Fernbedienung für Kühe soll Attacken auf der Alm verhindern
Im Sommer machen sich wieder Scharen von Ausflügler*innen auf den Weg Richtung Gipfel und Almhütten. In den vergangenen Jahren gingen solche alpinen Touren allerdings nicht immer gut aus: Kuhattacken trübten das Alpenidyll mit bimmelnden Glocken und duftenden Almkräutern.
Die Folge waren hitzige Debatten, wer die Berglandschaften wie nutzen darf. Die einen gaben abkürzenden Wandernden die Schuld, die anderen verlangten, dass die Bauern und Bäuerinnen ihre Kühe besser kontrollieren und einzäunen sollen.
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Virtual Shepherd trackt Kühe
Österreichische Forschende haben sich eine mögliche Lösung für dieses Problem überlegt: Beim Forschungsprojekt „Virtual Shepherd“ (Virtueller Schäfer) hängen sie den Kühen smarte Halsbänder statt Glocken um, die ihnen zeigen, wo ihr Weidegebiet endet. Das steirische Unternehmen ViehFinder stellt die smarten Halsbänder für die Nutztiere her.
„Jedes Nutztier, das in die Nähe des virtuellen Zauns kommt, bekommt ein akustisches Warnsignal“, erklärt der Geoinformatiker Johannes Scholz. „Sollte sich die Kuh dann weiter diesem Zaun nähern, wird das akustische Signal lauter. Am Schluss können auch kleine Stromschläge dazukommen“, sagt Scholz: „Das funktioniert und bereitet Nutztieren nicht mehr Stress als ein herkömmlicher Stacheldrahtzaun.“ Stromschläge soll es nur in Ausnahmen geben. Die Zone, wo die Kühe grasen dürfen, wird über eine Smartphone-App festgelegt. Die App entwickelt die Firma MovingLayers.
Wandernde könnten damit kurzfristig sogar eigene temporäre Schutzzonen einrichten, wenn sie auf ihrer Route Mutterkühe entdecken, die häufiger aggressiv werden. „Sie könnten ein Signal schicken: Der Zaun verändert sich dann dynamisch, sodass die Kühe in bestimmte Bereiche nicht mehr vordringen können“, erklärt die Informatikerin Ivona Brandic von der TU Wien. „Wir schauen, dass die Sensoren für die Kühe möglichst angenehm zu tragen sind. Außerdem sollen diese selbstversorgend sein. Dazu haben sie kleine Solarpaneele, die auch mit wenig Sonne auskommen“, sagt Brandic.
Infos
Fenceless Farming
Anstelle von physischen Zäunen werden beim Fenceless Farming für das Nutztier-Management Mobilfunk-, Satelliten- und GPS-Technologien genutzt. In Großbritannien, Norwegen und Australien ist das zum Teil schon gängige Praxis. Das Projekt „Virtual Shepherd soll testen, ob sich das auch im alpinen Raum umsetzen lässt.
Attacken durch Rinder
86 Angriffe von Kühen auf 112 Personen gab es zwischen 2005 und 2023 im Alpenraum Österreichs. 93 wurden dabei verletzt, 2 starben. Das ergab eine Datenauswertung von Rebecca Raum (Österreichzentrum Bär Wolf Luchs) basierend auf Erhebungen des Kuratoriums für Alpine Sicherheit.
Virtual Shepherd
Das Forschungsprojekt ist nicht auf das Tracking von Kühen beschränkt, sondern wird auch andere Tiere, wie etwa Ziegen miteinschließen. Es geht darum, dass man allgemein mehr über das Verhalten der Weidetiere erfährt.
Basisstationen
Die Anwendung klingt praktisch, allerdings ist die Umsetzung nicht trivial: Die Sensordaten werden zunächst von den Halsbändern an eine Box gesendet. Diese enthält eine 5G-Antenne und einen Computer. Um das gesamte Weidegebiet abzudecken, sind mehrere solcher Basisstationen nötig.
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Von dort fließen die aufbereiteten Daten dann in Echtzeit per Internet auf die Smartphone-App. Allerdings gibt es in manchen Gebieten, wo Kühe weiden, kein flächendeckendes Mobilfunknetz. Deshalb setzen die Forschenden neben 4G- und 5G-Internet auch auf LoRaWAN, ein Funksignal, das selbst in entlegensten Gebieten funktioniert. Manchmal können die Kuhdaten sogar einen Umweg über Satelliten im Weltall nehmen, bevor sie auf der App ankommen.
Ab in den Stall
Die Halsbänder sollen den Landwirt*innen aber nicht nur die Nutztier-Fernsteuerung zum Schutze von Wandernden oder Naturlandschaften erlauben. Auch sonst könnte ihnen die Technologie unter die Arme greifen. Sie wüssten dadurch etwa immer, wo ihre Kühe aktuell unterwegs sind. Sogar in den Stall könnte man sie damit automatisch schicken.
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In den Basisstationen wird außerdem eine Künstliche Intelligenz stecken, die auffällige Verhaltensmuster automatisch erkennen und eine Warnung schicken könnte. „Wenn man so eine Kuh entdeckt, die sich außerhalb der Norm verhält, weil sie etwa verletzt oder vor dem Kalben sein könnte, muss sich der Landwirt nicht zwingend ins Auto setzen und auf den Berg fahren. Wir könnten theoretisch auch eine Drohne losschicken“, meint Scholz.
Interessierte Jungbauern und -bäuerinnen
Brandic ist überzeugt, dass sie österreichische Bauern und Bäuerinnen unterstützen können: „Viele Menschen wollen nicht mehr 40 bis 50 Stunden die Woche arbeiten. Die Frage ist, wie man das in der Landwirtschaft gestaltet. Schon jetzt gibt es viele Nebenerwerbsbauern, denn hauptberuflich Landwirt sein ist sehr unsicher geworden.“
Mit ihrem Projekt wollen die Forschenden auch eine Lösung für die Landwirtschaft der Zukunft aufzeigen. Bisher sei die Rückmeldung sehr positiv ausgefallen. Vor allem beim Nachwuchs stoße das Projekt auf Interesse. „Kürzlich hielten wir einen Workshop an einer Landwirtschaftsschule. Die Jungbauern sind meistens sehr offen für diese Technologie“, sagt Brandic.
Sie hofft, dass ihre Forschung irgendwann dabei hilft, die Viehwirtschaft in den Alpen zu vereinfachen. Erste Versuche gab es schon, bald soll der Testbetrieb auf Almen anlaufen.