Wie Huawei ohne Android weitermachen will
Huawei und Android: Diese Erfolgsgeschichte ist wohl vorüber. Stattdessen greift der chinesische Konzern offenbar auf Plan B zurück und wird schon bald sein eigenes Betriebssystem ausliefern. „Das Huawei-Betriebssystem wird frühestens diesen Herbst auf den Markt kommen, spätestens kommendes Frühjahr“, soll Huaweis Consumer-CEO Richard Yu in einer Konversation auf der chinesischen Messenger-Plattform WeChat geschrieben haben. Das berichtet die staatsnahe chinesische Tageszeitung Securities Times.
Auch Abraham Liu, der Huawei vor den Institutionen der Europäischen Union vertritt, deutete am Dienstag auf einem Event an, dass man sich von Android verabschieden werde. Wenn das Betriebssystem nicht mehr bereitstehe, müsse man sich „natürlich einer Alternative zuwenden, entweder von Huawei oder jemand anderen“.
Die futurezone erfuhr ebenfalls aus Unternehmens-nahen Kreisen, dass man derzeit verstärkt am Betriebssystem arbeite, damit dieses bis zum Herbst fertig werde. Das deutet darauf hin, dass das nächste Flaggschiff-Modell von Huawei – voraussichtlich das Mate 30 – bereits mit dem neuen Betriebssystem ausgestattet werden könnte.
Was vom Betriebssystem bekannt ist
Es ist derzeit nur wenig über den Android-Ersatz bekannt. Das Betriebssystem soll intern den Namen Hongmeng tragen, wobei es sich wohl um einen Codenamen handeln dürfte. Es sei bereits seit 2012 in Entwicklung, unter der Leitung von Chen Haibo, ein Professor der Universität Shanghai Jiao Tong. Das Betriebssystem soll, wie Android, auf Linux basieren und auch Android-Apps ausführen können. Huawei dürfte dabei auch auf einige Open-Source-Entwicklungen aus dem eigenen Haus, wie das Dateisystem EROFS und den Compiler Ark (Fangzhou), setzen.
Hongmeng soll nicht nur Android ersetzen. Es wird laut der geleakten Nachricht auf Smartphones, Tablets, Laptops, Flat-TVs, Autos und Wearables laufen. Damit hätte Huawei auch eine Alternative zu Windows bei der Hand. Microsoft will sich zwar auf Anfrage der futurezone nicht zur derzeitigen Situation äußern, der US-Konzern wird aber wohl auch die Zusammenarbeit mit Huawei einstellen müssen. Das Unternehmen ließ bereits die Huawei-Laptops aus dem Microsoft Store entfernen.
Entwickler gesucht
Doch auch wenn Huawei im Idealfall bis Herbst das hauseigene Betriebssystem fertigbekommt, wäre das in vielerlei Sicht erst der Anfang. Denn nach wie vor fehlt das Ökosystem im Hintergrund. Huawei versucht bereits seit zumindest einem Jahr, Entwickler für den hauseigenen App Store App Gallery zu begeistern – bislang erfolglos.
Wie schwierig es zudem sein kann, Entwickler für eine dritte Plattform zu begeistern, beweist die lange Liste an gescheiterten mobilen Betriebssystemen, unter anderem Windows Mobile (einst Windows Phone), BlackBerry OS, Firefox OS und Ubuntu Touch. Auch Sailfish OS (Jolla) und Tizen (Samsung, vorwiegend auf Wearables zu finden) haben nur in gewissen Nischen überlebt.
Und auch wenn den Berichten zufolge Android-Apps auf Hongmeng lauffähig sein sollen, werden für optimale Ergebnisse leichte Anpassungen erforderlich sein, was so manchen Entwickler abschrecken könnte. Es ist nicht unmöglich, im Jahr 2019 ein neues Betriebssystem zu etablieren, aber es ist definitiv schwierig.
Zulieferer gesucht
Eine Nachricht hat die ohnedies geringen Chancen aber nochmals reduziert: Am Mittwoch wurde bekannt, dass der britische Chip-Designer ARM ebenfalls seine Zusammenarbeit mit Huawei einstellt. Eine Nachricht, die für jeden Smartphone-Hersteller fatal wäre, selbst für einen Konzern wie Apple, der über üppige Bargeldreserven und Know-how in der Chip-Entwicklung verfügt. Das vom Österreicher Hermann Hauser mitgegründete Unternehmen entwickelte die gleichnamige Chip-Architektur, die heute nahezu jedem Smartphone-Chip zugrunde liegt. Aber auch in vielen Routern, Switches und Servern sind Chips zu finden, die auf die ARM-Architektur setzen.
