Physik-Nobelpreis geht an KI-Forscher
Nachdem am Montag bereits der Medizin-Nobelpreis vergeben wurde, war am Dienstag Physik an der Reihe. Ausgezeichnet wurden John J. Hopfield und Geoffrey E. Hinton für “grundlegende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzwerken ermöglichen”. Das gab das Komitee am Dienstag in einer Pressekonferenz bekannt.
Ausgezeichnet wurden John Hopfield und Geoffrey E. Hinton für “grundlegende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzwerken ermöglichen”. Das gab das Komitee am Dienstag in einer Pressekonferenz bekannt. Dabei nutzten sie Methoden der Physik, obwohl sie selbst keine Physiker sind. So ist Hopfield ein Molekularbiologe und Hinton ein Informatiker.
„Das maschinelle Lernen auf der Grundlage künstlicher neuronaler Netze revolutioniert derzeit die Wissenschaft, die Technik und das tägliche Leben”, so die Begründung weiter. Hopfield (91) und Hinton (76) hätten seit den 1980er-Jahren wichtige Arbeit mit künstlichen neuronalen Netzwerken geleistet.
Hopfield-Netzwerk
John Hopfield hat ein Netzwerk erfunden, das Muster speichert und nachstellen kann. Dabei nutzt das Hopfield-Netzwerk Werkzeuge der Teilchenphysik.
Das neuronale Netzwerk ist rekurrent. Das heißt, alle Neuronen sind miteinander verbunden und beeinflussen einander. Es ist dafür gemacht, bestimmte Muster zu speichern, die man ihm vorsetzt. Man kann ihm auch unvollständige Muster vorsetzen und das Netzwerk kann sie auf Basis dessen, was es bereits kennt, vervollständigen.
Dabei arbeitet es vergleichbar zum menschlichen Gehirn. So können Menschen auch dann ein Gesicht wiedererkennen, wenn sich ein Teil davon hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Wir vervollständigen in unserem Gehirn das Muster, gleichen es mit dem ab, an das wir uns erinnern, und erkennen so die Person dennoch.
Dieses Konzept umgelegt auf die Informatik, hat viele Anwendungszwecke. Das Naheliegendste ist die Vervollständigung von Daten, die fehlerhaft oder beschädigt sind. Auch zur Komprimierung von Daten kann es genutzt werden.
Boltzmann-Maschine
Geoffrey Hinton hat das Hopfield-Netzwerk als Grundlage für eine neue Art Netzwerk genutzt. Er verwendete dabei Werkzeuge aus der statistischen Physik. Das Ergebnis war die nach dem österreichischen Wissenschaftler Ludwig Boltzmann benannte Boltzmann-Maschine.
Sie ist deutlich komplexer als ein Hopfield-Netzwerk. Dabei ist sie nicht nur in der Lage Muster zu vervollständigen, sondern auch völlig neue Ausgaben auf Basis dessen, was es kennt, zu generieren. Ihr Funktionsprinzip ist vom Konzept her Basis für viele heutige KI-Anwendungen. Wenn man dem System etwa Fotos von hunderten Katzen vorsetzt, lernt es zu verstehen, was eine Katze ausmacht. Wie ihr Gesicht aussieht, welches Fell, Pfoten, Schwanz, etc. Anschließend kann das System auf Basis dieses Wissens ein Bild einer Katze erschaffen, die es so gar nicht gibt.
Boltzmann-Maschinen in ihrer ursprünglichen Form heute nur mehr selten eingesetzt, weil ihr Training im Vergleich zu besser optimierten Machine-Learning-Modellen als rechen- und zeitaufwändig gilt. Dennoch gilt ihr Funktionsprinzip als wegweisend für heutige Machine-Learning-Anwendungen.
Der Informatiker Hinton wurde 2018 mit dem Turing Award für Grundlagenforschung im Bereich Maschinenlernen ausgezeichnet. Zuletzt arbeitete er ein Jahrzehnt lang bei Google, bevor er kündigte und vor den Auswirkungen von KI warnte.
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"Großer Nutzen in Physik"
„Die Arbeit der Preisträger war bereits von großem Nutzen. In der Physik verwenden wir künstliche neuronale Netzwerke in einer Vielzahl von Bereichen, beispielsweise bei der Entwicklung neuer Materialien mit spezifischen Eigenschaften“, sagt Ellen Moons, Vorsitzende des Nobelkomitees für Physik.
