Meinung

Mikroplastik: Magnet für Umweltgifte

Wir bewegen uns auf Mikroplastik, wir schwimmen darin, wir atmen es ein, wir essen es. Fünf Gramm davon stehen wöchentlich auf unserem Speiseplan, das ist so viel wie eine Kreditkarte. Aufs Jahr sind das pro Kopf 1,8 Kilo Plastik, 52 Kreditkarten. Das wäre ja bereits für sich alarmierend genug. Forscher*innen in Tel Aviv haben aber nun herausgefunden, dass Mikroplastik im Ozean zu allem Übel wie ein Magnet auf organische Umweltgifte wirkt und deren toxische Wirkung signifikant erhöht. Für den Menschen ursprünglich nicht toxische Konzentrationen an Umweltschadstoffen werden damit um ein Vielfaches giftiger, wenn sie sich auf der Oberfläche von Mikroplastik anlagern.

Um den Faktor 10 toxischer

Für die gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Mikro- und Nanoplastik gibt es zunehmend Nachweise, auch wenn sie vergleichsweise wenig erforscht sind. Die winzigen Teilchen können etwa menschliche Zellen abtöten und Bakterien gegen Antibiotika resistent machen. Besorgniserregend ist das neuestes Forschungsergebnis, das aufzeigt, wie viel schädlicher Mikroplastikteilchen gepaart mit Umweltschadstoffen werden, auf die sie im Laufe der Zersetzung im Meer treffen. Über Jahrzehnte hinweg beladene Partikel können durch Lebensmittel und Trinkwasser in unsere Körper gelangen, wo sie die Giftstoffe in unmittelbarer Nähe der Zellen im Verdauungstrakt freisetzen. So verstärken sie die Toxizität dieser Substanzen enorm, nämlich um den Faktor zehn.

Allgegenwärtig: Vom tiefsten Meeresgrund bis zu höchsten Berggipfeln

24,4 Billionen Mikroplastikstücke schwimmen in den Weltmeeren. Ihr Gesamtgewicht von 82.000 bis 578.000 Tonnen entspricht 30 Milliarden Halbliter-Plastikwasserflaschen. Zu dieser unvorstellbaren Zahl an Plastikteilchen im Meer kommen noch die Mikro- und kleineren Nanopartikel hinzu, die sich inzwischen schier überall finden. Mikroplastik steckt in den Böden und in der Luft, es wird von dort wieder in die Meere und Flüsse getragen und umgekehrt. Die Plastikteilchen sind Langstreckenflieger und es gibt keinen Winkel mehr auf diesem Planeten, an dem sie nicht nachweisbar sind. Im Winter schneit es in den Alpen Plastik, und das nicht aus Kunstschneekanonen, sondern auf ganz natürlichem Wege. Viele Milliarden Plastikteilchen, so winzig wie Viren, landen auf einem Quadratmeter Neuschnee. Täglich. Das haben Forscher*innen bei Messungen am Sonnblick-Observatorium entdeckt, abgelegen in den Hochalpen, am Gipfel des Hohen Sonnblicks in 3106 Metern Seehöhe.

Mikroplastik durch Recycling

Das Problembewusstsein für Plastikabfälle ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Höhere Recyclingquoten, die häufig als bester Lösungsansatz präsentiert werden, sind aber langfristig kein geeignetes Mittel im Kampf gegen die Klimakrise. Das Recycling von Kunststoffen zählt nämlich selbst zu einer der relevanten Quellen von Mikroplastik. Rund 750 Tausend Tonnen entstehen dabei jährlich, wahrscheinlich zu einem Großteil in jenen Ländern, in die Plastikabfälle verschifft werden, wo sie aufgrund geringer Sozial- und Umweltstandards ausbeuterisch billig und daher auch ohne Vorkehrungen gegen Mikroplastikemissionen recycelt werden. Davon profitiert die Abfallwirtschaft jener Länder, die ihren Plastikmüll zur Verwertung exportieren. Der Handel mit Plastikabfall ist ein lukratives und schmutziges Geschäft geworden, für das strenge Regeln häufig nur auf dem Papier bestehen und umfassende Kontrollen fehlen.

Klimakiller Plastikproduktion

Nicht nur die Entsorgung von Plastik ist eine der größten Belastungen unserer Zeit, auch die Plastikproduktion ist ein Klimakiller. Eine Studie der ETH Zürich kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die dabei entstehenden Schäden sogar noch größer sind, als bisher angenommen. Seit 1995 hat die steigende Nachfrage nach Kunststoffen den CO2-Fußabdruck verdoppelt und erreichte im Jahr 2015 zwei Milliarden Tonnen CO2-​Äquivalent. Das entspricht 4,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen, mehr als bisher angenommen. Die gesundheitlichen Folgeschäden sind im gleichen Zeitraum um 70 Prozent gestiegen. Plastik kostet die Menschheit allein durch die Feinstaubbelastung durch fossile Brennstoffe in der Produktion 2,2 Millionen gesunde Lebensjahre.

Ade, Plastikzyklus

Wir sehen anhand der neuesten Forschungsergebnisse, dass sowohl die Entstehung von Kunststoffen als auch ihr Ende als Mikroplastik auf unserem Teller um ein Vielfaches schädlichere Auswirkungen hat, als man noch vor wenigen Jahren angenommen hat. Die Schlussfolgerung daraus muss sein, dass es schlichtweg kein Geschäft mehr mit dem Kunststoffzyklus geben darf. Die Bürde, die wir uns mit den bis heute aufgetürmten Plastikbergen auferlegt haben, wird uns ohnedies ausreichend auf Generationen hin beschäftigten. In Österreich wird deshalb gerade an einer umfassenden Mikroplastikstrategie gearbeitet, die allerdings auf einer bestehenden Schwäche aufbauen muss: Es gibt noch keine einheitliche Regulierung für Mikroplastik. Solange es keine klaren Regelungen und entsprechende Handhabe für scharfe Kontrollen und Sanktionen gibt, wird sich jemand finden, der Schlupflöcher gewinnbringend zu nutzen weiß. Am Ende kann Mikroplastik nur dann effektiv bekämpft werden, wenn Plastik radikal verbannt wird.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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