Obwohl Huawei mit HiSilicon über eine eigene Chip-Design-Sparte verfügt, ist diese auf die ARM-Technologien angewiesen. Die 1983 entwickelte Technologie wurde in den vergangenen Jahrzehnten verfeinert und muss lizenziert werden, wenn man diese nutzen möchte. ARM unterstützt seine Kunden zudem bei der Entwicklung neuer Chips. Die Zusammenarbeit zwischen HiSilicon und ARM war relativ eng. Laut der BBC plante Huawei ein Forschungszentrum in Großbritannien zu bauen, das lediglich 15 Minuten vom ARM-Hauptquartier entfernt wäre.
ARM ist in vielerlei Hinsicht unersetzbar. Huawei könnte die Mikroarchitektur wechseln, allerdings würde damit auch die Kompatibilität mit Android-Apps wackeln. Entwickler müssten ihre Apps an die neue Architektur anpassen, damit diese lauffähig werden. Das war mitunter einer der Gründe, wieso Intels Smartphone-Chips (die auf x86 statt ARM setzten) floppten.
Huawei muss wohl darauf hoffen, dass ARM seine Meinung ändert. Denn streng genommen wäre ARM als britisches Unternehmen mit japanischem Eigentümer (Softbank) nicht dazu gezwungen, seine Geschäfte mit dem chinesischen Konzern einzustellen. Da man aber auch zahlreiche US-Kunden sowie Standorte in den USA hat, will man es sich wohl nicht mit diesen verscherzen.
Huawei darf aber lediglich keine neuen Technologien lizenzieren, bestehende Produkte können weiterhin verwendet werden. Daher ist man zumindest für dieses Jahr gerüstet, der für den Herbst erwartete HiSilicon Kirin 985 wird wohl wie geplant auf den Markt kommen. Ab 2020 steht man aber womöglich ohne eigenen Chip dar.
Die Auswahl der Zulieferer ist beschränkt: Qualcomm darf nicht (US-Unternehmen) und Samsung will vermutlich nicht (Konkurrent), wodurch lediglich der taiwanesische Hersteller MediaTek verbleibt. Dieser beliefert mit seinen Budget-Chips aber vorwiegend kleine Hersteller – ob man die Nachfrage für einen Konzern wie Huawei decken könnte, ist unklar. Zudem scheint Huawei nun auf Nummer sicher zu gehen und fragt bei allen derzeitigen Zulieferern nach, ob diese Beziehungen in jeglicher Form zu den USA haben – eine Frage, die aufgrund der Globalisierung nicht mehr so einfach zu beantworten ist.
Vergebliches Hoffen auf politische Einigung
Obwohl sich Chinas Regierung bereits mehrmals kritisch zum Vorgehen der US-Regierung geäußert hat und Gegenmaßnahmen androhte, blieben bislang konkrete Handlungen aus. Das gibt zwar Hoffnung, dass hinter den Kulissen weiterverhandelt wird, vieles deutet aber auch auf einen „kalten Handelskrieg“ hin, der noch länger dauern könnte. „Wir sind jetzt auf dem Weg zu einem neuen langen Marsch und wir müssen wieder von ganz vorne anfangen“, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping bereits am Montag.
Damit spielte Xi auf den „Langen Marsch“ der Roten Armee in den Jahren 1934 und 1935 an, an dem auch die Führung der Kommunistischen Partei, unter ihnen Mao Zedong, teilnahm. Beobachter interpretieren die Aussage als Hinweis darauf, dass Chinas Regierung keine rasche Einigung mit den USA erwartet.
Huawei macht weiter wie bisher
Obwohl Huawei die wohl schlimmste Krise in seiner 32-jährigen Firmengeschichte durchläuft, gibt man sich intern noch relativ ruhig. Tom Chen, ein für das Thema Smartphone-Fotografie verantwortlicher Huawei-Manager, sagte gegenüber der futurezone, man habe bereits mit den Planungen für die P-Serie kommendes Jahr begonnen. Auch die Zusammenarbeit mit Leica, dem deutschen Kamera-Hersteller, sei nicht gefährdet.
„Unsere Partnerschaft hat keine politische Basis“, sagte Chen. „Wir glauben nicht, dass das in naher Zukunft auseinanderbricht. Bisher hat sich unsere Zusammenarbeit nur verstärkt.“
Ebenso zuversichtlich gibt sich Joon Suh-Kim, Chief Design Officer von Huawei. Er plane bereits für die nächsten Generationen und sieht seine Arbeit von der derzeitigen Situation nicht beeinträchtigt. „Der Konflikt hat keine Auswirkungen auf das Design“, so Joon. „Es gibt viele Unterschiede zwischen den Kulturen im Osten und Westen. Ich habe aber immer versucht, diese Unterschiede zu unserem Vorteil zu nutzen.“
Der Fokus werde aber wohl in nächster Zeit vorwiegend auf Asien und Europa liegen. Huaweis 200-köpfiges Design-Team hat vier Niederlassungen in China, zwei Standorte in Europa sowie, zumindest vorerst noch, eine Außenstelle in den USA.