Huawei Mate X im Kurztest: So faltet man ein Handy richtig
Das dürfte Samsung gehörig ärgern. Seit Jahren baut der südkoreanische Hersteller Hype rund um ein faltbares Smartphone auf, doch dann stiehlt in letzter Sekunde Konkurrent Huawei das Rampenlicht. Das Huawei Mate X mag nicht das erste faltbare Smartphone sein - diesen Titel hat sich bereits das Royole Flexpai gesichert (zum Hands-on) - doch es hat in mehreren anderen Kategorien vorgelegt.
Es ist das erste faltbare Gerät mit 5G-Modem und setzt auch im Preis (2299 Euro) neue Maßstäbe - nach oben. Doch im Vergleich zu Samsungs Galaxy Fold wird vor allem ein Unterschied deutlich. Während Samsungs Modell nach innen gefaltet wird, faltet man das Huawei Mate X nach außen. Der Vorteil: Man benötigt lediglich ein Display und kann das Smartphone deutlich kompakter gestalten. Daher ist das Mate X im gefalteten Zustand lediglich 11 Millimeter dick, während das Samsung Galaxy Fold 17 Millimeter misst.
Während Samsung das Galaxy Fold nach wie vor nur im Glaskasten sowie in YouTube-Videos herzeigt, durfte die futurezone das Huawei Mate X aus nächster Nähe betrachten - und sogar anfassen. Falten war aber nicht erlaubt. Als ein griechischer Kollege während des Termins zum Biegen ansetzte, sprangen der Huawei-Produktmanager und ein britischer Aufpasser aufgeregt aus ihren Sesseln, um ihm das Gerät zu entreißen.
Stabil in drei Modi
Falten lässt sich das Gerät aber problemlos, wovon wir uns während des Demo-Termins mehrmals - als Zuschauer - überzeugen konnten. Tatsächlich hat Huawei offenbar aufgrund eines Mangels an Testgeräten Angst, dass diese bei den Demo-Terminen durch unsachgemäße Bedienung beschädigt werden könnten. Diese Angst konnte ich jedoch nicht nachvollziehen. Die Konstruktion machte einen überaus stabilen Eindruck. Im ausgeklappten Zustand fixierte das patentierte Huawei-Scharnier das 8-Zoll-Display problemlos. Obwohl das im ausgefalteten Zustand 5,4 Millimeter dünne Gehäuse recht breit ist (146,2 Millimeter), hielt das Scharnier die Konstruktion steif. Auch beim kräftigen Schütteln wackelte nichts (hier waren die Huawei-Mitarbeiter überraschend entspannt und sprangen mich nicht an).
Das Scharnier, das laut Huawei aus mehr als 100 Einzelkomponenten besteht, dürfte aber relativ schwergängig sein. Egal in welche Position es der Mitarbeiter mit der Lizent zum Falten brachte, das Mate X verharrte stets darin, als hätte man es festgeschraubt oder mit Klebstoff fixiert. Auch das Umschalten vom Tablet- zum Smartphone-Modus funktionierte fließend. Der Neigungssensor erkannte, welche Seite des Smartphones man gerade verwendete und schaltete mit kurzer Verzögerung um. Dabei hat man die Wahl zwischen drei Modi: Tablet (vollständig ausgeklappt), großes (Vorderseite mit 6,6 Zoll) und kleines Smartphone (Rückseite mit 6,4 Zoll und Bereich für App-Shortcuts).
Erinnert an Kindle
Der Tablet-Modus ist unerwartet bequem. Das Mate X lässt sich über den "Griff" an der Seite, in dem Chips, Kamera und Akku verbaut sind, erstaunlich gut halten. Es erinnert an alte Kindle-Modelle, die ähnliche Designelemente hatten. Da sich der Schwerpunkt des 295-Gramm-Tablets stark zum Griff verlagert, lässt sich dieses angenehm dort halten. Ich könnte mir durchaus vorstellen, morgens gemütlich durch Twitter zu scrollen, während ich an der Seite ein YouTube-Video abspiele. Das wird auch durch das ungewöhnliche Bildverhältnis (2200 mal 2480 Pixel) begünstigt.
