NASA nimmt Abschied: Der letzte Flug des Mars-Helikopters Ingenuity
1,8 Kilogramm schwer, 121 Zentimeter Rotordurchmesser und weniger Akkuleistung als ein gewöhnliches Notebook. Was auf der Erde von Modellfliegern als „Spielzeug“ belächelt werden würde, ist das erste Fluggerät auf einer anderen Welt: Ingenuity.
Der Mars-Helikopter ist aber zum letzten Mal am Roten Planeten abgehoben. Bei der Landung von Flug 72 wurde mindestens eines der 4 Rotorblätter beschädigt. Der Mars-Rover Perseverance ist zu weit weg, um einen Blick auf seinen verletzten Kumpel zu werfen. Nur eine Aufnahme des Schattens, die Ingenuity selbst gemacht hat, verrät der NASA, dass es Zeit ist, die Mission des Mars-Helikopters zu beenden. Zu gefährlich wäre es, noch einen Flugversuch zu wagen. Ingenuity würde außer Kontrolle geraten und vollständig zerstört werden.
Keine Nachnutzung als Bodenstation
„Die historische Reise von Ingenuity hat ein Ende gefunden. Der Helikopter flog höher und weiter, als wir es uns je erträumt hätten. Missionen wie diese ebnen den Weg für weitere Flüge auf anderen Planeten und einer sicheren Erkundung des Mars durch Menschen“, sagte der NASA-Chef Bill Nelson am Donnerstag. Ein „zweites“ Leben als Bodenstation wird es für Ginny, so der Spitzname, nicht geben. Er hat keine Instrumente an Bord, die für so eine Aufgabe nützlich wären.
Die NASA lädt jetzt noch die zuletzt gesammelten Daten und Fotos herunter. In den nächsten Wochen wird der Mars-Rover Perseverance, der das Signal von Ingenuity zur NASA weiterleitet, aus der Reichweite verschwinden. Der Mars-Helikopter bleibt dann beschädigt und verlassen zurück, aber nicht vergessen.
Der letzte Flug von Ingenuity
Schon bei Flug 71 musste Ingenuity eine Notlandung hinlegen. Flug 72, am 18. Jänner 2024, sollte deshalb nur ein „Hop“ werden – also kurz hochsteigen, um sich mit den Kameras umzuschauen und wieder landen. So sollte die genaue Position des Hubschraubers bestimmt werden.
Wie geplant stieg Ingenuity in 12 Meter Höhe auf. Dort schwebte er für 4,5 Sekunden, bevor er wieder sank, mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde.
Bei ein Meter Höhe über dem Boden riss der Kontakt zwischen Ingenuity und Perseverance ab und damit die Verbindung zur Erde. Am nächsten Tag wurde die Verbindung wieder hergestellt. Auf Fotos des Schattens von Ingenuity sah die NASA, dass ein Teil eines Rotorblatts abgebrochen war. Es wird vermutet, dass das Rotorblatt bei der Landung den Boden berührt hat. Sollte das passiert sein, sind die übrigen 3 Rotorblätter womöglich auch beschädigt.
Anhand der Fotos schätzt die NASA, dass etwa 25 Prozent des Rotorblattes abgerissen wurden. Dadurch könne Ingenuity bei einem Flugversuch nicht mehr die Balance halten und würde rollen und kippen. Außerdem kommt der größte Auftrieb des Rotorsystems von den äußeren 25 bis 35 Prozent der Rotorblätter – und genau diesen Teil hat Ingenuity, zumindest bei einem Rotorblatt, verloren.
Kritik an der Ingenuity-Mission
Am 18. Februar 2021 landete Ginny am Mars – allerdings noch im Bauch des Mars-Rovers. Erst am 3. April 2021 wurde der Mars-Helikopter ausgeladen.
Der Erstflug fand am 19. April 2021 statt – die NASA feierte es als „Gebrüder Wright“-Moment.
Dass es überhaupt so weit kam, war keine fixe Sache. Schon als die NASA Jahre zuvor begonnen hat, die Mission „Mars 2020“ zu planen, gab es heftige Kritik am Fluggerät. Das Budget sei zu knapp, der Helikopter sei eine Ablenkung und würde keinen Mehrwert bieten. Er sei nur eine 30-tägige Technologie-Demonstration, die nichts zur wissenschaftlichen Erforschung des Mars beitrage, hieß es damals von einigen NASA-Mitarbeiter*innen.
Die für 30 Tage geplante Ingenuity-Mission dauerte schließlich fast 3 Jahre. Statt der geplanten 5 Testflüge absolvierte der kleine Helikopter 72. Weil die Datenübertragung vom Mars zur Erde (und umgekehrt) bis zu 24 Minuten dauert, ist keine direkte Fernsteuerung möglich. Die Flugstrecken wurden also vorprogrammiert – und dann hieß es hoffen, damit alles klappt.
