet aber auch außerhalb der Genetik statt. So arbeiten etwa zahlreiche Tech-Unternehmen aus den USA an Möglichkeiten, altersbedingte Krankheiten auszulöschen und das Alter so zu überlisten. Ziel der Biotech-Firma Calico ist es etwa, einzelne Bausteine eines kranken Körpers zu untersuchen, um sie heilen zu können und den Tod so deutlich zu verzögern.
Ein Leben bis zu 150 Jahren will indes das Unternehmen Insilico Medicine ermöglichen. Eine künstliche Intelligenz (KI) wertet unter anderem Daten aus Blutproben aus und bestimmt das biologische Alter eines Menschen. In Folge soll sie zur Entwicklung von Diagnose-Instrumenten eingesetzt werden, um bestimmte Krankheiten, die sich auf das Alter auswirken können – etwa Eierstockkrebs – frühzeitig zu erkennen.
Wir wissen nach wie vor nicht, warum wir altern. Es gibt eine Reihe von Theorien, aber keine schlüssige wissenschaftlich basierte Antwort.
All diesen Ideen liegt allerdings ein grundlegendes Problem zugrunde: „Wir wissen nach wie vor nicht, warum wir altern. Es gibt eine Reihe von Theorien, aber keine schlüssige wissenschaftlich basierte Antwort. Und solange wir nicht wissen, was das Altern wirklich erzeugt, gibt es auch keine schlüssige Intervention“, sagt Kolland.
Technologie wesentlich
Technologie kann aber sehr wohl helfen, älter zu werden. „Die Technikverwendung trägt zur Lebensverlängerung bei, zum Überleben. Das ist bei höheren Lebewesen gut belegt“, sagt er. Schimpansen etwa setzen Stöcke ein, um bestimmte Früchte zu öffnen und sie verzehren zu können. Auch künstliche Intelligenz könne viel dazu beitragen: „Das sehen wir heute schon in bestimmten Bereichen, wie etwa der Insulinbehandlung bei Diabetes. In anderen Bereichen ist man aber noch nicht so weit“, sagt er.
Jene, die sich jünger fühlen, weisen einen schützenden Effekt auf ihre Gesundheit auf.
Zumindest aber kann uns Technologie jetzt schon jünger fühlen lassen, wie eine Studie von Lenovo mit über 15.000 Teilnehmern weltweit ergeben hat. 40 Prozent sollen sich dank Technologie viel oder etwas jünger fühlen. Unter anderem können ältere Generationen aufgrund der einfachen Handhabung smarter Geräte besser mit den Jungen kommunizieren und fühlen sich dadurch sachkundiger und lebendiger.
Laut Kolland ließe sich ein solcher Zusammenhang generell gut belegen und habe auch Auswirkungen auf die Gesundheit. „Jene, die sich jünger fühlen, weisen einen schützenden Effekt auf ihre Gesundheit auf“, sagt er. So sei ein 60-Jähriger, der sich wie 52 fühlt, möglicherweise gesünder als ein 60-Jähriger, der sich wie 60 fühlt. „Dennoch wissen wir zu wenig darüber. Fühlen hat einen Einfluss, aber es fehlt uns die saubere Evidenz.“
Stopp bei 120 Jahren
Nach aktuellem Wissensstand kann der Mensch jedenfalls um die 120 Jahre alt werden. „Die Französin Jeanne Calment ist mit 122 Jahren gestorben. Seit 1997 gab es aber niemanden mehr, der dieses Alter erreicht hat“, so Kolland. Die höchste durchschnittliche Lebenserwartung, die wir erzielen können, betrage 117 Jahre. „Das dauert aber noch einige Jahre“, sagt er.
Auch wenn Krankheit und Mehrfacherkrankungen im Alter zunehmen, sei es aus Sicht der Altersforschung und Gerontologie aber falsch, das Altern selbst als Krankheit zu definieren, wie es de Grey und andere Forscher tun. „Das Alter und das Lebensende gehören wie auch die Geburt und das Heranwachsen zum Lebewesen dazu“, sagt er. Viele ältere Menschen seien zudem gesund. „Eine meiner Untersuchungen zeigt, dass etwa 10 Prozent der über 90-Jährigen in Niederösterreich kein Pflegegeld beziehen – sie sind also gesundheitlich nicht bedeutsam eingeschränkt.“
Corona stiehlt uns ein Lebensjahr
Die Entwicklung der Lebenserwartung zeigt starke soziale Selektionsmechanismen, weiß Franz Kolland. „Menschen, die eine höhere Bildung und mehr Einkommen haben, oder in einer günstigen Wohnlage leben, werden älter“, sagt er. Seit 2014 ist die Lebenserwartung in einer Reihe von Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – dazu zählt auch Österreich – aber rückläufig. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten sei die rückläufige Lebenserwartung laut dem Experten beispielsweise von der hohen Arbeitslosigkeit beeinflusst. Die kann in Folge etwa zu Drogenkonsum führen.
Derzeit wird die Lebenserwartung in Österreich auch durch die Corona-Pandemie beeinflusst. „Die Statistik zeigt, dass wir 2020 ein halbes Jahr verloren haben und 2021 möglicherweise noch ein weiteres halbes Jahr verlieren werden“, sagt Kolland. In den USA war es 2020 sogar ein ganzes Jahr. „Es könnte aber sein, dass wir 2022 eine rasche ,Erholung' erfahren“, so der Fachmann. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn die Corona-Erkrankung eine Erkrankung mit vollständiger Genesung ist.
Kommentare