Im Rahmen der Bekanntgabe zeigte sich Hinton tendenziell optimistisch, was die Zukunft im Hinblick auf KI anbelangt. Die Umwälzungen seien mit dem Ausmaß der Industriellen Revolution vergleichbar. Anstatt Menschen nur in ihrer Kraft würden Maschinen sie nun auch in intellektuellen Fähigkeiten übertreffen.
"Wir haben keine Erfahrung damit, wie es ist, wenn Dinge intelligenter sind als wir. Es wird in vielerlei Hinsicht wunderbar sein", so Hinton. Gleichzeitig sollten wir uns auch über eine Reihe von negativen Folgen Gedanken machen: "Insbesondere über die Gefahr, dass diese Dinge außer Kontrolle geraten können", warnt der Nobelpreisträger.
Preisgeld
Der Nobelpreis ist mit 11 Millionen Schwedischen Kronen (rund 970.000 Euro) dotiert und gilt international als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Die Preise gehen auf den Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurück. Sie sollen laut Nobels Testament diejenigen ehren, die der Menschheit im vergangenen Jahr in den einzelnen Preiskategorien den größten Nutzen erwiesen haben. Die Kategorie Physik ist dabei die erste, die Nobel in seinem Testament erwähnte.
Die zeitliche Vorgabe wird von den zuständigen Nobelkomitees in der Regel nicht allzu ernst genommen: Viele Preisträger werden erst Jahre oder Jahrzehnte nach ihrer bahnbrechenden Forschung mit dem Nobelpreis geehrt.
Der Physik-Nobelpreis der vergangenen 10 Jahre
Der Physik-Nobelpreis wird seit 1901 vergeben. Den ersten erhielt der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der "X-Strahlen", der später nach ihm benannten Röntgenstrahlen. Die Preisträger der vergangenen 10 Jahre waren:
2023: Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an an Pierre Agostini von der französischen Aix-Marseille-Universität, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching, Ferenc Krausz und die an der schwedischen Universität von Lund lehrende Anne L'Huillier. Sie wurden für ihre Forschungen im Bereich der Elektronendynamik ausgezeichnet. Ihre Arbeit hätten der Menschheit neue Instrumente zur Erforschung der Welt der Elektronen in Atomen und Molekülen geliefert.
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2022: Der Österreicher Anton Zeilinger, der Franzose Alain Aspect und der US-Amerikaner John Clauser. Sie haben mit ihren Experimenten den Grundstein für eine neue Ära der Quantentechnologie gelegt. Bei ihren verschränkten Quantenzuständen verhalten sich zwei Teilchen wie eine Einheit - selbst wenn sie weit voneinander entfernt sind.
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2021: Der Hamburger Meteorologe Klaus Hasselmann und der in Japan geborene US-Amerikaner Syukuro Manabe, die eine solide physikalische Grundlage für unser Wissen über den Klimawandel geschaffen haben. Der Italiener Giorgio Parisi wurde für seine Arbeit zum Verstehen komplexer Systeme geehrt.
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2020: Der deutsche Physiker Reinhard Genzel und Andrea Ghez (USA), die das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße entdeckten. Zudem wurde der Brite Roger Penrose geehrt, der erkannte, dass die Bildung von Schwarzen Löchern eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie ist.
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2019: Der kanadisch-amerikanische Kosmologe James Peebles für Erkenntnisse zur Entwicklung des Universums sowie die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz. Sie entdeckten den ersten Exoplaneten, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist.
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2018: Die Laserphysiker Arthur Ashkin (USA), Gérard Mourou (Frankreich) und Donna Strickland (Kanada) für die Entwicklung präziser Werkzeuge aus Licht.
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2017: Die drei US-Forscher Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne für den direkten Nachweis von Gravitationswellen. Albert Einstein hatte das Phänomen bereits vorhergesagt.
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2016: Die gebürtigen Briten David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz. Sie haben exotische Zustände beschrieben, die eine Relevanz für Quantencomputer und neue Materialien haben könnten.
2015: Der Japaner Takaaki Kajita und der Kanadier Arthur McDonald. Sie hatten nachgewiesen, dass Neutrinos eine Masse besitzen. Die winzigen neutralen Elementarteilchen durchströmen das All und selbst Mauern.
2014: Die gebürtigen Japaner Isamu Akasaki, Hiroshi Amano und Shuji Nakamura für die Erfindung hocheffizienter Lichtquellen. Die blau leuchtenden Dioden ermöglichen helle und energiesparende LEDs.