Warum Millionen Menschen den Landwirtschafts-Simulator spielen
Fußball spielen, als Cowboy durch die Prärie reiten oder Auftragsmörder im alten Griechenland: Die Rangliste der meistverkauften Videospiele wurde auch 2018 von alten Bekannten dominiert. Doch eine Ausnahme sticht hervor: der Landwirtschafts-Simulator 2019. Weltweit wurden allein in den ersten zehn Tagen eine Million Stück verkauft. Wie viele davon auf Österreich entfielen, ist unklar. Laut Astragon Entertainment, das das Spiel vertreibt, ist Österreich neben Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich einer der größten Märkte für den Titel. Die Agrar-Simulation, in der man eine Landwirtschaft alleine oder gemeinsam mit anderen Spielern betreibt, wird in der Schweiz vom Studio Giants Software entwickelt.
Während bei der ersten Version 2008 noch unklar war, ob es überhaupt einen Markt für derartige Spiele gibt, lässt man bei den Verkaufszahlen mittlerweile große Namen wie Pokémon und den Shooter Battlefield hinter sich. Auf Amazon.de war die PC-Version des Landwirtschafts-Simulators sogar auf Platz drei der meistverkauften Videospiele des Jahres, hinter den PlayStation-Versionen von FIFA 19 und Red Dead Redemption 2.
Die Agrar-Simulation ist künftig sogar im E-Sport vertreten. Giants Software hat die Farming Simulator League gegründet, bei der in der ersten Saison um ein Preisgeld in der Höhe von 100.000 Euro gekämpft wird. Bereits im Sommer sollen die ersten der insgesamt zehn Turniere ausgetragen werden, das große Finale ist für die FarmCon 2020 geplant. Ob man hierfür auch Halt in Österreich macht, ist unklar. Laut einer Astragon-Sprecherin wäre ein Event in Österreich "natürlich eine sehr interessante Sache", bestätigt sei aber noch nichts.
Wie der Spielmodus genau aussehen wird, gab Giants Software ebenfalls noch nicht bekannt. Doch vom Erfolg ist man überzeugt: Eine zweite Saison wurde bereits bestätigt, in der das Preisgeld auf 250.000 Euro ansteigen soll. Langfristig soll die Liga zu einer „Formel 1 der Landwirtschafts-Simulatoren“ aufsteigen, drei namhafte Hersteller von Agrar-Maschinen werden Werksteams stellen.
Das große Selbstvertrauen rührt wohl auch daher, da die Community bereits seit mehreren Jahren kompetitive Bewerbe austrägt. Eigentlich war der Multiplayer-Modus lediglich dafür vorgesehen, damit mehrere Spieler gemeinsam eine Landwirtschaft betreiben können, doch rasch nutzten Spieler die Möglichkeiten auch zum Kräftemessen und stapelten Heuballen um die Wette. Wer am schnellsten fertig wurde, gewann den Bewerb. Ein entsprechender Event auf der Fachmesse AgriTechnica zog große Menschenmassen an, eine Fortsetzung auf der Hausmesse FarmCon 2018 war ähnlich erfolgreich.
Doch wieso ist ein Spiel, in dem man in die Rolle eines Landwirtes schlüpft, dermaßen populär? Auch für Astragon, das sich auf Simulatoren, unter anderem den in Österreich entwickelten Bus-Simulator, spezialisiert hat, ist der Landwirtschafts-Simulator eine Ausnahme.
Die Verkaufszahlen sind deutlich höher als bei anderen Titeln im Portfolio. Für Thomas Kunze, dem Gründer des Games Institute Austria, ist der Erfolg der Reihe nachvollziehbar. „Die Faszination für große Maschinen findet man bei Jungen sehr oft. Der Simulator bietet jedem da einmal die Gelegenheit, so etwas auszuprobieren“, sagt Kunze. „Der oft genannte Eskapismus spielt da kaum eine Rolle. Ergänzend kommt dazu, dass diese Spiele sehr langsam sind und entschleunigend wirken.“
Ein wichtiger Bestandteil des Erfolges dürfte auch die Community sein, die mit Mods, neuen Karten, Maschinen, Fahrzeugen und anderen Inhalten zusätzliche Anreize bietet. Auch aus Österreich finden sich zahlreiche Regionen, wie die Südsteiermark oder die Tiroler Alpen zum Download in den Foren. Sogar österreichische Radiosender können in das Spiel geladen werden, sodass man beispielsweise während der Fahrt mit dem Mähdrescher entspannt Radio Steiermark hören kann.
