Warum wir Stille hören können
Stille ist nicht komplett still. Für den Menschen hat sie eine Art Klang. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die vor Kurzem im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde.
Die beteiligten Forscher*innen haben dabei eine Reihe von akustischen Illusionen verwendet, um zu zeigen, dass Menschen Stille genauso wahrnehmen wie Geräusche. Die Studie gibt zwar keinen Aufschluss darüber, wie das menschliche Gehirn Stille verarbeitet. Die Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass Menschen sie als eine eigene Art "Klang" wahrnehmen - und nicht nur als Leere zwischen Geräuschen.
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Hören ist mehr als das Wahrnehmen von Geräuschen
“Stille ist eine auditive Erfahrung von reiner Zeit", erklärt der beteiligte Forscher Rui Zhe Goh gegenüber der New York Times. Dieser Gedanke brachte ihn dazu, sich zu fragen, ob die Abwesenheit von Geräuschen etwas ist, das Menschen wirklich erleben oder Stille nur einen Mangel einer Erfahrung darstellt. Also erforschten Goh und sein Team, ob der menschliche Verstand mit Stille genauso umgeht wie mit Geräuschen.
Die Forscher*innen spielten Personen eine Reihe von Klangillusionen vor. Beim ersten Test mussten Proband*innen einen einzelnen längeren Ton mit 2 kürzeren verglichen. Die beiden kürzeren Töne ergaben zusammen die gleiche Zeitspanne wie der längere Ton. Wenn die Menschen sie jedoch hörten, nahmen sie den einzelnen Ton als länger wahr.
Diese Täuschung wiederholte das Forschungsteam mit stillen Sequenzen. Die Wissenschaftler*innen spielten den Testpersonen Geräuschkulissen von Restaurants, belebten Märkten, Zügen oder Spielplätzen vor und fügten dazwischen stille Sequenzen ein, deren Länge die Teilnehmer*innen im Anschluss wiederum miteinander vergleichen sollten. Das Ergebnis: Auch bei Sequenzen von Stille bleibt die Illusion aufrecht. Die Testpersonen nahmen die einzelnen stillen Frequenzen länger wahr, als sie es tatsächlich waren.
Reaktion bei Stille und Ton gleich
„Man bekommt den gleichen Effekt", so der beteiligte Wissenschaftler Chaz Firestone. Daraus ließe sich schließen: Menschen erfahren Stille genauso wie Geräusche, auch wenn sie eigentlich nichts „hören“.
Die Ergebnisse hält auch der Kognitionswissenschaftler Sami Yousif, der nicht an der Studie mitgewirkt hat, für plausibel. Geräusche sind Wellen, die auf das Ohr einwirken, wie Yousif der New York Times erklärt. Stille tue dies nicht. Dies bedeute allerdings nicht, dass Stille unmöglich wahrzunehmen ist. "Diese Leerstellen sind auch eine Art Ereignis, sie sind eine Art Einheit, die in unserer Erfahrung repräsentiert wird", so Yousef.
Die Forscher*innen untersuchten zwar nicht, wie das menschliche Gehirn konkret auf Stille reagiert. Doch Goh meint, ihre Forschungsergebnisse stützen die Idee, dass neuronale Prozesse an der Wahrnehmung von Stille beteiligt sind. „Stille ist eine echte Erfahrung“, so der Wissenschaftler. Künftig soll nach weiteren Beweisen für den "Klang" der Stille gesucht werden.
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