So tötet das Coronavirus
Weit über zwei Millionen Menschen haben sich bis heute weltweit mit dem Coronavirus COVID-19 infiziert. Über 150.000 sind daran gestorben. Der Großteil der Todesfälle geht auf ein Versagen der Atmung zurück, es gibt aber auch andere Todesursachen. Das Virus greift neben der Lunge auch Blutgefäße, Nieren, Darm, Hirn und andere Körperregionen an. Teilweise lassen sich Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fronten, an denen das körpereigene Immunsystem gegen den Eindringling kämpft, herstellen - teilweise aber (noch) nicht.
Weltweit wird intensiv an der Erforschung der genauen Wirkungsweisen des Virus geforscht. Viele Mediziner müssen sich derzeit aber stark der Behandlung von erkrankten Personen widmen, weniger der Forschung. Das Science Magazine hat nun in einem ausführlichen Artikel beschrieben, was man bisher über die Gefährlichkeit des Virus für unterschiedliche Körperregionen weiß. "Die Krankheit kann fast alles im Körper mit vernichtenden Konsequenzen angreifen", wird der Kardiologe Harlan Krumholz von der Universität Yale zitiert. "Seine Bösartigkeit ist atemberaubend und demütigend."
Lunge
Das Coronavirus dringt - soviel ist derzeit schon bekannt - üblicherweise über die Nase und den Rachen in den Körper ein. In diesen Regionen sind die Zelloberflächen reich an so genannten ACE2-Rezeptoren. Sie bilden quasi die Andockstellen für die Viren, die auf diesem Wege in die Zellen eindringen. Einmal drin, programmieren sie die Zellen um, um sich zu reproduzieren und weitere Zellen anzugreifen.
Über Nase und Rachen gelangen die Viren in die Lunge. Darin finden sie die Lungenbläschen (Alveolen) vor, über die Sauerstoff ins Blut gelangt. Die nur eine Zellschicht dünne Membran der Lungenbläschen weist ebenfalls viele ACE2-Rezeptoren auf. Das Eindringen des Virus ruft das Immunsystem auf den Plan. Weiße Blutkörperchen töten infizierte Zellen ab und stoßen Moleküle aus, die Entzündungen hervorrufen und noch mehr Abwehrzellen aktivieren. In dem Kampf wird die Sauerstoffaufnahme der Lunge stark beeinträchtigt, weshalb es zu Husten und rascher Atemfrequenz kommt.
Einige Forscher vermuten, dass der Abwehrkampf in der Lunge einen so genannten Zytokinsturm auslöst. Dabei handelt es sich um eine Überreaktion des Immunsystems, bei der neben infizierten auch gesunde Zellen angegriffen werden. Blutgefäße werden dabei aufgerissen, Blutklumpen formen sich, der Blutdruck sinkt. Das führt zu einem Organversagen. Andere Forscher sind nicht überzeugt, dass Zytokinstürme Patienten wirklich das Leben kosten. Sie fürchten, dass Medikamente, die auf die Reduktion der Zytokine abzielen, das Immunsystem schwächen und es somit an der Abwehr in anderen, ebenso kritischen Körperregionen hindern.
Blutkreislauf
Bei Untersuchungen bisheriger COVID-19-Todesfälle wurden oftmals Veränderungen des Blutes und Beeinträchtigungen des Blutkreislaufs festgestellt. So kam es etwa bei vielen Patienten zur Bildung von Blutklumpen, die wiederum Gefäße verstopften. U.a. kam es dadurch zu Lungenembolien.
Die Infektion mit dem Coronavirus könnte jedoch auch Gefäßverengungen auslösen. Damit könnte ein Phänomen erklärt werden, das Mediziner bisher vor ein Rätsel stellte. Manche COVID-19-Patienten wiesen keinerlei beschleunigte Atmung auf, obwohl die Sauerstoffsättigung des Blutes alarmierend gering war. Das Virus kann offenbar das fragile hormonelle Gleichgewicht beeinflussen, das Atmung, Blutdruck und Gefäßdicke reguliert. Eine Theorie lautet, dass die Sauerstoffaufnahme durch die Veränderungen in den Gefäßen ausgelöst wird, und nicht durch die zerstörten Lungenbläschen.
Für die Tödlichkeit des Coronavirus durch seine Beeinflussung des Blutkreislaufs sprechen bereits ausgemachte Risikofaktoren. Wer an Diabetes, Fettleibigkeit oder hohem Blutdruck leidet sowie ein fortgeschrittenes Alter hat, scheint angreifbarer. "Wir stehen aber erst am Anfang", meint Krumholz. "Wir verstehen noch nicht genau wer angreifbar ist, warum manche Menschen so stark betroffen sind, warum die Infektion so schnell voranschreitet und warum es für manche Menschen so schwierig ist, sich davon zu erholen."
Nieren
Ein weiterer Körperbereich, der direkt vom Coronavirus attackiert wird, sind die Nieren. Bei Untersuchungen chinesischer COVID-19-Todesfälle hatten über 40 Prozent der Betroffenen Blut im Urin, was auf Nierenschäden hinweist. Nieren sind ebenfalls reich an ACE2-Rezeptoren. Bei der Behandlung von Infizierten sind deshalb Dialysemaschinen fast ebenso gefragt wie Beatmungsgeräte.
Manche Experten sehen Nierenschäden aber als Kollateralschaden. Zytokinstürme reduzieren etwa den Blutfluss zu den Nieren, wodurch es in dem Bereich zu einem Organversagen kommen kann. Wer bereits vor einer Infektion an chronischen Krankheiten, etwa Diabetes, litt, ist klarerweise umso mehr gefährdet.
Nervensystem
Das Coronavirus wirkt sich oftmals auch fatal auf das Hirn aus. Bei einigen Patienten wurden Hirnhautentzündungen festgestellt oder eine Überreaktion des sympathischen Nervensystems. Das kann zu Besinnungslosigkeit oder gar Schlaganfällen führen. Auch der Verlust des Geruchssinns, von dem viele Coronavirus-Patienten berichten, kann auf eine direkte Beeinträchtigung des Nervensystems zurückgeführt werden.
Schäden im Hirn könnten aber ebenfalls durch Folgen des Abwehrkampfes in anderen Körperregionen auftreten. Durch einen Zytokinsturm kann es etwa zu einem Anschwellen des Hirns kommen, sowie zu Schlaganfällen.
Verdauung
Rund 20 Prozent aller COVID-19-Patienten leiden an Durchfall, wenn man die Ergebnisse verschiedener Studien kombiniert. Obwohl in dem Bereich bisher noch keine tödlichen Folgen entdeckt wurden, wird auch dieser Bereich intensiv erforscht. Es kann dabei u.a. darum gehen, ob COVID-19 durch Fäkalien übertragen werden kann. Bisher gibt es dafür noch keine Beweise.
Das Coronavirus kann sich darüber hinaus auch auf viele weitere Bereiche des Körpers auswirken. Beobachtet wurden etwa Leberschäden und Bindehautentzündungen im Auge. Wie das Science Magazine betont, ist das momentane Bild von den Auswirkungen des Coronavirus immer noch äußerst lückenhaft. Jahre intensiver Forschung seien notwendig, um die weitreichenden Effekte des Virus genauer zu verstehen.