© BirdLife/Pavel Stepanek

Science

Wie man Adler Zehntausende Kilometer mit GPS tracken kann

Ende Oktober 2020 hatte Stephan genug vom österreichischen Herbst. Der junge Kaiseradler ließ seine burgenländische Heimat hinter sich, um nach einem Abstecher Richtung Budapest über Serbien und Rumänien einen Monat später die griechische Grenze zu queren. Der Erkundungsflug führte den Greifvogel bis zur südlichen Spitze des Peloponnes. Den Winter verbrachte er in der Nähe der Hafenstadt Preveza an der Westküste Griechenlands.

Die über 11.000 Kilometer, die Stephan geflogen ist, sind nur ein Bruchteil dessen, was Artgenosse Nam insgesamt zurückgelegt hat. Der im Jahr 2018 im Nordburgenland auf die Welt gekommene Adler hat nach Flügen von Rumänien bis hinauf zur Ostsee bereits über 73.000 Flugkilometer hinter sich, was beinahe einer doppelten Erdumrundung entspricht. Aktuell wartet er in Österreich auf wärmere Temperaturen.

Unter Beobachtung

Wo die jungen Adler sich herumtreiben, verraten ihre GPS-Sender am Rücken, die neben der Ortsbestimmung auch Außentemperatur, Flughöhe, Geschwindigkeit und die Ausrichtung des Körpers messen. „Über diese Daten können wir viel über das Verhalten und den Lebensraum der Tiere lernen und daraus Schutzmaßnahmen ableiten“, erklärt Matthias Schmidt von der Vogelschutzorganisation BirdLife im futurezone-Interview. Stephan und Nam sind zwei der rund 30 von BirdLife besenderten Kaiseradler, die wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse zum Erhalt der seltenen Greifvogelart liefern.

Die Besenderung von Wildtieren für Forschungszwecke hat eine lange Tradition. Aufgrund der Beschaffenheit der Sender kamen diese zunächst vor allem bei großen Tieren zum Einsatz. Auch Greifvögel werden bereits seit den 1980er-Jahren damit bestückt. „Natürlich ist das Anbringen eines Senders für die Vögel eine Belastung, sie darf nur von geschultem Personal durchgeführt werden. Bei großen Greifvögeln wie Kaiser- und Seeadlern ist die Methode auch wegen ihres Flugverhaltens aber gut erprobt. Über die Jahre sind die Sender zudem deutlich kleiner und leichter geworden“, sagt Schmidt.

Während bei Kaiseradlern bedenkenlos 25 Gramm schwere Sender verwendet werden können, gibt es bereits 5 Gramm leichte Sensoren, die sich sogar für Singvögel eignen. Generell gilt die Faustregel, dass der Sender nicht mehr als 3 Prozent des Körpergewichts betragen soll.

Wichtig für die Wildtierforschung

Neben Vögeln werden in Österreich vor allem auch Rotwild, Gämsen, Luchse und Wölfe besendert. Teils werden Sensoren auch im Körper implantiert oder in den Pansen (Vormagen) von wiederkäuendem Wild eingeführt. „Es geht längst nicht mehr darum, nur die Ortsbewegungen festzustellen. Über derartige Sonden können wir etwa den Herzschlag und die Körpertemperatur messen und so Rückschlüsse auf den Energieverbrauch und das Verhalten der Tiere ziehen“, sagt Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Die Technologie hinter den Tiersendern

Der technologische Fortschritt hat die Beobachtung von Tieren ungemein erleichtert. Musste man besenderten Tieren früher mittels Antennen am Boden per Auto oder zu Fuß hinterherjagen, wurden später Satelliten zur groben Ortung eingesetzt. Dies war nicht nur sehr ungenau, sondern auch extrem teuer. Das Senden der Daten  kostete  viel Energie, was die Sender relativ groß und schwer machte.

Das Ortungssystem GPS sorgte für weitaus präzisere Standortdaten, der Transfer der Daten an Satelliten blieb aber teuer und stromfressend. Mit den Handynetzen konnten viele Probleme gelöst werden. Der Sender verbindet sich nun einfach mit Mobilfunkzellen am Boden. Das ist billiger und benötigt weniger Energie, zudem können viel mehr Daten übermittelt werden. Dadurch wurden die Sender kleiner und leichter, Solarzellen sorgen für den nötigen Strom.

