Digital Life

"Ganz besonders mag ich 'Urinieren verboten! Hochspannung'"

Das erste Verbot ging am 28. Mai 2014 online. Seither hat PR-Berater und Netzaktivist Werner Reiter fast jeden Tag ein neues Verbotsbild veröffentlicht.1795 Bilder sind seit dem Start auf verbote.gallery zusammen gekommen. Die futurezone hat mit Reiter über die Hintergründe seines Webprojekts geplaudert.

futurezone: Wie entstand die Idee für die Verbote-Galerie?
Werner Reiter: Begonnen hat es mit einem Foto eines besonders absurden Verbotes, das ich vor Jahren auf Twitter geteilt habe. Das hat damals zu mehr Interaktion geführt als die Bilder meines Abendessens. Das Bild ist heute mit einiger Mühe noch irgendwo in den Untiefen der Twitter-Datenbanken auffindbar. Mir ist es aber lieber, wenn die Verbotsbilder auf einem Webauftritt gesammelt sind, der mir gehört. Den gibt es seit mittlerweile fünf Jahren.

Was sind deine Lieblingsverbotstafeln und warum?
Ganz besonders mag ich "Urinieren verboten! Hochspannung“. Da frage ich mich, warum man Menschen verbieten muss, auf eine Starkstromleitung zu pinkeln. Eine Warnung sollte doch ausreichen! Wirklich nachdenklich machen mich aber andere Verbote. Etwa wenn untersagt wird, über Politik zu sprechen. Ein Bekannter hat mir ein solches Verbot aus einem Antiquariat in Prag geschickt. Es stammt aus der Zeit der Sozialistischen Republik. Wer glaubt, dass es so etwas heute in der EU nicht mehr gibt, irrt sich leider: In Ungarn gilt ein solches Verbot beim Fußballstation im Wohnort Viktor Orbáns.

Was machen Verbote mit einem? Und mit der Gesellschaft?
Es gibt unterschiedliche Ansätze, menschliches Verhalten und das Zusammenleben in Gesellschaften zu steuern: Man kann auf besseres Verständnis für die Konsequenzen von Handlungen abzielen – also auf Eigenverantwortung.  Man kann aber auch mit Reglements und Sanktionen arbeiten. Beides hat seine Berechtigung. Auch wenn ersteres meinem Menschenbild eher entspricht, bin ich nicht generell gegen Verbote. Wenn sie überhand nehmen und der öffentliche Raum nur mehr mit Schildern gespickt ist, was man alles nicht darf, dann geht das eindeutig zu weit. Dann fühle ich mich als Bürger gegängelt.

Eine kleine Anekdote zum Thema veranschaulicht das Problem ganz gut: Der Medienkünstler Peter Weibel hat vor Jahrzehnten in Stein gemeißelt: „Es ist verboten zu verbieten“.  Als ich diesen Stein 2015 in einer Weibel-Ausstellung fotografieren wollte, wurde mir das von der Mitarbeiterin des Museums untersagt. Ich wollte von ihr wissen, ob Fotografieren verboten sei. Ihr Seufzen klingt mir heute noch in den Ohren.

Jeder übertritt gern einmal ein Verbot: Führen solche Schilder nicht genau zum Gegenteil?
Ich weiß zwar nicht, ob damals im Paradies ein Verbotsschild hing, jedenfalls hatte die Übertretung des Verbots, vom Baum der Erkenntnis zu essen, einen recht angenehmen Nebeneffekt: Adam und Eva stellten fest, dass sie nackt sind. Seitdem vergnügen sich die Menschen bei der schönsten Sache der Welt.

Was für Verbote sind dir besonders häufig zugeschickt worden? Bzw. hast du alle Schilder selbst gesammelt, oder wurden auch welche geschickt?
Mir schicken immer wieder Leute Verbote zu. Am meisten freue ich mich immer über welche aus anderen Weltregionen, die etwas über die jeweilige Kultur erzählen.

Was sollte deiner Meinung nach überhaupt verboten werden, und wofür braucht die Gesellschaft keine klaren Anweisungen, etwas *nicht* zu tun?
Schwierige Frage. Ich habe keine allgemeingültige Antwort darauf. Nehmen wir zwei viel diskutierte Beispiele. Ich bin zum Beispiel für strengere Waffengesetze, weil es evident ist, dass Verbote in dem Bereich Menschenleben retten. Ich bin allerdings gegen Kopftuchverbote, weil sie ein Kleidungsstück verbannen, das vielfach als Symbol für ein Problem decodiert wird. Am eigentlichen Problem – nämlich an Unterdrückung von und Gewalt an Frauen – ändert das gar nichts. Vielfach ist das Kopftuch nicht einmal das wofür es gehalten wird.

Gehört Überwachung immer verboten?
Hier muss ich präzisieren: Anlasslose Massenüberwachung gehört jedenfalls immer verboten. Gegen andere Formen ist nicht immer etwas einzuwenden. Es braucht allerdings entsprechend schwerwiegende Anlassfälle, eng gesteckte Rahmenbedingungen und vor allem einen starken Rechtsschutz, damit Überwachungsmaßnahmen eingesetzt werden dürfen.

"Unser tägliches Verbot gib uns heute" ist im Netz unter verbote.gallery zu finden.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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