Unsterblich werden mit künstlicher Intelligenz
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Wer einen geliebten Menschen verliert, sehnt sich nach seinem Lachen, seiner Stimme, seiner Berührung. Oft reut es Hinterbliebene, dass sie der verstorbenen Person zu Lebzeiten nicht mehr Fragen gestellt haben. Wer war deine erste große Liebe? Wovon hast du als Kind geträumt? Warst du glücklich? Auf Antworten warten Trauernde vergebens. Was bleibt, sind verstaubte Fotos und Briefe, vielleicht Videos oder WhatsApp-Nachrichten.
Doch was wäre, wenn wir unseren Angehörigen auch nach ihrem Tod Fragen stellen könnten? US-amerikanische Firmen wie etwa „StoryFile“ oder „You, Only Virtual“ wollen dies möglich machen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) lassen sie Verstorbene wiederauferstehen. Digital, als virtuelle Kopien ihrer selbst. Technologien wie diese werden als „Grief-Tech“ bezeichnet, zu Deutsch „Trauer-Technologie“. Die Idee: Hinterbliebene sollen mit digitalen Abbildern ihrer toten Angehörigen chatten, telefonieren oder gar Videokonferenzen führen können – so als wären sie nie fort gewesen.
Vom „Dadbot“ zur App
Eines dieser Grief-Tech-Unternehmen ist „HereAfter.AI“. Die US-Firma wurde 2016 von dem Schriftsteller James Vlahos gegründet. Damals erkrankte sein Vater an Lungenkrebs. Vlahos wurde schmerzlich bewusst, dass ihre gemeinsame Zeit abzulaufen drohte. Er wollte die Erinnerung an seinen Vater am Leben halten und begann, Interviews mit ihm zu führen – über seine Kindheitserinnerungen, seine Lieblingslieder, seine besten Witze.
Die Antworten seines Vaters nahm Vlahos auf. Aus den Tonspuren schuf er den „Dadbot“, einen interaktiven Avatar seines Vaters. „Der Dadbot war ein Projekt, das mir persönlich sehr viel bedeutete“, erinnert sich Vlahos im Interview mit der futurezone. „Aber als andere Leute davon hörten, bekam ich viele Anfragen, ob ich etwas Ähnliches auch für ihre Angehörigen anfertigen könnte."
Das Ergebnis war HereAfter.AI, eine App, in der Personen ihre Erinnerungen verewigen können. Die App stellt ihnen zu Lebzeiten Fragen, zum Beispiel „Was war eine lustige Erinnerung aus deiner Schulzeit?“. Nutzer*innen nehmen ihre Antworten auf. Hinzu kommen einige Standardphrasen, wie "Hallo" oder "Das weiß ich nicht". Die App generiert schließlich aus den Aufnahmen ein KI-gestütztes Abbild der Nutzer*innen, mit der Angehörige nach deren Ableben chatten können. Aus dem Lautsprecher tönt dann die Stimme der Verstorbenen.
Digitale Kopie soll Trost spenden
„Den Klang der Stimme einer Person zu hören, kann sehr kraftvoll und bewegend sein“, sagt Vlahos. Der Unterschied zu simplen Audioaufnahmen, Fotoalben oder Videos, die ebenfalls an Verstorbene erinnern, liege in der Interaktivität der Technologie. "Es geht nicht darum, Erinnerungen aufzubewahren, sondern darum, sie in ein Gespräch zu verwandeln", so der Gründer.
Der KI-Bot simuliert zwar Konversationen, erfindet aber keine Erinnerungen. Er ist nur in der Lage, Antworten zu geben, die die Verstorbenen tatsächlich aufgenommen haben. „Für uns war es sehr wichtig, dass alles, was der Avatar sagt, wahrheitsgetreu ist“, erklärt Vlahos. „Dennoch sind wir daran interessiert, in Zukunft KI zu erforschen, die auch neue Antworten produzieren kann". Also Antworten, die nicht in den Originalaufnahmen enthalten sind.
Andere Start-ups arbeiten bereits an so einer "generativen KI", darunter StoryFile. Das US-Unternehmen erstellt interaktive Video-Avatare von Personen, die Fragen beantworten. Ursprünglich wurde die KI für Holocaust-Überlebende erschaffen, um ihre Erlebnisse an kommende Generationen weiterzugeben. Mittlerweile hat StoryFile aber auch ein Archiv an prominenten Persönlichkeiten kreiert. So kann auf der StoryFile-Webseite etwa mit einem Avatar des „Star Trek"-Schauspielers William Shatner geplaudert werden.
