© IC Development

B2B

Wie sich die Energiebranche gegen Google und Facebook durchsetzen will

Gratis-Strom gegen Nutzerdaten: Derartige Geschäftsmodelle werden von IT-Riesen wie Google bereits vor fast zehn Jahren getestet. Mit der Einführung von intelligenten Stromzählern (Smart Metern), die bis 2020 flächendeckend in Österreich voranschreitet, könnten diese jetzt aber bald Realität werden. Oder aber, die Energiebranche findet bis dahin selbst genügend Anreize für ihre Kunden, damit diese nicht zu branchenfremden Anbietern wechseln.

Wien Energie testet derzeit etwa im „Viertel Zwei“ etwa einen Flat-Tarif, um die Stromabrechnung zu individualisieren. Es gibt dabei Tarife für die „Marktorientierten“, die „Bequemen“ sowie die „Planenden“. Beim Marktorientierten wird der Preis nach dem tagesaktuellen Wert abgerechnet, während der Bequeme stets einen zuvor vereinbarten Fixpreis bezahlt: Nachzahlungen soll es hier nicht geben. Der „Planende“ bekommt dagegen günstigeren Strom außerhalb der Hauptverbrauchszeiten.

Angst vor Google oder Facebook

Mit derartigen Test-Versuchen will sich die Energiebranche für die Digitalisierung rüsten. Die Anbieter sehen sich selbst laut einer Studie der Energy Agency „nicht als Profiteur der Digitalisierung“ (PDF). 85 Prozent der Befragten aus der Branche glauben, dass ihnen branchenfremde Unternehmen aus dem IT-Bereich, allen voran Amazon, Google oder Facebook, wichtige Geschäftsbereiche wegschnappen könnten. 88 Prozent glauben, dass auch Start-ups eine Gefahr für die Branche sein könnten, weil diese oft viel agiler agieren als große, etablierte Unternehmen.

Damit dies nicht passiert und die „Alten“ nicht im Wettbewerb um die Wertschöpfung von der Konkurrenz abgegraben werden, versuchen praktisch alle Anbieter in Österreich selbst, mit innovativen Lösungen ihre Rolle am Markt zu verteidigen. Laut einer Analyse des Energiemarktes aus dem Juni 2018 kooperieren zu diesem Zweck Wien Energie, Verbund, die Salzburg AG und die Energie Steiermark auch selbst mit Start-ups.

Innovation Challenge mit Start-ups

„Die Zeiten, in denen man intern was austüftelt, dies dann auf den Markt bringt und hofft, dass es sich irgendwie verkauft, sind vorbei. Es muss erlaubt sein, Dinge auszuprobieren. Sonst entsteht nichts Neues“, sagt Karl Gruber, Wien-Energie-Geschäftsführer. Wien Energie hat bereits vergangenes Jahr eine „Innovation Challenge“ ins Leben gerufen, die jetzt im Herbst 2018 wiederholt wird. Innovative Start-ups können sich noch bis zum 15. Juli 2018 bewerben.

Aus einigen der Vorjahresprojekten wurden bereits fixe Kooperationen. Mit dem Wien Energie eigenen Chatbot „BotTina“, der Service-Mitarbeiter bei Standardanfragen entlasten soll, wurden 20.000 Kundenanfragen abgewickelt. Weitere Projekte umfassen eine Augmented-Reality-Lösung, die die Wartung im Kraftwerk effizienter macht sowie smarte Drohnen, mit denen sich Anlagen inspizieren lassen. Dieses Jahr stehen Themen wie E-Mobilität oder smarte Kundenlösungen im Vordergrund.

