Meinung

Unsterblichkeit: Warum Tech-Milliardäre Quallen zu Unrecht beneiden

Eine Qualle hat kein besonders glamouröses Leben. Sie macht keine Partys, sie versteht nichts von Kunst, sie hat nie einen spannenden Beruf. Und trotzdem wird sie von einigen der mächtigsten und reichsten Tech-Milliardäre der Welt beneidet: Um ihre Unsterblichkeit nämlich.

Die Qualle Turritopsis dohrnii altert nicht. Sie kann sich problemlos selbst verjüngen, indem sie einfach durch Knospung kleine Polypen hervorbringt, die dann wieder zu einer vollständigen Qualle heranwachsen. Theoretisch – wenn sie nicht gefressen wird – kann eine Qualle auf diese Weise mit exakt derselben DNA unbegrenzt lange leben. Auch aus der Welt der Bäume oder Pilze sind Individuen bekannt, die sich immer wieder erneuern, aber biologisch betrachtet dasselbe Individuum bleiben und auf diese Weise ein Alter von tausenden Jahren erreichen – im Idealfall ohne spürbare Abnützungserscheinungen.

Tausendjährige Menschen?

Klappt das auch bei Menschen? Darauf setzt zumindest eine Reihe von Tech-Milliardären wie Peter Thiel oder Sam Altman. Manche Wissenschaftler, wie etwa der britische Bioinformatiker Aubrey de Grey, scheinen ihnen Recht zu geben: De Grey sorgte mit seiner Ansage für Aufsehen, dass man den Alterstod überhaupt abschaffen könne. Durch biochemische Tricks, die beispielsweise an den Mitochondrien in den Zellen ansetzen, so glaubt de Grey, kann man den Altersprozess stoppen und erreichen, dass Menschen, die heute bereits geboren sind, ein Alter von tausend Jahren erreichen.

Es ist nachvollziehbar, dass Menschen, die sich abgesehen von Unsterblichkeit bereits alles kaufen können, bei solchen Aussagen hellhörig werden und gern mal ein paar Millionen Dollar in ein Alterungs-Forschungsprojekt stecken. Aber aus wissenschaftlicher Sicht sind solche Visionen unhaltbar.

Der Alterungsprozess beim Menschen ist kein simples medizinisches Problem wie ein Knochenbruch, der einfach repariert werden kann. Er ist ein vielschichtiges Phänomen mit unterschiedlichen Facetten, Ursachen und Auswirkungen. Die Mitochondrien, die in unseren Zellen Energie bereitstellen, spielen für den Alterungsprozess tatsächlich eine wichtige Rolle – da hat Aubrey de Grey sicher recht. Aber selbst wenn es gelingen könnte, die Mitochondrien tausend Jahre lang jugendlich-frisch zu halten, hätte man dadurch die Alterung noch nicht besiegt.

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Schrumpfen der Telomere

Ein wichtiger Alterungs-Mechanismus ist das Schrumpfen der Telomere. Die Telomere sind Abschnitte auf unseren Chromosomen, die keine echte Erbinformation erhalten, sondern die Funktion haben, das Chromosom zu schützen und zu stabilisieren. Immer wenn die Chromosomen bei einer Zellteilung kopiert werden, verkürzen sich diese Telomere – bis sie ihre Schutzfunktion irgendwann nicht mehr erfüllen können, dann ist die Zelle alt und kann sich nicht mehr teilen.

Tatsächlich gelang es, die Lebenserwartung von Mäusen zu verlängern, indem man ihre Teleomer-Verkürzung biochemisch verlangsamte. Das hat aber nicht nur Vorteile: Stoppt man die Verkürzung der Telomere, stoppt man sie nämlich auch bei Krebszellen, die sich dann noch ungehemmter vermehren können. So kann eine lebensverlängernde Maßnahme die Wahrscheinlichkeit des Krebstods erhöhen.

Experimente gibt es auch mit Bluttransfusionen: Angeblich leben Mäuse länger, wenn man ihr Blut gegen das Blut jüngerer Mäuse austauscht. Öffnet sich da eine tolle Einkommensquelle für blutspendefreudige junge Leute, deren Blutgruppe zu älteren Tech-Milliardären passt? Vermutlich nicht. Es handelt sich um eine wissenschaftlich hochspekulative Maßnahme ohne echte Evidenz – bei Menschen gibt es keine echten Hinweise auf einen Nutzen, die Gesundheitsbehörde FDA warnt sogar vor solchen Maßnahmen.

Alterung ist ein Phänomen, das in unzähligen Körperfunktionen eingebaut ist – von den Mitochondrien in den Zellen bis zu den Verschaltungen unseres Gehirns. Die Hoffnung, dieses hochkomplexe Gesamtsystem biologischer Prozesse aufhalten oder umkehren zu können, ist (nach allem, was wir heute wissen) völlig unbegründet.

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Wäre ewiges Leben wünschenswert?

Und vielleicht ist das auch gut so. Es ist zwar schön, wenn am Einbremsen von Alterungsprozessen geforscht wird, es ist ein großartiger Erfolg, dass die menschliche Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten so deutlich gestiegen ist. Aber wäre es tatsächlich ein wünschenswertes Ziel, ewig zu leben? Wollen wir eine Gesellschaft, in der gewöhnliche Menschen nach einer gewöhnlichen Lebenszeit sterben, während Tech-Milliardäre, die vor ein paar Jahrhunderten eine IT-Firma gegründet haben, im Katalog nach passenden Kandidaten für die Leber-Transplantation Nummer achtundzwanzig suchen?

Die Frage ist auch: Wäre man tatsächlich unsterblich, wenn es gelänge, den Körper am Sterben zu hindern? Was uns definiert, sind nicht Körperzellen oder DNA, sondern Gedanken, Überzeugungen, Vorlieben. Ändern sich die nicht ohnehin? Hat man als Vierhundertjähriger noch gute Ideen? Ist es nicht eigentlich eine bessere Art von Unsterblichkeit, wenn man diese Gedanken, Überzeugungen und Vorlieben irgendwann mal an Menschen weitergibt, die jüngere Körper und andere DNA haben? Ist das Fortbestehen der Menschheit nicht eigentlich die bessere Art von Unsterblichkeit als das Aufrechterhalten jahrhundertealter Körperfunktionen?

Turritopsis dohrnii, die unsterbliche Qualle, hat von ihrem langen Leben überhaupt nichts. Sie mag sich verjüngen können, aber sie hat keine Erinnerungen an vergangene Körper, keine geistige Individualität, keine intellektuellen Fähigkeiten, die sie durch ihren Verjüngungsprozess bewahrt. Das mag biologisch betrachtet zwar Unsterblichkeit sein, praktisch gesehen gibt es aber keinen Grund, solche Tiere zu beneiden.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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