Warum der Winter viel wärmer ist, als wir glauben
Der Jänner war in Österreich bisher um 1,3 Grad zu kalt. Das zeigt die Auswertung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), die dies mittels einer großteils blau eingefärbten Landkarte illustriert. Aber war es tatsächlich so kalt? Denn der Blick auf eine andere Klimakarte liefert ein völlig anderes Ergebnis: Laut dieser war es im selben Zeitraum im Flächenmittel nämlich um ein halbes Grad zu warm.
Grund für die Diskrepanz ist der 30-jährige Bezugszeitraum, der für die Klimabeobachtung herangezogen wird. Und dieser ist seit Anfang 2021 ein völlig anderer. Verglich man bis zuletzt die Werte stets mit dem von der Weltorganisation für Meteorologie definierten Zeitraum 1961-1990, gilt ab heuer offiziell die neue Referenzperiode 1991-2020. Sämtliche klimarelevante Werte wie Temperatur, Niederschlag oder Sonnenscheindauer werden nun mit dieser verglichen.
Das System mit den sogenannten „Klimanormalperioden“, die jeweils für 30 Jahre gültig sind, wurde in den 1930er-Jahren erstmals eingeführt. „Der lange Zeitraum wurde gewählt, um die Auswirkungen statistischer Ausreißer gering zu halten. Die rasante Temperaturerwärmung der vergangenen Jahrzehnte ergibt nun aber das Problem, dass wir durch die schlagartige Umstellung plötzlich mit einer Referenzperiode vergleichen, die deutlich wärmer als der bisherige Referenzwert ist“, erklärt ZAMG-Klimaforscher Johann Hiebl im futurezone-Interview.
Die Umstellung erzeuge einen gewissen Zwiespalt. „Einerseits kommt der neue Referenzzeitraum dem Empfinden der Menschen viel näher. Die meisten haben keine Erinnerung an die Sommer oder Winter in den 60er- oder 70er-Jahren. Und auch Energieerzeuger, Versicherungen sowie die Bauwirtschaft brauchen einen aktuellen Vergleichszeitraum. Auf der anderen Seite werden dadurch die dramatischen Veränderungen durch den Klimawandel verharmlost“, sagt Hiebl.
Erwärmung hinterlässt Spuren
Die Wahrnehmung, welche Temperaturen als „normal“ empfunden werden, habe sich bereits verändert. „Die wiederholten Rekordtemperaturen der vergangenen Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Winter und Sommer, die im langjährigen Schnitt eigentlich durchschnittlich ausfallen, werden von den meisten mittlerweile als zu kalt empfunden“, weiß der Klimatologe aus seiner täglichen Arbeit und aus seinem persönlichen Umfeld zu berichten.
"Durchschnittliche Winter und Sommer werden als zu kalt empfunden"
Dass sich viel mehr Menschen als früher für das Klima interessieren, bewertet Hiebl als positiv. Mit Angeboten wie der ZAMG-eigenen Monitoring-Webseite, wo interessierte Nutzer neben den Tagestemperaturen auch monatliche und saisonale Werte genauer unter die Lupe nehmen können, wolle man ein stärkeres Bewusstsein für das Klima und derzeit stattfindende Veränderungen schaffen.
"Wenn man hört, dass sich das Klima im Mittel um ein Grad erwärmt hat, hört sich das zunächst einmal nicht tragisch an. Wenn man dann aber selbst nachsehen kann, was das heruntergebrochen auf das Vorjahr, die letzten Monate oder den gestrigen Tag bedeutet, wird der oft abstrakte Klimawandel besser greifbar. Wenn man sieht, dass mittlerweile wirklich fast jeder Sommer und Winter viel zu warm ausfällt, dann kann man sich besser vorstellen, was so eine klimatische Veränderung für Auswirkungen hat", erklärt Hiebl.
Mehrere Vergleichszeiträume
Um sowohl der aktuellen Lebensrealität als auch der längeren klimatologischen Einordnung gerecht zu werden, hat sich die ZAMG wie einige andere meteorologische Institute dazu entschieden, künftig beide Perioden als Referenzzeiträume beim Klimamonitoring zur Verfügung zu stellen. So kann jeder weiterhin überprüfen, wie sich das Klima aktuell und im Vergleich zum länger zurückliegenden Zeitraum verändert, der noch nicht so stark vom menschgemachten Klimawandel beeinflusst war.
Dass man den Referenzzeitraum seit seiner erstmaligen Einführung vor 80 Jahren nur in statischen 30-Jahre-Schritten anpasste, ist neben der notwendigen Vergleichbarkeit auch historisch bedingt. Denn eine Berechnungsumstellung war damals enorm aufwändig, die Adaption der Statistiken und technischen Systeme dauerte teilweise Jahre.
Klimanormalperiode
Für Forschung und Planung
Der 30-jährige Vergleichzeitraum hilft, den Klimawandel zu beobachten, ist aber auch für aktuelle Planungen von Energieversorgern, Versicherungen und der Bauwirtschaft wichtig
Aufwändige Aktualisierung
Bei einer Umstellung auf einen neuen Durchrechnungszeitraum müssen unzählige Datenbanken, Statistiken und technische Systeme adaptiert werden. Deshalb wurde die Klimanormalperiode bisher nur alle 30 Jahre aktualisiert
Häufigere Adaption
Die Klimanormalperiode wird künftig alle 10 Jahre aktualisiert – die nächste Umstellung erfolgt 2031
Im Computerzeitalter, wo Messgeräte alle paar Minuten automatisiert Daten liefern, wirkt so eine Vorgangsweise zwar einigermaßen befremdlich. Aufwändig bleibt die Umstellung aber allemal, wie Hiebl ausführt: „In den letzten Jahrzehnten sind große Datenmengen entstanden, die es früher einfach so nicht gegeben hat. Dazu gibt es gerade beim Thema Klima viele Datensätze, Produkte und Dienstleistungen, die wir für Firmen, die öffentliche Hand, aber auch Universitäten bereitstellen und warten. Das ist die Kehrseite der Datenvielfalt, die natürlich großartige Möglichkeiten bietet.“
Die technischen Möglichkeiten erlauben mittlerweile allerdings, die 30-jährige Klimanormalperiode nicht nur alle 30, sondern alle 10 Jahre zu aktualisieren. Das ist mittlerweile auch die Empfehlung der Weltorganisation für Meteorologie und wurde auch von der ZAMG schon bisher so gehandhabt. Die nächste Umstellung erfolgt daher im Jahr 2031 und wird die Periode 2001-2030 als Referenzzeit umspannen.