Die ersten Flüge wurden von Perseverance beobachtet. Auch dafür gab es Kritik: Schließlich sei der Rover auf den Mars geschickt worden, um Spuren von Leben zu finden und nicht um einem „Spielzeug“ zuzuschauen. Der NASA wurde vorgeworfen, dass Ingenuity lediglich eine PR-Aktion sei und höchsten dazu diene, um ein höheres Budget von der US-Regierung zu sichern, nach dem Motto: „Seht her, was wir alles können.“ Ab Flug 6 drehten sich aber die Rollen. Ginny wurde als eine Art Luftaufklärung genutzt, um die geplante Route von Perseverance auszukundschaften und mögliche Hindernisse zu sehen.
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Im Laufe der Mission erhielt Ingenuity ein Software-Update, um automatisch eine sichere Landestelle zu finden, sollte der vorprogrammierte Ort nicht sicher genug für ein stabiles Aufsetzen sein. Denn die NASA hat zwar einen Mars-Satelliten, die Auflösung dessen Kameras reichen aber nicht, um alle Steinchen und Löcher zu erkennen, die den Helikopter bei der Landung aus der Balance bringen könnten.
Danach machten Ginny ein defekter Navigationssensor zu schaffen und Staubstürme, die sprichwörtliche Sand ins Getriebe streuten. Die zur Steuerung des Mars-Helikopters nötigen Taumelscheiben konnten aber vom Schmutz freigeschüttelt werden. Auch dem Mars-Winter, bei dem in der Nacht die Temperatur auf -128 Grad Celsius sinkt, trotzte Ingenuity. Das gelang, nachdem die NASA den Flugbetrieb und die Systeme anpasste. Zuvor fror durch die Kälte mehrfach der Navigationscomputer ein, was zu einem Signal- und Datenverlust führte.
Fun Facts
Ingenuity hat seinen Namen von der damals 17-jährigen Schülerin Vaneeza Rupani erhalten. Sie gewann einen Wettbewerb, bei dem Schüler*innen mit einem Essay beschreiben sollten, warum ihre Namen für den Mars-Rover und den Mars-Helikopter am besten sind. Der Vorschlag Perseverance für den Rover kam von Alex Mather (14).
Der Mars-Helikopter misst 121cm × 49cm × 52cm und ist 1,8kg schwer. Am Mars sind das aber nur 680 Gramm.
Ursprünglich ging die NASA davon aus, dass Ingenuity bis zu 3 Meter hoch und 300 Meter weit fliegen kann. Bei Flug 61 wurde mit 24 Meter der Höhenrekord aufgestellt, bei Flug 25 mit 708,91 Meter der Längenrekord.
Insgesamt wurden bei den 72 Flügen 17,242 Kilometer zurückgelegt. Die kombinierte Flugzeit betrug 2 Stunden, 8 Minuten und 55 Sekunden. Die höchste Geschwindigkeit betrug 36 km/h.
Ein Stück Stoff vom Flügel des „Flyer“ wurde an einem Kabel von Ingenuity befestigt. Der Flyer war das Flugzeug der Gebrüder Wright, mit dem am 17. Dezember 1903 der erste motorisierte Flug der Welt absolviert wurde.
In Google gibt es ein Ingenuity-Easter-Egg. Gibt man in die Suche „Ingenuity NASA“ ein, taucht ein Faktenkasten auf (Desktop rechts, mobile, wenn man nach unten scrollt). Klickt man auf das kleine animierte GIF von Ingenuity im Faktenkasten, beginnt der Mars-Helikopter über den Bildschirm zu fliegen.
Das Ziel der Mission wurde jedenfalls erfüllt: Den Beweis erbringen, dass in der dünnen Mars-Atmosphäre geflogen werden kann. Mit 72 Flügen, 3 Notlandungen und insgesamt 2 Stunden und 8 Minuten Flugzeit, wurde das übererfüllt. Mit den gesammelten Daten sollen zukünftig weitere Fluggeräte für den Einsatz auf anderen Welten optimiert werden. Einer davon ist der „Mars Science Helicopter“, der bis zu 2 Kilogramm Nutzlast transportieren kann. Damit könnten etwa Sensoren am Mars an Orten platziert werden, zu denen ein Rover nicht fahren kann.
Mit MAGGIE überdenkt die NASA zudem ein Flugzeug für den Mars, das Senkrechtstarter-Fähigkeiten hat.
Auch für andere Planeten und Monde sind Fluggeräte angebracht. Dazu gehört BREEZE, das die Venus aus der Vogelperspektive erkunden könnte.
Egal, auf welchen Welten menschengebaute Geräte zukünftig fliegen werden: Begonnen hat es mit dem kleinen Helikopter Ingenuity. Und wer weiß: Vielleicht wird Ginny eines Tages von Menschen eingesammelt, für die fliegende Drohnen zur Standardausrüstung bei Mars-Spaziergängen gehören. Und dann bekommt der Helikopter einen dekorativen Ehrenplatz in der Marskolonie, um an den „Gebrüder Wright“-Moment zu erinnern, den die NASA dank Ingenuity feiern konnte.