Zusammengeklappt macht das Mate X ebenfalls einen sehr guten Eindruck. Mit einer Breite von 78,3 Millimeter lässt es sich angenehm mit einer Hand halten, für die Bedienung des relativ hohen Smartphones braucht man aber beide Hände. Wer das Smartphone einhändig bedienen will, kann es aber einfach wenden und bekommt ein etwas kompakteres Format geboten. Der Bildschirm ist aufgrund des Griffstücks etwas schmaler und misst nur 6,4 Zoll in der Diagonale. Der obere Bereich des Bildschirms wird von einem schwarzen Streifen bedeckt, auf dem App-Shortcuts, beispielsweise für die Kamera, zu finden sind.
Hält zumindest zwei Jahre lang
Obwohl das Smartphone fast doppelt so viel wie aktuelle Top-Modelle wiegt, wirkt es keineswegs wuchtig, sondern vielmehr hochwertig. Um die Flexibilität zu gewährleisten, verzichtet man auf Glas und somit die branchenübliche Gorilla-Glass-Beschichtung. Das hat aber einen positiven Nebeneffekt: Es gibt keine spürbare Distanz zwischen Bildschirm und Nutzer, die üblicherweise durch das Glas entsteht. Laut Huawei sei die Oberfläche weiterhin vor Kratzern geschützt, ein spezielles Schutzgehäuse soll es auch vor Sturzschäden bewahren.
Der Bildschirm ist ungemein hell und die Farbdarstellung machte einen sehr guten Eindruck. Der Bereich, an dem das Smartphone gebogen wird, war jedoch leicht heller als der restliche Bildschirm. Laut Huawei nehme man derzeit noch Verbesserungen am Panel vor, um derartige Effekte zu verhindern. Dass durch das ständige Falten der Bildschirm langfristig in Mitleidenschaft gezogen wird, streitet Huawei nicht ab. Wie lange dieser hält, teste man derzeit noch. Man müsse sich aber zumindest für zwei Jahre keine Sorgen machen.
Geheimnisse um Hardware
Die im Griffstück verbaute Triple-Kamera machte ebenfalls einen guten Eindruck, allerdings will Huawei vorerst keine Auskunft über technische Details geben. Das liegt wohl daran, dass diese in ähnlicher Form im P30 zum Einsatz kommen dürfte, das am 26. März offiziell vorgestellt werden soll (was zu erwarten ist). Bei Bedarf kann auch im Smartphone-Modus der komplette Bildschirm aktiviert werden, sodass beispielsweise eine Person sieht, ob sie beim Fotografieren richtig in Szene gesetzt wird.
Der Fingerabdrucksensor ist an der Seite des Griffstücks verbaut. Zudem gibt es am Griffstück eine Taste, die den Mechanismus entsperrt, sodass der Bildschirm gefaltet werden kann. Der Knopf lässt sich einfach betätigen, der Bildschirm schnalzt dann in einem Winkel von knapp 30 Grad hervor. Auf einen Kopfhöreranschluss verzichtet man. Wie ein Produktmanager erklärt, sei dafür nicht ausreichend Platz im Gehäuse, auch wenn das recht breite Griffstück einen anderen Eindruck erweckt.
Bei den technischen Details hält sich Huawei derzeit noch bedeckt. Man verrät lediglich, dass mit dem Kirin 980 - der gleiche SoC wie im Mate 20 Pro - sowie dem 5G-Modem Balong 5000, Chips aus hauseigener Fertigung zum Einsatz kommen. Beim Display greift man auf einen Dritthersteller zurück, der Zulieferer ist bislang nicht bekannt. Wie lange der 4500-mAh-Akku durchhält, wollte Huawei nicht verraten. Die neuentwickelte Schnelllade-Technologie soll den Akku dank 55-Watt-Netzteil binnen 30 Minuten zu 85 Prozent befüllen. Der Fokus auf die Ladegeschwindigkeit dürfte darauf hindeuten, dass man öfters an die Steckdose muss.
Das erste brauchbare Falt-Smartphone
Huawei ist es tatsächlich gelungen, ein faltbares Smartphone zu entwickeln, das einen brauchbaren Eindruck erweckt. Ich bin nach wie vor skeptisch, ob faltbare Smartphones einen nennenswerten Mehrwert im Alltag liefern, doch beim Mate X kann ich mir erstmals konkrete Szenarien vorstellen.
Der stolze Preis von 2299 Euro dürfte dafür sorgen, dass es nur in wenigen Händen landen wird. Dennoch darf man auf den Marktstart, der noch für dieses Halbjahr geplant ist, gespannt sein. Da in Wien bald Europas erster Huawei Flagship Store eröffnet, darf man wohl auch hierzulande mit dem Gerät rechnen, bestätigten konnte dies Huawei Österreich jedoch noch nicht.