Britischen Soldaten wird im neuen Panzer kotzübel
Soldaten mussten sich übergeben, als sie aus dem Panzer ausstiegen. Manche zitterten am ganzen Körper, klagten über Schwindel, konnten ihre Beine nicht mehr spüren oder litten an einem Hörsturz.
Was wie die Folgen eines Angriffs mit biologischen oder chemischen Waffen klingt, war die Schuld des eigenen Kriegsgeräts. Ausgerechnet der neueste Panzer der britischen Armee scheint seine Besatzung krank zu machen.
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Zwangspause für Ajax
Wie Sky News berichtet, ereignete sich der Vorfall bei der Übung Iron Fist, die schon am Wochenende stattgefunden hatte. Die betroffenen Soldaten sollen im Laufe der Übung insgesamt zwischen 10 und 15 Stunden im Panzern des Typs Ajax verbracht haben.
Laut dem britischen Verteidigungsministerium sei der Großteil der Soldaten wieder fit und einsatzfähig. Einige seien aber immer noch in medizinischer Behandlung. Als Reaktion wurde ein vorläufiges Fahrverbot für Ajax ausgesprochen, das 2 Wochen dauern soll. In dieser Phase sollen kontrollierte Tests stattfinden, um die Probleme zu identifizieren und zu lösen.
Allerdings gibt es da nicht viel zu identifizieren: Die Probleme mit Ajax sind schon seit Jahren bekannt. Trotzdem wurde erst Anfang November erklärt, dass der Panzer den IOC-Status (Initial Operating Capability) erreicht hat, also einsatzfähig ist.
Erste Berichte über Probleme im Jahr 2018
Die Ursache für die gesundheitlichen Probleme sind der Lärmpegel und die Vibrationen in Ajax. Die ersten dokumentierten Hinweise darauf gab es im Dezember 2018. Im November 2020 wurden die Truppenerprobungen des Panzers wegen dieser Probleme erstmals pausiert. 2021 wurden als Folge der Tests im Vorjahr über 300 Soldaten zum Hörtest geschickt, 17 davon waren noch in medizinischer Behandlung.
Im Jänner 2025 wurde Ajax schließlich in größerer Stückzahl an 3 Einheiten der britischen Armee ausgeliefert. Im Sommer mussten einige Soldaten ins Krankenhaus, weil sie Hörschäden und Verletzungen durch die Vibrationen im Panzer hatten.
Ajax
© MOD
Anfang November sagte das Verteidigungsministerium, dass eine „kleine Anzahl“ von Soldaten Probleme aufgrund von Lärm und Vibrationen hatten, nachdem Tests von 3 Ajax-Varianten durchgeführt wurden. Aber man habe „keine systemischen Fehler“ nach einer Untersuchung gefunden.
Als kurz darauf der IOC-Status verkündet wurde, hieß es von Luke Pollard, Staatssekretär für die Rüstungsbeschaffungen von Großbritannien: „Wir haben alle Probleme gelöst, die Ajax vielleicht in der Vergangenheit gehabt hat.“
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Vibrationen schaden nicht nur der Crew
Der aktuelle Vorfall zeigt, dass die Probleme anscheinend immer noch vorhanden sind. Schon 2021 hat RUSI, ein Think Tank für britische Sicherheitspolitik, genau diese Probleme angesprochen und konkretisiert. Ajax galt demnach immer schon als lautes Fahrzeug. Die Headsets der Crew haben das laute Motorgeräusch mit ihren Mikrofonen aufgenommen und direkt in die Ohren der Besatzung weitergeleitet.
Ajax
© MOD
RUSI übte hier scharfe Kritik, weil dieses Problem eigentlich bei üblichen Lärmpegeltests in Panzern hätte auffallen müssen. Aus heutiger Sicht muss man sich zudem fragen, wieso das Problem anscheinend immer noch besteht. Headsets auszutauschen, sollte eigentlich innerhalb von 4 Jahren möglich sein.
Die starken Vibrationen im Panzer führte RUSI auf eine mangelnde Qualitätskontrolle des Herstellers General Dynamics Land Systems UK (GDLUK) zurück. Diese Vibrationen würden nicht nur die Besatzung schädigen, sondern auch Ajax selbst. Sie können elektronische Systeme beschädigen und den Verschleiß von Komponenten beschleunigen. Als besonders besorgniserregend sei das regelmäßige Abscheren der Kettenräder zu werten. Außerdem würde wegen der Vibrationen die Stabilisierung der Kanone während der Fahrt nicht richtig funktionieren, was die Präzision drastisch senkt.
Ajax von vornherein eine Fehlkonstruktion?
Selbst, wenn Ajax nicht die Probleme mit Lärm und Vibration hätte, wird seine Nützlichkeit am Schlachtfeld in Frage gestellt. Die Grundversion von Ajax hat eine 40-mm-Kanone mit einer Feuerrate von 200 Schuss pro Minute und einer maximalen Reichweite bis zu 8,5 km. Diese liefert deutlich mehr Feuerkraft als etwa die 25-mm-Kanone des amerikanischen Schützenpanzers M2 Bradley.
Mehr Feuerkraft für einen Schützenpanzer ist durchaus willkommen – nur ist Ajax kein Schützenpanzer. Während der Bradley Platz für bis zu 7 Soldaten im Transportraum hat, sind es bei Ajax 0. Die Ajax-Crew von 3 Personen kann höchstens um eine vierte erweitert werden, einen Transportraum für Truppen gibt es nicht.
