Wie würde der Supraleiter-Durchbruch LK-99 die Welt verändern?
Die Physikwelt wartet aktuell mit Hochspannung auf die Bestätigung der Ergebnisse eines möglicherweise revolutionären Experiments: Ein Supraleiter, der bei Raumtemperatur und normalem Druck funktionieren soll. Wir erklären, was das neue Material ist, warum die Entdeckung so spannend ist und wofür es eingesetzt werden könnte.
Was ist ein Supraleiter?
Aus der Schule weiß man noch: Wenn Strom durch einen elektrischen Leiter fließt, dann entsteht ein elektrischer Widerstand. Der bestimmt, wie viel Strom durchgeleitet werden kann. Je mehr Strom durchgeleitet wird, desto höher sind die Verluste. Sie werden in Form von Wärme abgegeben, weshalb Leiter meist gekühlt werden müssen. Supraleiter hingegen haben keinen elektrischen Widerstand und deshalb auch keine Abwärme. Quecksilber wird etwa zum Supraleiter, wenn man es fast auf den Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) herunterkühlt.
Warum schweben Supraleiter?
Ein Supraleiter kann ein Magnetfeld vollständig aus seinem Inneren nach außen drücken. Statt durch ihn hindurch, fließt es dann um ihn herum. Das nennt man den „Meißner-Ochsenfeld-Effekt“. Das sorgt dafür, dass sie über einem Magneten schweben. Wie gut ein Material schwebt, hängt von dessen Reinheit ab, weshalb so die Qualität des Materials geprüft werden kann.
Die Entdeckung von Hochtemperatursupraleitern 1986 wurde mit einem Nobelpreis ausgezeichnet. Statt fast am absoluten Nullpunkt, werden diese Supraleiter meist bei Temperaturen zwischen -135 und -196 Grad betrieben. Statt aus Metall bestehen sie meist aus Keramik. Gekühlt werden sie etwa mit flüssigem Stickstoff.
Was soll das neue „Wundermaterial“ können?
LK-99 wurde bereits 1999 in Korea von Sukbae Lee und Ji-Hoon Kim entdeckt. Es ist ein Blei-Apatit, also ein Mineral aus Blei und Phosphat, das in diesem Fall mit winzigen Mengen Kupfer modifiziert wurde. „Ein Supraleiter, der bei Raumtemperatur und normalem Druck, ohne die Kühlung mit flüssigem Stickstoff, funktioniert – das wäre ein riesiger Gewinn“, beschreibt Karsten Held vom Institut für Festkörperphysik an der TU Wien gegenüber der futurezone die Entdeckung.
Könnte das wirklich funktionieren?
Wie viele Forscher*innen weltweit hat sich Held zusammen mit Liang Si von der Northwestern University Xi'an das Material genauer angesehen (zur Studie). „Wir haben berechnet, bei welchen Energien und Geschwindigkeiten sich Elektronen in LK-99 bewegen. Unter bestimmten Voraussetzungen zeigt es vielversprechende Eigenschaften“, sagt Held.
Unbehandelt leite das Material eigentlich gar keinen Strom, ist also das Gegenteil dessen, wonach die Physikwelt sucht. Werden aber zusätzliche Atome eingefügt, eine sogenannte Dotierung, könnte sich das umkehren. „Ein Beweis ist das aber noch nicht“, gibt Held zu bedenken.
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Welche Fragen sind noch offen?
Bisher konnte das Experiment nicht reproduziert und noch nicht von unabhängigen Forscher*innen bestätigt werden. Videos und Fotos zeigen zwar, dass LK-99 über einem Magneten schwebt. Unklar ist aber, ob dieser Effekt tatsächlich auf einen Supraleiter hinweist, oder ein anderes Phänomen ist. Beim sogenannten Diamagnetismus tritt ebenfalls der Effekt auf, dass das Material über einem Magneten schwebt. Das bedeutet aber nicht, dass dieser die elektrische Leitfähigkeit eines Supraleiters mitbringt.
Warum die große Skepsis?
„Es gab über die Jahre immer wieder Behauptungen, Supraleiter bei Raumtemperatur gefunden zu haben. Die Community ist ein bisschen immun geworden gegen solche Ankündigungen. In den kommenden Wochen oder Monaten wird klar werden, ob es sich um einen Supraleiter handelt“, sagt Held.
Zweifel gab es auch, weil die ursprüngliche Arbeit der 3 Wissenschaftler aus Südkorea übereilt und unfertig publiziert wurde. Erst nachträglich wurde die Studie ausgebaut, um offene Fragen zu beantworten. In Kürze soll ein unabhängiges Komitee das verwendete Material genau untersuchen und bestätigen, ob der Durchbruch tatsächlich gelungen ist, berichtet Bloomberg.
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Wofür könnten Raumtemperatur-Supraleiter eingesetzt werden?
Nehme man an, die Supraleiter funktionieren tatsächlich bei Raumtemperatur, würde das schlagartig neue Möglichkeiten in allen Bereichen eröffnen, die mit Strom zu tun haben. Damit würde es keinen Verlust mehr zwischen Stromquelle und Gerät geben – egal ob das ein Fernseher, ein Quantencomputer oder ein E-Auto ist. In Rechenzentren, die mit Computern aus Supraleitern betrieben werden, könnte kaum mehr Kühlung benötigt werden.
Das würde nicht nur bedeuten, dass Geräte selbst effizienter sind, sie brauchen auch weniger Strom, weil keine Wärme entsteht, die weggekühlt werden muss. Das gilt sowohl für Spielekonsolen, die keinen aktiven Lüfter mehr bräuchten, als auch riesige Rechenzentren.
„Heutzutage sind Supraleiter schon ein Milliarden-Euro-Markt, etwa bei der Erzeugung von Magnetfeldern bei MR-Geräten in der Medizin, am CERN oder bei der Kernfusion“, sagt Held. Dort müssen supraleitende Magnetspulen mit flüssigem Helium auf -263 Grad gekühlt werden.
Das ohnehin schon komplexe Unterfangen, mit Kernfusion eine saubere und nahezu unbegrenzte Energiequelle zu schaffen, könnte mit den neuen Supraleitern um eine Hürde erleichtert werden. Denn auch das Stromnetz selbst könnte mit Supraleitern vollkommen modernisiert werden. Große Strommengen könnten über weite Distanzen transportiert werden, was weniger Kraftwerke und kleinere Umspannwerke erfordert.
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