Wenn dich der Bus bis vor die Haustür bringt
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In ländlichen Gebieten, wo der öffentliche Bus nur zwei Mal am Tag an einer Haltestelle mitten im Nirgendwo auftaucht, ist man ohne Auto verloren. Diese Aussage ist für viele Menschen, denen kein Auto zur Verfügung steht, trauriger Alltag. Alle anderen motiviert es nicht gerade, auf ihr Auto zu verzichten. In beiden Fällen könnten sogenannte Mikro-ÖV-Dienste helfen: Öffentliche Verkehrsmittel, die bei Bedarf bestellt werden und Menschen für wenig Geld innerhalb eines begrenzten Gebietes möglichst nahe an ihr Ziel bringen.
Sie sollen ansonsten eingeschränkte Personen mobil machen und dabei helfen, den individuellen Autobesitz am Land zu reduzieren. Anrufsammeltaxis, Gemeindebusse etc. gibt es an immer mehr Orten. In einem knappen Drittel aller Gemeinden in Österreich (684 von 2093) sind Mikro-ÖV-Dienste verfügbar.
Unter die Leute kommen
Die Personengruppen, die von einem schlecht ausgebauten öffentlichen Verkehr am meisten betroffen sind, sind Kinder und Jugendliche, Pensionist*innen sowie Menschen mit Beeinträchtigung, erzählt Michael Meschik vom Institut für Verkehrswesen an der Universität für Bodenkultur. Er hat 2002 an einem EU-Projekt mitgewirkt, im Zuge dessen in der Gemeinde Klaus an der Pyhrnbahn in Oberösterreich ein "Dorfmobil" ins Leben gerufen wurde.
Innerhalb eines Gebietes mit 1200 Einwohnern holt es Fahrgäste nach einer Bestellung per Telefon von zuhause ab und bringt sie um 2,30 Euro direkt an ihr Ziel. Wer im Dorfladen für über 20 Euro einkauft, fährt gratis. Organisiert ist das Dorfmobil in einem gemeinnützigen Verein mit ehrenamtlichen Fahrer*innen, die pro Einsatz 20 Euro Aufwandsentschädigung erhalten. Punkten kann das Angebot vor allem auf sozialer Ebene. "Man kann sich darauf verlassen und man kommt damit unter die Leute", schildert Meschik.
Viele Varianten möglich
Mikro-ÖV kann auf ganz unterschiedliche Weisen umgesetzt werden. Es gibt etwa Kleinbusse, die einen fixen Fahrplan haben oder nur bestimmte Haltestellen bedienen. Manche sind als Anruf-Sammeltaxi für die "letzte Meile" von einer Bahnstation bis zu einem Ziel vorgesehen oder als Zubringer zu einem Öffi-Knotenpunkt. Manche bedienen exklusiv bestimmte Nutzer*innengruppen, etwa Schüler*innen, Pendler*innen oder ökonomisch benachteiligte Personen. Während einige Dienste von Vereinen betrieben werden, sind andere kommunale Eigenbetriebe oder werden von örtlichen Transportdienstleistern, etwa Taxiunternehmen durchgeführt (siehe unten).
Die günstigste Variante ist die Vereinslösung mit freiwilligen Fahrer*innen. Sie ist allerdings auch am wenigsten skalierbar, erklärt Tobias Haider von Mobyome. Sein Unternehmen hat mit Bedarfsverkehr.at eine Datenbank kreiert, in der sämtliche Mikro-ÖV-Systeme des Landes gesammelt sind. Er sieht die Rolle von Mikro-ÖV einerseits in der Sicherstellung einer Mobilitätsgrundversorgung für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Andererseits soll das Prinzip auch der Mobilitätswende nutzen und dabei helfen, Autofahrten und damit Treibhausgasemissionen zu vermeiden.
Zentralisierte Disposition
In letzterem Sinne wäre es notwendig, den Besetzungsgrad von Fahrzeugen zu erhöhen, also mehrere Menschen gleichzeitig zu ihren Zielen zu befördern. Hier hätten fixe Haltepunkte und der Betrieb durch ein professionelles Unternehmen eher Vorteile. "Wenn es um die Mobilitätswende geht, heißt das, man will so viele Menschen wie möglich erreichen. Wenn die alle innerhalb einer halben Stunde abgeholt werden sollen, dann braucht man mehrere Fahrzeuge und technische Unterstützung, etwa durch Dispositions-Software", meint Tobias Haider.
