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Wie unsere Energienetze in Zukunft aussehen sollen

In 7 Jahren sollen 100 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Österreich bilanziell mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. 2040 soll die Stromversorgung komplett klimaneutral ablaufen - also ohne Erdöl, Gas oder Kohle dafür zu verwenden. Um diese Ziele zu erreichen, müssen viele neue Solar-, Wind- und Wasserkraftwerke errichtet werden. Bis 2030 sollen etwa 11 Terawattstunden Solarstrom zusätzlich erzeugt werden. Man bräuchte allein dafür zusätzliche Flächen für Photovoltaik-Anlagen im Ausmaß von 10.000 Fußballfeldern dazu. Aber auch die Übertragungsinfrastruktur des Strom- und Gasnetzes ist stark gefordert.

An der TU Graz wird daran geforscht, wie man beim Um- und Ausbau am besten vorgehen könnte. Mathematische Modelle des europäischen Strom- und Gasnetzes wurden kreiert. Daraus entstandene digitale Zwillinge erlauben es zu berechnen, wie sich verschiedene Maßnahmen auf die Energiesysteme auswirken. "Unser Ziel ist es herauszufinden, wie die Transformationspfade zu einem klimaneutralen Österreich aussehen könnten", erklärt Sonja Wogrin, Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation.

Das Winterproblem

Eine Herausforderung dabei, die sich die Forscherinnen und Forscher der Uni ansehen, ist das Winterproblem. Im Sommer kann viel Strom aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden, im Winter allerdings ist die Leistung von Solar- und Wasserkraftwerken geringer. Zukünftig müssen also mehr Speicher her. "Es gibt hier viele verschiedene Technologien. In aktuellen Forschungsprojekten analysieren wir sowohl die technisch sinnvolle Integration, aber auch die Wirtschaftlichkeit einer Vielzahl dieser Technologien", sagt Wogrin.

Pumpspeicherkraftwerke zählten "zu dem Besten, was die Menschheit je erfunden hat", ihre momentan in Österreich vorhandene Menge reicht jedoch für die Energiewende, also die komplette Dekarbonisierung des Energiesystems, nicht aus. Neue Pumpspeicherkraftwerke seien teuer und stellen einen massiven Eingriff in die Natur dar. Grünem Wasserstoff wird großes Potenzial als Speicher zugerechnet, aber der Kreislauf zwischen Herstellung aus Elektrolyse und Rückverstromung mittels Brennstoffzellen sei derzeit noch relativ ineffizient und daher als Speichertechnologie nicht wirtschaftlich.

Erdgas könnte vielerorts ebenfalls mit Wasserstoff ersetzt werden. Es mangelt aber noch sowohl an Herstellungskapazitäten, als auch an Abnehmern - ein Henne-Ei-Problem. Für Industrieunternehmen bedeutet der Umstieg auf Wasserstoff einen enormen Aufwand. Außerdem ist der Transport des Gases ungeklärt. Man könnte es in Erdgas-Pipelines einspeisen, aber: "Kocht mein Gasherd dann mit Wasserstoff? Das funktioniert nicht bei allen Geräten."

Um Berechnungen zum Ausbau der Energienetze anzustellen, wird ein Modell herangezogen, das ganz Europa inkludiert

Drei Szenarien entwickelt

Gemeinsam mit der Montanuni Leoben und dem Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) wurden im Projekt Infratrans 2040 drei Szenarien für das Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) entwickelt, um zu einem klimaneutralen Energiesystem in Österreich zu gelangen. Das erste orientiert sich an Import und Export, also einen regen europäischen Energiehandel. Voraussetzung dafür wäre ein massiver Ausbau der Übertragungsinfrastruktur. Der große Vorteil wäre laut Wogrin das Ausnutzen regionaler Unterschiede, etwa bei Stromproduktion und Stromverbrauch. "Wenn in Norwegen gerade viel Strom aus Wasserkraft erzeugt wird, und man den bis Österreich bekommt, wäre das eine wunderbar günstige Option."

Man erspare sich dadurch Speicherkapazitäten. "Außerdem ist der Netzwerkausbau im Vergleich immer günstiger als der Kraftwerksbau." Eine Herausforderung dabei sind verschiedene Interessen, die teilweise nicht unter einen Hut passen. Ein anderes großes Problem seien lange Genehmigungsverfahren, etwa für Hochspannungsleitungen. "Das ist ein großer Flaschenhals."

Sonja Wogrin leitet das Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation an der TU Graz.

Diskussion mit Stakeholdern

Das zweite Szenario geht von verstärkter Sektorkopplung aus, also dem Verbinden von Strom-, Gas- und Wärmesystemen: "Hier nehmen wir an, dass die Übertragungskapazitäten bleiben wie sie sind, man kann aber verstärkt zwischen den Sektoren hin und her verschieben." Das dritte Szenario zieht die Stellschraube Energieeffizienz heran. "Wir schauen uns da etwa an, wie viel effizienter ein Kühlschrank oder eine Wärmedämmung sein müsste, um die Klimaziele zu erreichen." Den Detailgrad der Berechnungen müsse man dabei in Grenzen halten, erklärt Wogrin. Schon jetzt seien Server der Universität teilweise tagelang beschäftigt, um Auswirkungen bestimmter Maßnahmen zu berechnen.

Keine akute Blackout-Gefahr

Eine akute Blackout-Gefahr sieht die Forscherin nicht. Das Ersetzen thermischer Kraftwerke mit erneuerbaren Energien im Elektrizitätssystem sei allerdings eine Herausforderung, weil erneuerbare Energien dargebotsabhängig sind. Um ein hochgradig erneuerbares Elektrizitätssystem sicher betreiben zu können, braucht es neben Wind und Photovoltaik auch regelbare Erzeuger wie Biomassekraftwerke, (Pump-)Speicherkraftwerke und innovative Speichertechnologien sowie ein gut ausgebautes Elektrizitätsnetz, um die lokalen Erzeugungsunterschiede europaweit auszugleichen.

Durch die zunehmende Elektrifizierung von Bereichen, die bisher mit fossilen Energien gearbeitet haben – etwa Verkehr und Industrie – werde künftig viel mehr Strom benötigt. Beschwerden über einen Komfortverlust durch energiesparsameres Leben kann die Forscherin angesichts von Zuständen in anderen Ländern wenig abgewinnen. "Wir in Österreich haben keine Ahnung, wie gut es uns geht. Unser europäisches Elektrizitätsnetz ist eine geniale Maschinerie."

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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