Wie "Smartphone-Zombies" ihre Knie und Hüften bewegen
Jeder kennt sie und viele sind schon mal mit ihnen zusammengestoßen: "Smartphone-Zombies" oder "Smombies", also Menschen, die mit ihrem Smartphone in der Hand und gesenktem Haupt durch Straßen und Gänge schlurfen. Wird man von Mobilgeräten abgelenkt, verändert sich der Gang von Menschen automatisch. Wie genau und welche Auswirkungen das hat, das wird an der FH Campus Wien in einem speziellen Bewegungslabor untersucht.
Virtueller Raum
Zur Erforschung von menschlichen Alltagsbewegungen steht dort seit Kurzem ein neues Virtual-Reality-System zur Verfügung, das auf den Namen GRAIL hört. Im Gait Realtime Analysis Interactive Lab können Testpersonen auf einem speziellen Laufband platziert werden, während ihre Bewegung in virtuellen Räumen auf einer gewölbten 180-Grad-Leinwand dargestellt wird. Die Bewegung der Testperson wird über Kraftmessplatten im Laufband, aber auch über ein 3D-Bewegungsanalysesystem erfasst."Dabei werden auf der Haut reflektierende Marker angebracht, deren Bewegung von mehreren Kameras aufgenommen wird", erklärt Physiotherapeut Klaus Widhalm, Forschender und Lehrender im Bachelorstudium Physiotherapie.
"Das ganze funktioniert wie bei 'Motion Capture' für animierte Filmfiguren. Wir setzen nur weniger Marker ein, die so positioniert sind, dass wir die Gelenksbewegungen und dabei auftretende Kräfte beurteilen können." Solcherart wird in einem aktuellen Forschungsprojekt etwa der Gang von "Smombies" analysiert.
Beeinflusstes Gehen
Die Testpersonen spielen dabei aber nicht etwa am Smartphone, sie verfassen auch keine Nachrichten, sondern sie müssen Rechenaufgaben lösen. "Unser Studiendesign ermöglicht, die Effekte der Rechenaufgaben und der Smartphone-Anwendung isoliert zu beurteilen. Im Grunde geht es um einen Vergleich des unbeeinflussten Gehens mit dem Gehen bei Beschäftigung mit dem Handy. Wir wollen herausfinden, ob sich das Gangbild dadurch verändert und ob es zu ungünstigen Belastungen des Kniegelenks kommt", meint Widhalm.
Zu wenig Bewegung
Während man in Bewegungslaboren üblicherweise den Gang von Personen untersucht, die großen Belastungen ausgesetzt sind, die Erkankungen aufweisen oder sich im Rehabilitationsprozess befinden, rückt auch die Analyse von anderen Alltagsbewegungen immer stärker in den Fokus. "Fehlende Aktivität kann dazu führen, dass Gelenke nicht ausreichend beweglich sind, dass die Leistungsfähigkeit der Muskulatur abnimmt und der ganze Bewegungsapparat weniger belastbar ist", sagt Widhalm.
"Eigentlich sind das keine neuen Probleme, aber im Laufe der Jahre hat die körperliche Inaktivität zugenommen." Im Bewegungslabor werden dazu Normbewegungen erfasst, anhand derer Menschen mit Abweichungen von "gesunden" Bewegungsmustern bezüglich ihres Risikos für degenerative Erkrankungen erkannt werden können.
Kinder aktiver machen
Kinder zu mehr Bewegung animieren ist das Ziel eines anderen Forschungsprojekts, für welches das Bewegungslabor ebenfalls verwendet wird. Bei "Geschichten, die bewegen" geht es um die Entwicklung von digitalen Applikationen zur Aktivitätsförderung. Solche Apps könnten künftig Lehrern Input und Unterstützung geben, damit sie Schulkinder zu mehr und unterschiedlicher Bewegung motivieren. Darauf aufbauend sollen Kinder direkt mit einem spielerischen Ansatz dazu gebracht werden, körperlich aktiv zu werden.Im Bewegungslabor werden dazu Normbewegungen erfasst, es wird erhoben welche Art von Feedback am besten akzeptiert wird und welche Übungen für ein Problem am besten geeignet sind. Das Forschungsprojekt wird gemeinsam mit Partnern aus dem NGO-Bereich durchgeführt. Andere Projekte werden im Kooperation mit Unternehmen durchgeführt, wiederum andere finanziert die FH Campus Wien aus Eigenmitteln.
Geräte für Daheim
Genutzt wird das Bewegungslabor u.a. vom Kompetenzzentrum INDICATION, einer multidisziplinären Forschungsgruppe der FH Campus Wien, die seit August 2018 existiert. Das "INovation hub for DIagnostiC And Therapeutic applicatIONs" vereint Kompetenzen aus den Arbeitsfeldern der medizinisch-technischen Professionen wie der Biomedizinischen Analytik, Diätologie, Ergotherapie und Physiotherapie. Wie das Akronym bereits verrät, werden therapeutische und diagnostische Innovationen entwickelt und validiert.
Ein solches könnte etwa ein Gerät sein, das Menschen nach der Implantation einer Knieprothese unterstützt. In ambulanter und stationärer Rehabilitation sollen sie ihre Mobilität wiedererlangen. Es ist aber auch notwendig, daheim bestimmte Übungen durchzuführen, und das teilweise mehrmals am Tag und bis zu einem Jahr lang. An der FH Campus Wien wird nun an der Entwicklung von kostengünstigen, nutzerfreundlichen Geräten gearbeitet, die während solcher Übungen am Bein befestigt werden können, um dem Anwender Rückmeldungen über die Qualität der Bewegungsausführungen zu liefern.
Wie Klaus Widhalm erklärt, soll der Heilungsverlauf dadurch verbessert werden: "Smarte Technologie ist im medizinischen Alltag noch nicht ausreichend am Markt verfügbar. Deshalb arbeiten wir intensiv an der Entwicklung von solchen assistiven Produkten."
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.