Warum N26 auf Hunderttausende Kunden verzichtet
Die überraschende Ankündigung von N26, den britischen Markt zu verlassen sorgt weiterhin für Diskussionsstoff. Damit wird freiwillig auf Hunderttausende Kunden verzichtet - eine genaue Zahl will N26 nicht nennen. Im Gespräch mit der futurezone ist die Bank bemüht, dem Brexit die ganze Schuld zuzuschieben. "Als europäische Bank mit europäischer Banklizenz müssten wir komplexe regulatorische Maßnahmen vornehmen, um weiterhin in Großbritannien tätig sein zu können", sagt N26-Sprecher Lars Müller.
"Zu viel Aufwand, zu komplex"
Eine separate Lizenz für Großbritannien sei mit einem erheblichen betrieblichen Aufwand und regulatorischer Komplexität verbunden. "Das Wachstumspotenzial ist dabei bei vergleichbarem Aufwand in anderen, größeren Märkten, wie zum Beispiel der EU und den USA, höher", teilt Müller mit. Aufgrund der vereinbarten Zeitleiste und den Rahmenbedingungen der Übergangsfrist könne man mit dem derzeitigen Setup nicht mehr in Großbritannien tätig sein und werde daher den Markt verlassen.
Nun ist es zwar unbestritten, dass N26 spätestens mit Ablauf der Übergangsfrist Ende 2020 einen Plan B bräuchte, da die europäische Banklizenz nach dem Brexit in Großbritannien nicht mehr gültig ist. Noch am 15. Oktober 2019 teilte die Bank seinen britischen Kunden allerdings mit, dass die bevorstehende Parlamentswahl am 31. Oktober zu keinerlei Änderungen für Kunden führen werde - egal, wie diese ausgehe. Der Blogbeitrag mit dem Titel "Wie sich N26 auf den Brexit vorbereitet", wurde mittlerweile gelöscht.
Starke Konkurrenz in London
Auch die Frage, warum die Bank nicht wie etwa in den USA mit einer dort ansässigen Bank weitermache, wollte N26 gegenüber der futurezone nicht direkt beantworten. Der Fokus liege 2020 auf den 24 europäischen Ländern, in denen man 2019 ein Rekordwachstum erreicht habe. Daneben soll der Markteintritt in den USA forciert und der Start in Brasilien vorbereitet werden. Die Mehrheit der in Großbritannien tätigen Mitarbeiter soll an andere N26-Standorte transferiert werden.
Marktbeobachter hegen allerdings Zweifel an der offiziellen Erzählung, dass der Brexit der alleinige Grund für den N26-Rückzug sein soll. So gab es seit Monaten Berichte, wonach sich das erfolgsverwöhnte Start-up in einem der größten Fintech-Zentren der Welt schwerer als anderswo tut. Denn trotz einer größeren Werbekampagne und Anfangserfolgen konnten Konkurrenten wie Revolut, Monzo, aber auch die Starling Bank teilweise mit besseren Nutzerzahlen punkten, wie etwa der Start-up-Blog Sifted im Dezember aufzeigte.
N26-Kunden haben nur noch bis April Zeit
Dass der starke Wettbewerb am Finanzmarktplatz London und ein enttäuschendes Wachstum eine Rolle für den N26-Rückzug aus Großbritannien gespielt habe, weist N26-Sprecher Müller gegenüber der futurezone zurück. "N26 ist heute Marktführer in den meisten europäischen Märkten und hat eine ähnliche Ambition für die USA - auch in diesen Märkten ist der Wettbewerb intensiv. Wir haben aber eines der besten digitalen Bankprodukte der Welt. Mit Wettbewerb können wir daher gut umgehen", sagt Müller.
Für die mehreren Hunderttausend Kunden in Großbritannien dürfte das nur ein schwacher Trost sein. Ihnen bleibt nach der Ankündigung der Bank nur mehr bis 15. April, um Geld von ihren N26-Konten auf eine andere Bank zu transferieren und sämtliche Daueraufträge zu ändern. Ab diesem Zeitpunkt werden britische Kunden zudem nicht mehr in der Lage sein, über die App auf die eigenen Kontoinformationen bzw. sämtliche über N26 abgewickelte Transaktionen zuzugreifen. Kunden wird empfohlen, diese Daten vorher zu sichern.
Besonders ärgerlich dürfte der abrupte Ausstieg der Bank für Inhaber der kostenpflichtigen Metal-Mastercard sein. Zwar wird der letzte Monat nicht mehr verrechnet. Kunden fallen offenbar aber auch etwa um den inkludierten Versicherungsschutz für bereits gebuchte Reisen um, wenn diese nach dem 15. April 2020 angetreten werden.
Konkurrenz reagiert mit Spott
Die Konkurrenz in Großbritannien hat die Situation schnell für sich genutzt und buhlt nun unverhohlen um die mehreren Hunderttausend N26-Kunden. Das Fintech Monese etwa lud Kunden, "die einen Brexit-sicheren britischen Bankaccount brauchen", sofort nach der N26-Mitteilung zum Wechseln ein. Die Starling Bank wiederum postete: "Gerade erfahren, dass deine Bank einen hastigen Brexit macht? Keine Sorge, wir werden hier bleiben."
Kein Image-Schaden befürchtet
Dass die Entscheidung, mehrere Hunderttausend Kunden praktisch von heute auf morgen zurückzulassen, das Image der erfolgreichen Bank auch in anderen Ländern beschädigen könnte, glaubt man bei N26 nicht. Einerseits habe man die nächsten Schritte für die britischen Kunden sorgfältig vorbereitet. Andererseits herrsche Verständnis darüber, dass der Brexit eine absolute Ausnahmesituation darstelle, heißt es aus dem Umfeld der Bank.
Große Sorgen muss man sich um N26 trotz des Rückschlags in Großbritannien aktuell wohl nicht machen. Wie die erstmals veröffentlichten Geschäftszahlen für das Jahr 2018 zeigen, konnte die Bank die Umsätze auf 43 Millionen Euro vervierfachen. Die Verluste stiegen im selben Zeitraum um mehr als das Doppelte auf über 73 Millionen Euro. Auf Basis dieser Zahlen konnte N26 zwei erfolgreiche Finanzierungsrunden Anfang und Mitte 2019 abschließen - die Unternehmensbewertung liegt aktuell bei 3,5 Milliarden Dollar.