Zu dieser Community zählt auch der Steirer Florian, der seit dem Landwirtschafts-Simulator 2009 aktiver Spieler ist. Vor fünf Jahren begann er dann, auch selbst Traktoren, Texturen und Maps zu entwerfen. "Mit den Maschinen und Texturen habe ich heute fast gar nichts mehr am Hut", erklärt Florian im Gespräch mit der futurezone. Unter dem Namen "Styria Modding" veröffentlicht er gemeinsam mit einem Freund seine Kreationen. Während dieser sich eher mit dem Nachbau bekannter Agrar-Maschinen beschäftigt, widmet sich Florian Maps. "Ich war immer schon der kreative Mensch, der keine Vorgaben wollte, sondern einfach seine eigene Welt erstellen will", erklärt Florian, der den Bau neuer Karten mit Minecraft vergleicht.
Inspiriert von der Realität
Im Frühjahr 2015 begann er mit der Arbeit an seiner ersten Map, "Steirische Bergwelten", für die er sich von Regionen und Nationalparks aus ganz Österreich inspirieren ließ. Der Aufwand ist groß, alles beginnt mit einer grünen Fläche: "Und aus dieser grünen Karte erschaffen wir eine Welt für Spielerinnen und Spieler, die begeistern soll." Dazu platziert er neben Ackerflächen auch "steile Wiesen, blaue Bergseen sowie kleine bis große Nadel- und Mischwälder". Damit die Karte auch Spielern Spaß macht, muss er die Feldgrößen genau planen. Zwischen einem halben und fünf Hektar - typisch für Kärnten, Steiermark und Niederösterreich - sind die Felder groß, "damit die Arbeit, die man im Spiel absolviert, nicht ewig dauert".
In den vergangenen Jahren hat er nach eigenen Angaben rund 2000 Stunden an Arbeit in seine Projekte gesteckt, das positive Feedback der Community - er betreibt auch einen YouTube-Kanal, auf dem er seine Kreationen präsentiert - spornt ihn an, weiterzumachen. Er selbst hat eine Ausbildung absolviert und ist auf einem knapp 250 Hektar großen Ackerbaubetrieb tätig. Warum spielt er auch virtuell Landwirt? "Hier bin ich frei von der Wirtschaftsform", erklärt Florian. "Ich kann mich frei zwischen Ackerbau, Viehwirtschaft oder Forstwirtschaft entscheiden und es dann im Multiplayer gegen Kollegen testen." Ohnedies mache es ihm am meisten Spaß, mit anderen Menschen gemeinsam zu spielen.
Spiel könnte Ruf von Landwirten verbessern
Obwohl der Großteil der Spieler keine eigene Landwirtschaft besitzt, ist der Anteil an Personen mit Bezug zum Thema deutlich größer als in anderen Titeln. Laut Giants Software hat knapp ein Viertel Bezug zur Landwirtschaft, acht bis zehn Prozent sind Vollzeit-Landwirte. Letztere schätzen vor allem die Tatsache, große und kostspielige Maschinen ausprobieren zu können, die für sie in der Realität wohl unleistbar wären. In Österreich gab es laut dem Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus 161.200 land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Obwohl diese Zahl seit mehreren Jahren sinkt, hat sich der Abwärtstrend zumindest zuletzt verlangsamt.
Das dürfte wohl nicht auf den Landwirtschafts-Simulator zurückzuführen sein. Ob ein Laie über den Landwirtschafts-Simulator tatsächlich lernen kann einen Bauernhof zu führen, kann Kunze nicht einschätzen. Kunze gilt als Experte für die Bedeutung von Videospielen für die Arbeitswelt: „Würde man einen Landwirt fragen, würde der vermutlich ,Nein' sagen, weil das Ganze zu sehr simplifiziert wurde.“ Der Simulator würde aber dennoch gewisse Fähigkeiten verbessern, vor allem wenn man mit anderen Menschen zusammenspielt. „In der Liga treten ja Teams gegeneinander an. Das fördert vor allem Kommunikation und Kooperation.“
Kunze zufolge könnte sich die Popularität des Spiels aber auch positiv auf den Ruf der Landwirte auswirken: „Es tritt ein Effekt ein, den ich auch bei Zugsimulatoren beobachten konnte, dass durch die Erfahrung die Wertschätzung zunimmt. Der Ruf des Bauern wird positiver und das Verständnis für den Beruf wird größer, weil man in den Arbeitsalltag eintauchen kann.“