KI-Ethikerin: Vorsicht vor Ausbeutung
Genau darin könnte eine große Gefahr der Grief-Tech liegen. Was, wenn Nutzer*innen nicht mehr zwischen einer realen Person und einer KI unterscheiden können? Ist es überhaupt ethisch vertretbar, Erinnerungen und Reaktionen im Namen einer verstorbenen Person zu erfinden?
„Die Person muss absegnen, wenn Inhalte künstlich generiert werden“, sagt Karoline Reinhardt, Professorin für Angewandte Ethik an der Universität Passau, gegenüber der futurezone. Auf diese Weise sollen Würde und Selbstbestimmung der Verstorbenen gewahrt werden. Aber auch Hinterbliebene hätten das Recht, klar zwischen generierten und echten Antworten unterscheiden zu können. „Auf Seite der Nutzenden muss das Ganze einer Kennzeichnungspflicht unterliegen“, fordert Reinhardt.
Denn Trauernde seien laut der Expertin besonders gefährdet, durch derartige Technologien ausgebeutet zu werden. „Wir haben es mit einer Gruppe von vulnerablen Personen zu tun. Ihre Verletzlichkeit darf auf keinen Fall kommerziell ausgenutzt werden“, warnt Reinhardt. Trauernde Hinterbliebene könnten bspw. von den App-Entwicklern absichtlich in lange Gespräche mit einer virtuellen Version der Verstorbenen verwickelt werden – mit potenziell negativen Folgen für Nutzer*innen.
„Schwierig finde ich, wenn diese Technologien den Eindruck erwecken sollten, dass wir unsere Vergänglichkeit überwinden können. Denn dazu sind wir einfach nicht in der Lage.“
Fluch oder Segen im Trauerprozess?
Denn inwiefern ein KI-Abbild tatsächlich helfen kann, den Tod von Angehörigen zu verarbeiten, ist fraglich. Eine digitaler Avatar ist womöglich in der Lage, Verlust erträglicher zu machen. Er kann aber auch ein Hindernis sein, loszulassen.
„Schwierig finde ich, wenn diese Technologien den Eindruck erwecken sollten, dass wir unsere Vergänglichkeit überwinden können. Denn dazu sind wir einfach nicht in der Lage. Wir müssen stattdessen Formen finden, uns diesem Verlust zu stellen“, hält KI-Ethikerin Reinhardt fest. Chatbots oder interaktive Videos dürften keinesfalls therapeutischen Beistand ersetzen. Es bestünde die Gefahr, Angehörige mit ihrer Trauer alleine lassen. „Sie nutzen solche Apps nicht als Gruppe, sondern allein. [...] Trauer noch weiter aus dem Gesellschaftlichen herauszunehmen und zu individualisieren ist keine gute Entwicklung. Häufig ist es der bessere Weg, die Erinnerungen an Verstorbene am Leben zu halten, indem man sich gemeinsam Geschichten über sie erzählt, gemeinsam lacht und weint".
Trotzdem warnt die Expertin davor, Grief Tech zur Gänze abzuschreiben. „Wir sollten das aber nicht von Grund auf verdammen. Ich bin der Meinung, dass Menschen sehr unterschiedlich trauern und sehr unterschiedlich trauern dürfen. Auch mithilfe von Technologie.“ So könne bereits der Prozess des Digitalisierens von Erinnerungen laut der Expertin sinnvoll sein. Indem Angehörige ihre Lebensgeschichten miteinander teilen, könnten solche Technologien im Hier und Jetzt Anlass zu wertvollen Gesprächen bieten.
Ethik hinkt hinterher
Wichtig ist laut Reinhardt, Nutzer*innen transparent zu kommunizieren, „was diese Technologien können und was nicht". Man könne etwa Zertifizierungssysteme oder Zulassungsstellen andenken, die Grief-Tech-Apps und Webseiten kontrollieren und dafür sorgen, dass die positiven Effekte der Technologien überwiegen.
Hierfür fehlen allerdings die notwendigen Ressourcen. „In der angewandten Ethik sind derzeit wenig Leute mit vielen Fragen konfrontiert. Insbesondere im KI-Bereich haben wir das Problem, dass wir immer ein wenig hinterherhinken", sagt die Professorin. „Wir sollten diese Fragen nicht erst bedenken, wenn ein Produkt auf den Markt kommt, sondern bereits bei seiner Entwicklung“, so ihr Appell.
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