Pseudosatelliten erobern die Stratosphäre
Über unseren Köpfen, im Erdorbit, flitzen aktuell knapp 5000 Satelliten herum. Etwas mehr als 2000 davon sind aktiv, der Rest ist Schrott. Satelliten übernehmen eine Menge wichtiger Aufgaben, von Telekommunikation bis hin zu wissenschaftlichen Experimeten oder der Wetterbeobachtung. Die hochkomplexen Maschinen haben jedoch auch eine Reihe von Nachteilen, u.a. hohe Kosten, das Fehlen von Wartungsmöglichkeiten und ein relativ großer Abstand zur Erdoberfläche.
Als Alternative gelten so genannte Höhenplattformen oder Pseudosatelliten. Das sind Ballons, Luftschiffe oder Flugzeuge, die sich lange Zeit in großen Höhen aufhalten und dank mitgeführter technischer Ausrüstung ganz ähnliche Aufgaben wie Satelliten erfüllen. In der Stratosphäre - also in Höhen zwischen 18 und 50 Kilometer - unterwegs, beeinträchtigen sie den Flugverkehr darunter nicht und können mit Sensoren oder Sendern riesige Gebiete abdecken.
Reihe von Vorteilen
Mit Kameras ausgestattet, eröffnet sich ihnen ein wesentlich genauerer Blick als aus dem Erdorbit (ab 200 Kilometer Höhe). Durch das Ausnutzen unterschiedlicher Windrichtungen in verschiedenen Ebenen der Stratosphäre können sie sogar über einem bestimmten Punkt auf der Erde verharren - genau wie geostationäre Satelliten. Letztere folgen der Erdrotation allerdings in 36.000 Kilometer Entfernung. Weitere Vorteile von Höhenplattformen: Sie sind wesentlich günstiger, jederzeit startbar und können auch wieder landen.
Warum werden diese Maschinen nicht schon längst eingesetzt? "Bis jetzt war die Navigation das größte Problem", meint Jane Poynter, Mitbegründerin des Unternehmens World View. Sie war einer der Stargäste des diesjährigen Pioneers Festival in Wien, wo sie die futurezone zu einem Gespräch traf.
Jüngste Fortschritte bei Solarenergie, Batterietechnologie und Materialwissenschaft haben laut Poynter die Entwicklung von Höhenplattformen beflügelt. World View nennt sie "Stratollites". An riesigen Heliumballons hängend werden sie von Solarzellen betrieben und können bis zu 50 Kilogramm Nutzlast mitführen. Durch mitgeführte Ballasttanks mit Luft können die Ballons ihre Flughöhe variieren. Künftig sollen auch wesentlich schwerere Frachten transportiert werden können - etwa Druckkabinen für Touristen. Für Ticketpreise ab 75.000 Dollar sollen sie die Krümmung der blauen Erde im schwarzen Weltall in ein paar Jahren mit eigenen Augen sehen können.
Viele Einsatzzwecke
Im geschäftlichen Fokus stehen aber andere Dinge. Mit hochauflösenden Kameras können Höhenplattformen Verkehrsströme oder Anbauflächen überwachen, sie können Kommunikationsnetzwerke bilden oder als Abschussrampe für Weltraumraketen dienen. Im Jahr 2017 demonstrierte Google mit seinem Projekt Loon im hurrikanverwüsteten Puerto Rico, dass man mit Pseudosatelliten sehr schnell 300.000 Menschen mit Internetzugang versorgen kann. Sturmeinsätze sieht auch Jane Poynter als potenzielles Einsatzgebiet: "Man könnte Stratollites über Hurrikans positionieren und bekäme so präzise Daten über ihre Stärke und Richtung."
Wachsender Markt
Unternehmer und Wissenschaftler sind gleichermaßen begeistert über die Möglichkeiten, die Höhenplattformen bieten. Nicht nur die US-Firmen Google und World View arbeiten an Ballons, auch das chinesische Unternehmen Kuang-Chi Science kann bedeutende Fortschritte vorweisen. Ein anderes Erscheinungsbild von Höhenplattformen sind solarbetriebene, unbemannte Flugzeuge. Die Boeing-Tochter Aurora Flight Sciences arbeitet etwa an einer Drohne mit riesiger Spannweite, der monatelang in der Luft bleiben kann. Airbus verfolgt ein ähnliches Projekt. Seine Zephyr-Drohne flog bereits 25 Tage am Stück durch die Stratosphäre. In der Schweiz arbeitet Solar Stratos an einem Stratosphärenflugzeug für zwei Passagiere. Das transeuropäische Unternehmen Thales Alenia Space arbeitet wiederum an einem Luftschiff namens Stratobus, das jahrelang in rund 20 Kilometer Höhe schweben soll.
Die Marktaussichten in der Stratosphäre sind ähnlich rosig wie in der privaten Raumfahrt generell. Laut Jane Poynter soll der gesamte "Space Market" 2040 eine Billion Dollar schwer sein. Die World-View-Mitbegründerin hat das Wachstum der Branche jahrzehntelang miterlebt. Von 1991 bis 1993 war sie Teil des Projekts Biosphere 2, bei dem sich acht Freiwillige zwei Jahre lang einsperren ließen, um das Überleben in einem geschlossenen Habitat zu erforschen. "Danach kam ein Typ auf uns zu, der wissen wollte, wie realistisch wir die Chancen einschätzten, ohne staatliche Hilfe zum Mars zu fliegen", meint Poynter. Es war Elon Musk.