Ein leichter Kampfpanzer ist Ajax aber auch nicht: Diese haben üblicherweise eine Bewaffnung in Größenordnung einer 105-mm-Kanone und damit mehr Feuerkraft. Als Aufklärungspanzer ist Ajax auch nicht wirklich geeignet, da es dafür an der Ausstattung mangelt und sein Gewicht mit 38 bis 42 Tonnen sogar das eines leichten Kampfpanzers übersteigt.
Chinesischer leichter Kampfpanzer Type 15
© PLA
JURI fast das so zusammen: „An der Seite des Kampfpanzers Challenger 3 kann Ajax keine Infanterie zum Einsatzziel bringen und keine Aufklärungsfunktionen auf Divisionsebene erfüllen. Als Teil der Division Deep Recce Strike, die im feindlichen Hinterland operiert, wird es schwer sein, ihn instand zu halten. Sein hohes Gewicht, Komplexität und die Größe machen es schwierig, Ajax als Teil von leichten Truppen einzusetzen. Er eignet sich nicht für den Wunsch der britischen Armee, abseits der nationalen militärischen Infrastruktur mit höherer Effizienz zu agieren.“
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Wurzeln in Österreich
Das Ajax-Programm hat österreichische Wurzeln. Zusammen mit Spanien wurde Ascod (Austrian-Spanish Co-operative Development) im Jahr 1988 ins Leben gerufen. Die Produktion der ersten Schützenpanzer begann 1996. Beim Bundesheer wurde Ascod als Ulan eingeführt, in Spanien ist er der Pizarro.
Beides sind Schützenpanzer mit Kettenantrieb. Die Crew besteht auf 3 Mann, im Transportraum haben 8 Soldaten Platz. Die Hauptbewaffnung ist eine 30-mm-Kanone mit einer Feuerrate von bis zu 700 Schuss pro Minute. Die effektive Reichweite wird mit 3 km angegeben.
Der Ulan wiegt 28 Tonnen, Pizarro 23,8 Tonnen. Zu beiden gab es keine umfangreichen Berichte, die auf gefährliche Lautstärke oder Vibrationen im Panzer hindeuten.
Aus Ascod 2 wird Ajax
General Dynamics hat die Ascod-Hersteller übernommen: das spanische Santa Bárbara Sistemas in 2001 und die Steyr-Daimler-Puch Spezialfahrzeug GmbH in 2003. 2004 wurde von General Dynamics Ascod 2 vorgestellt.
Die Plattform ist stärker motorisiert und auch größer, weil sie nicht nur als Schützenpanzer, sondern als ganze Palette von Militärfahrzeugen dienen soll, bis hin zur 155-mm-Artillerie. Damit wurde Ascod 2 als Konkurrenz zum deutschen GTK Boxer positioniert. Der ist ein 4-achsiger Radpanzer mit zahlreichen Modulen für verschiedene Missionen, Auch eine Variante mit Kettenantrieb ist verfügbar.
Die britische Regierung hat sich 2010 für Ascod 2 entschieden und machte daraus das Ajax-Programm. Dieses umfasst 6 Varianten auf Basis der Plattform. Es wurden 589 Stück bestellt. 245 sind Varianten mit Turm, die einfach nur Ajax genannt werden. 256 sind Truppentransporter in den Ausführungen Ares, Athena (Kommandofahrzeug) und Argus (Aufklärungspioniere). Dazu kommen noch 50 Reparaturfahrzeuge (Apollo) und 38 Bergepanzer (Atlas).
12 Millionen Euro pro Ajax
Ursprünglich sollte Ajax schon im Jahr 2017 IOC-Status erreichen. Dann hieß es vom britischen Verteidigungsministerium, dass dies „zu 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ im September 2021 passieren wird. Tatsächlich war es dann eben im November 2025 so weit.
Die Full Operating Capacity (FOC), also vollständige Einsatzbereitschaft, könnte sich noch 4 Jahre hinziehen. Das war zumindest der Plan vor der 2-wöchigen Pause. Je nachdem, was die Untersuchung ergibt, könnten nötige Umbauarbeiten die FOC weiter nach hinten schieben.
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2023 wurden die Kosten des gesamten Ajax-Programms mit umgerechnet 7,19 Milliarden Euro beziffert. Das bringt den Stückpreis auf etwa 12,2 Millionen Euro, sofern es bei der geplanten Bestellung von 589 Stück bleibt. Bisher wurden 165 Stück ausgeliefert.
Durch die Bestellung von 6 Varianten soll das Ajax-Programm bei der britischen Armee gleich mehrere andere Panzer ersetzen. Dazu gehören die Panzer der FV430-Reihe. Zu der zählt auch der Truppentransporter FV432, der ab 1962 produziert wurde und bei der britischen Armee immer noch aktiv ist.
Ein FV432 in der Ausführung Mk3 Bulldog
© MOD
Auch der etwas jüngere FV510 Warrior, der seit 1986 gebaut wird, soll bald ersetzt werden. Dabei handelt es sich um einen klassischen Schützenpanzer mit 30-mm-Kanone und Platz für 7 Soldaten im Transportraum. Weil es aber im Ajax-Programm keinen Schützenpanzer gibt, soll der Warrior durch den Boxer ersetzt werden.