Wie im Gemeindebau natürlich gekühlt wird
Streng genommen ist ja das Betreten der Grünflächen in Wohnhausanlagen der Stadt Wien verboten. Doch Helmut Chrobak darf über seinen „Wildblumenrasen“ schreiten. Der Mieterbeirat in der Kongresssiedlung an der Lainzerbachstraße kann nachweisen, dass die von ihm täglich inspizierte Wiese nicht nur die Juli-Hitze besser verträgt.
Chrobak ist ein Kind des Gemeindebaus, wohnt seit seiner Geburt im Jahr 1957 hier. Er trägt ein Leiberl mit der Aufschrift wiesendoktor, und er darf von sich sagen, dass er einer der ersten Umweltberater in Wien war.
Sein Zugang: „Unser Gras wird nicht kürzer als zehn Zentimeter geschnitten.“ Das hat viele Vorteile. Den zentralen aus Sicht jener, die hier wohnen, erklärt der engagierte Nachbar so: „Dadurch bleibt der Boden feucht und kühlt den Hof.“ Eigene Messungen hätten tagsüber eine Senkung der Temperatur von mehreren Grad ergeben.
Primeln und Veilchen
Global betrachtet interessant: „Die Mitarbeiter im Auftrag von Wiener Wohnen mussten unseren Rasen in diesem Jahr kein einziges Mal gießen.“ Dabei ist er deutlich weniger ausgedörrt als viele andere öffentliche Grünflächen. Die Augen des Mieterbeirats leuchten, wenn er von den Wildblumen erzählt, die vor seiner Haustür im Frühjahr zu sehen waren: „Gänseblümchen, aber auch gelb blühender Hahnenfuß, Kissenprimeln und Duftveilchen.“
Wenn Helmut Chrobak über sein Herzensprojekt spricht, sollten sich zufällig oder geplant Vorbeikommende ausreichend Zeit nehmen. Mitarbeiter von Wiener Wohnen müssen ihm öfters entgegenhalten, was nur auf den ersten Blick nicht logisch erscheint: Weniger oft mähen würde aufgrund der komplizierten Betreuung der gut 2200 Gemeindebauten in Wien insgesamt nicht weniger, sondern mehr kosten – Geld, das von den Mietern aufgebracht werden muss.
„Doc Chrobak“
Dessen ungeachtet wird das langjährige Engagement von „Doc Chrobak“ in einigen Dienststellen der Stadt Wien durchaus wertgeschätzt. So läuft derzeit in Kooperation mit dem Umweltbundesamt auch in der Kongresssiedlung eine Studie, welche die konkreten Klimaeffekte des sogenannten „Wildblumenrasens“ ermitteln soll (siehe Kasten).
Das Betreten des Rasens vor der 1er-Stiege scheint tatsächlich keine Sünde zu sein. Dazu merkt der Mieterbeirat an: „Er ist betretbar und für Kinder bespielbar. Bei einer Wuchshöhe von zehn bis zwanzig Zentimeter stellt er sich innerhalb von zwölf bis 24 Stunden wieder auf.“
Einer wie Chrobak mag kein Einfacher sein, zumindest aus Sicht der größten Hausverwaltung der Welt, wie Wiener Wohnen auch genannt wird. Um den Wandel des Klimas doch noch zu stoppen, sind positiv Verrückte wie er allerdings sehr hilfreich. Kaum einer kennt die Stadtnatur in seinem Bau besser als er. Kaum jemand kann mehr Interesse daran haben, dass sie intakt bleibt, als er – und alle anderen Bewohner.
Noch etwas spricht in der Kongresssiedlung für den engagierten Mieterbeirat. Der wundert sich selbst: „Ich kenne in meiner Nachbarschaft so gut wie niemanden, der gegen unsere Initiative ist.“