Kunden haben mehr Macht als früher

Denn Digitalisierung bringt auch Kunden eine neue Macht und daher müssen sich Unternehmen immer mehr überlegen, wenn sie Kunden behalten möchten. Die Vielfalt und Transparenz über Stromtarife und –angebote lässt diese nämlich je nach Bedarf ihre Tarife wechseln. Es gibt sogar bereits eigene Start-ups in Österreich, die darauf spezialisiert sind, immer neue Angebote am Markt zu beobachten und dann automatisiert auf den günstigsten Tarif zu wechseln. Auch Dienste wie Amazon Prime setzen mit der Lieferung von Paketen binnen 24 Stunden und der Vielfalt des Angebots hohe Standards. „Unternehmen werden dadurch gezwungen, noch stärker auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen“, heißt es in der Analyse zum Energiemarkt.

Neben dem Chatbot „BotTina“ bei Wien Energie hat etwa auch die Salzburg AG mit einem eigenen WhatsApp-Channel moderne Wege bei der Kundenkommunikation gewählt. Doch das Kerngeschäft wird nicht nur durch die Digitalisierung bedroht, sondern auch die Energiewende und Dezentralisierung bringt zahlreiche Änderungen mit sich. In Österreichs "Smart Grid Modellgemeinde" Köstendorf in Salzburg wird bereits seit 2013 erprobt, wie Elektroautos und Waschmaschinen den eingespeisten Strom von Photovoltaik-Anlagen nutzen können und wie ein intelligenter, regelbarer Trafo im Ortskern den produzierten Strom an diejenigen verteilt, die ihn gerade brauchen.

Dezentralisierung als Chance

Doch wie lässt sich der eingespeiste Strom in bestehende Netze integrieren? In Deutschland gibt es mit „Next Kraftwerke“ bereits ein Unternehmen, das auch kleineren, dezentralen Energieerzeugern den Zugang zum Regelenergiemarkt gewährt. In Wien wird unterdessen bereits getestet, wie etwa eine Blockchain-Lösung dabei helfen kann, gemeinschaftlich erzeugten Solarstrom direkt an Wohnungen im Haus zu verkaufen.

Bei der Blockchain handelt es sich um ein dezentrales Register in einem Personen-zu-Personen-Netzwerk und dadurch können Teilnehmer Transaktionen ohne eine zentrale Autorisierungsstelle durchführen oder bestätigen. "Das Verkaufen von über Photovoltaik erzeugten Strom schreit geradezu nach der Blockchain", erklärt Wien-Energie-Geschäftsführer Michael Strebl. Während für das Einspeisen, Verteilen und Weiterverkaufen über das Stromnetz hohe Gebühren anfallen würden, könnte das sogenannte "Strom-Sharing" dank der Blockchain ohne Mittelsmänner erfolgen. Doch viele Umfragen zeigen bereits jetzt, dass sich Kunden jemanden wünschen, der dazwischen geschaltet, ist, dem sie vertrauen. Diese Chance will Wien Energie bereits im frühen Stadium ihrer Tests nutzen.

Blockchain für Strom-Sharing

Neben Wien Energie, die auch bereits den ersten Gashandel mit der neuen Technologie durchgeführt haben, setzen auch der Verbund und die Salzburg AG auf Blockchain. Damit will man sich ebenfalls vor großen Unternehmen wie Facebook rüsten, die im Bereich Blockchain, was den Strombereich betrifft, ein „großer Treiber“ sind, wie Erwin Smole vom Energieberatungs-Start-up Grid Singularity sagt. Facebook sei sich bewusst, dass es zwei Milliarden Menschen weltweit ohne Strom gebe: „Die sind da dahinter, weil sie wissen: Wo Strom ist, ist auch Internet“, sagt Smole.

Die Herausforderungen für die Energiebranche sind, wie man sehr deutlich sieht, nicht gerade klein. In Österreich hat zumindest die Hälfte der Energieunternehmen laut der Studie der Energy Agency eine Digitalisierungsstrategie. Rund ein Viertel „arbeitet daran“. Mit innovativen Lösungen ist es aber möglich, dass die Energiebranche die Herausforderung in Chancen umwandelt. Chancen, bei der Markttransformation nicht wie so mancher Player im Musik-Business geschluckt zu werden, sondern seine Rolle sogar auszubauen.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare