Über 200 Grad: Neuartige Wärmepumpe ersetzt Erdgas in Pharmafirma
Die Wärmepumpe ist in Österreich eine weitverbreitete Alternative zur Gasheizung. Denn sie kommt gänzlich ohne fossile Brennstoffe aus und bezieht die Energie zum Heizen stattdessen aus der Umwelt, etwa aus der Luft, der Erde oder dem Grundwasser. Das schont das Klima. Und langfristig wohl auch die Geldbörse, zumal die steigenden Gaspreise und der geplante Ausstieg aus fossilen Energieträgern Konsument*innen und Betriebe zunehmend unter Druck setzen.
Während Wärmepumpen für Haushalte bereits eine reale Alternative sind, galten sie in der Industrie lange als wenig vielversprechend. Denn gerade bei hohen Temperaturen, wie sie in vielen Produktionen benötigt werden, stoßen die Pumpen an ihre Grenzen.
Der Arzneimittelhersteller Takeda will diese Grenzen nun in Zusammenarbeit mit Forscher*innen des Austrian Institute of Technology (AIT) überbrücken. Ihr neuartiges Wärmepumpsystem "AHEAD" (Advanced Heat Pump Demonstrator) soll bislang unerreichte Temperaturen von 200 bis 260 Grad Celsius erzielen und so Erdgas in der Arzneimittelherstellung durch CO2-freie Energiequellen ersetzen. Takeda spricht von einem "Praxisbeispiel", von dem auch andere Betriebe und Branchen künftig profitieren sollen.
Neuland bei Hochtemperaturwärmepumpen
Die Effizienz von Wärmepumpen hängt grundsätzlich davon ab, wie groß der Unterschied zwischen der Umwelt- und der Zieltemperatur ist. Kleine Temperaturunterschiede können mit grandioser Effizienz überbrückt werden. Aber je größer der Unterschied ist, desto ineffizienter wird der Prozess. Am effektivsten sind Wärmepumpen bei Temperaturen deutlich unter 100 Grad Celsius.
"In der Arzneimittelherstellung sind aber 184 Grad erforderlich", erklärt AHEAD-Projektleiter Harald Erös in einer Pressekonferenz am Mittwoch - etwa um chemische und biologische Prozesse in Gang zu setzen oder ein steriles Produktionsumfeld zu gewährleisten. "Ein großer Teil des Prozesswärmebedarfs in der Arzneimittelproduktion wird bis dato durch Erdgas gedeckt".
Dabei gäbe es gerade in der Industrie viel vorgewärmte Luft von Gerätschaften, die zur Energierückgewinnung mittels Wärmepumpen herhalten könnten. Genau hier setzen die Forscher*innen an. Der Pharmakonzern Takeda verfügt in seinem Sitz in Wien-Donaustadt über moderne Kühlungsanlagen für seine Arzneien, deren Abwärme bereits dafür genützt wird, die Firmengebäude zu heizen. Eine bereits bestehende Wärmepumpe erwärmt das Heizungswasser auf 70 Grad Celsius.
Aus Kälte wird Dampf
Auf dieses Temperaturniveau setze AHEAD auf, erklärt Wolfgang Hribernik, Leiter des „Center for Energy“ am AIT. Eine Hochtemperaturwärmepumpe erhitzt das zugeführte Wasser von den besagten 70 auf 130 Grad, wodurch es verdampft. Dieser Dampf wird dann auf einen Druck von 11 bar verdichtet und schließlich auf 184 Grad Celsius weiter erhitzt - die idealen Bedingungen für die Arzneimittelherstellung.
Mit der Hochtemperaturwärmepumpe betrete man Neuland, ist auch Projektleiterin Veronika Wilk überzeugt. Das gelte für das Erreichen der hohen Temperaturen, aber auch für den Einsatz des natürlichen Kältemittels Butan. Im Gegensatz zu synthetischen, also künstlich erzeugten, Pendants sind sie umweltverträglicher. In Zusammenarbeit mit der deutschen Firma SPH wird deren Hochtemperatur-Technologie nun an das natürliche Kältemittel angepasst.
Wissensaustausch statt Wettbewerb
Mit dem Projekt will Takeda „den Erdgasbedarf um 90 Prozent reduzieren", erklärt Karl-Heinz Hofbauer, Leiter der Produktionsstandorte von Takeda in Wien. 1.900 Tonnen CO2 im Jahr könnten mit AHEAD eingespart werden, hier sei die Zusammensetzung des Strommix, welcher zum Betrieb der Wärmepumpe benötigt wird, bereits einberechnet. Trotz hoher Anschaffungskosten rentiere sich eine solche Wärmepumpe im Betrieb, da Takeda weniger Strom und natürlich kein Gas verbrauche, so Hofbauer.
Das Wärmepumpensystem geht Ende 2024 in Betrieb. Und auch andere Industriebetriebe dürften künftig von ihm profitieren. AHEAD werde "keinesfalls für Wettbewerbsdifferenzierung missbraucht", hält Hofbauer fest. Das Projekt solle stattdessen als Praxisbeispiel für andere Industriebetriebe herhalten, die ebenfalls ihren CO2-Ausstoß mittels Wärmepumpe reduzieren wollen.
Vor allem im Temperaturbereich unter 200 Grad Celsius habe der Einsatz von industriellen Hochtemperaturwärmepumpen "enormes Potenzial", erklärt Hribernik vom AIT, "denn in diesen Bereich fallen 37 Prozent des Prozesswärmebedarfs der europäischen Industrie". Abseits der Pharmabranche habe die Technologie überall dort einen Reiz, wo Kälte und Wärme gebraucht wird, etwa in der Lebensmittelproduktion.