Empfänger auf der ISS

Als federführend bei der Miniaturisierung von Sendern gilt das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Die dort entwickelten Sensoren, die im Rahmen der Forschungsinitiative „Icarus“ zum Einsatz kommen, wiegen nur mehr 5 Gramm und können deshalb auch an kleinen, leichten Tieren angebracht werden. Die nächste Generation soll gar mit nur einem Gramm auskommen.

Der Sender ist auf minimalen Energieverbrauch optimiert und befindet sich meistens im Standby-Modus. Der Akku wird per Solar geladen. Durch den leistungsstarken Empfänger, der auf der Internationalen Raumstation ISS platziert ist, kann die Sendeleistung extrem gering gehalten werden. Die 220 Byte großen Datenpakete werden in dreieinhalb Sekunden übertragen. Weitere Gigabyte an Daten können auf dem Sender gespeichert werden.

„Wir haben etwa herausgefunden, dass Rotwild den Energiebedarf im Winter um 50 Prozent verringern kann, was die Absenkung der Körpertemperatur ermöglicht“, sagt Arnold. Aber auch andere bahnbrechende Erkenntnisse seien auf die Telemetrie zurückzuführen. So habe die Hirnstrommessung von Fregattvögeln auf Galapagos verraten, wie die Vögel auf ihren wochenlangen Flügen über das Meer schlafen können.

„Sie stürzen nicht ab, weil die Hirnhälften einzeln schlafen können. Macht die rechte Hälfte Pause, schließt sich das linke Auge, und umgekehrt“, erklärt Arnold. Ungeachtet dessen bleibe aber auch das GPS-Tracking faszinierend. Eine besenderte Wölfin aus Allensteig etwa legte auf dem Weg Richtung Karlsbad in wenigen Tagen 600 Kilometer zurück.

Viel Computerarbeit

Die Sensoren sind bereits so genau, dass man sogar verfolgen kann, wie sich ein Adler den Weg durch einen Windpark bahnt und  den gefährlichen Hindernissen ausweicht. Über die Flugdaten und  Bewegungsmuster kann man zudem ableiten, wo und wann die Vögel nach Beute jagen oder auf Erkundungsflügen nach neuen Revieren sind.

Dass die  technologischen Errungenschaften die Arbeit von Wildtierforschern stark verändert haben, bestätigt auch Arnold im futurezone-Gespräch: „Ein Feldforscher geht heute fast nur mehr hinaus, um ein Tier zu fangen und mit Systemen zu bestücken. Den Rest seiner Zeit verbringt er vor dem Computer, um zu sehen, wie und wo sich das Tier bewegt bzw. um Daten  aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und abzugleichen.“

Um die Lebensräume und Verhaltensweisen der Tiere zu verstehen, sind neben unzähligen GPS-Daten aus internationalen Forschungsprojekten auch Satellitenaufnahmen und Wetterdaten verfügbar. Diese liefern wertvolle Hinweise zum Vegetationszustand oder Mikroklima und können mit den Sensordaten der Tiere abgeglichen werden.

Der Mensch als Feind

Manchmal stoßen die Forscher aber auch auf Erkenntnisse, die zunächst gar nicht im Fokus standen. „Als wir 2011 mit der Besenderung von Kaiseradlern starteten, mussten wir leider erkennen, dass ein Drittel der in Österreich erbrüteten Vögel bereits in den ersten Jahren illegal geschossen oder vergiftet werden. Das  war uns in dem Ausmaß nicht bewusst“, sagt Vogelexperte Schmidt. Durch die Sender könne man Hinweise für die strafrechtliche Verfolgung der Täter gewinnen, aber auch andere Giftköder finden und so weiteres Tierleid verhindern.

Bei den mitteleuropäischen Kaiseradlern scheinen die Bemühungen um den Arterhalt zumindest langsam zu fruchten. Gab es in den 1980er-Jahren nur mehr 30 Brutpaare, wurden zuletzt erstmals über 300 Brutpaare in Mitteleuropa gezählt.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

mehr lesen
Martin Jan Stepanek

Kommentare