Eine spannende Entwicklung sei, dass Dienste wie ein Callcenter oder die Disposition - also die Koordinierung der Fahrzeuge - vom Bundesland übernommen werden. "Niederösterreich ist hier Vorreiter. Dort gibt es seit den späten 90er-Jahren eine Anrufzentrale für Anrufsammeltaxis." Aber auch in anderen Bundesländern gebe es derartige Projekte, die den Einstieg in Mikro-ÖV für Gemeinden erleichtern.
Akzeptanz ist maßgeblich
Wie ein Mikro-ÖV-Dienst genau gestaltet wird, das sollte in erster Linie von den Bedürfnissen der Nutzer*innen abhängen, meint Stephanie Schasché. Die Forscherin an der Abteilung für Nachhaltiges Energiemanagement der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt untersucht im Projekt Mobicar die Akzeptanz von Mikro-Öffis in der Bevölkerung. Faktoren, an die man in der Planung kaum denkt, können maßgeblich dazu beitragen, dass ein Dienst gut angenommen wird. "Neben der Distanz zu einer Haltestelle sind etwa oft die Höhenverhältnisse ausschlaggebend. Personen sind eher bereit, weitere Distanzen in der Ebene zurückzulegen als wenige hundert Meter bergauf oder bergab."
Klimaschutzeffekt
Ob Rufbusse, Dorfmobile, Sammeltaxis und Co. tatsächlich dazu führen, dass Treibhausgasemissionen eingespart werden, das lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. "Wir stehen da erst am Anfang. Der Effekt ist noch nicht messbar", sagt Tobias Haider. "Es gibt bisher nur anekdotische Evidenz, etwa die Erzählung von Menschen, sie hätten ihr Auto verkauft, weil es ein Mikro-ÖV-Angebot gibt." "Aktuell liegt der Fokus eher auf der sozialen Leistung, aber wenn das Angebot attraktiv genug ist, lassen sich Fahrten gut bündeln", ist Schasché überzeugt.
Auf jeden Fall einsparen lassen sich Emissionen, wenn Elektrofahrzeuge eingesetzt werden. Laut Angaben von Mobyome nutzen 12 Prozent aller Mikro-ÖV-Angebote in Österreich E-Autos. Laut Michael Meschik hat dies auch Kostenvorteile im laufenden Betrieb, vor allem wenn lokal produzierter Ökostrom verwendet wird, etwa aus einer örtlichen Photovoltaikanlage. Durch Standzeiten zwischendurch sollte der E-Auto-Akku stets genügend Reichweite liefern.
Keine Konkurrenz für lokale Taxis
Weil Mikro-ÖV-Dienste, die ihre Fahrgäste von Tür zu Tür transportieren, im Prinzip dasselbe machen wie Taxis, gibt es Konkurrenzsorgen. „Wir wollen Taxiunternehmen nicht überrollen“, sagt Silvia Kaupa-Götzl dazu. Bei einer Veranstaltung im April schilderte die Vorständin der Postbus AG, wie die Mobilitätswende am Land umgesetzt werden könne. Mit dem Postbus Shuttle gibt es in einigen Gemeinden einen Mikro-ÖV-Dienst ihres Unternehmens. Mit lokalen Taxidiensten arbeite man zusammen. Sie würden in das System integriert, die Gemeinde zahlt einen Teil des Fahrpreises.
Einige Anbieter von Mikro-ÖV-Diensten hätten „das Prinzip der Taxizentrale übernommen und sind in eine Vermittlerrolle getreten“, weiß Tobias Haider von Mobyome. Die Einbeziehung mehrerer kleinerer Transportunternehmen in ein regionales Angebot liege im Trend. Dadurch seien Mikro-ÖV-Angebote auch wirtschaftlich interessant. Weitläufige Einsatzgebiete könnten allerdings dazu führen, dass Menschen eher alleine im Fahrzeug sitzen und Anfahrtswege länger werden. Aus ökologischer Sicht sei das fragwürdig, meint Haider.
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