Mit der Brille lässt sich jeder Blick aufzeichnen.
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Eyetracking-Brillen: Warum die ÖBB Augenbewegungen der Mitarbeiter aufnimmt

Schnürlregen, brennende Hitze oder Schnee - für den Verschub der ÖBB spielt all das keine Rolle. Die Mitarbeiter*innen müssen nach draußen, Fahrzeuge entkuppeln, Waggons sortieren, den Betrieb am Laufen halten.

In einer 12-Stunden-Schicht kann viel passieren, 15 Kilometer legt ein*e Mitarbeiter*in in einer Nachtschicht zurück. Meist sind es Männer, die in den Verschubbahnhöfen arbeiten. Auf mehr als 2.500 Verschieber kommen nämlich nur 13 aktive Verschieberinnen.

Den Verschub kann man getrost als Knochenjob bezeichnen, die Kupplung der Waggons ist 25 Kilogramm schwer. Mit dabei ist immer mindestens ein “Hemmschuh” - Ein 5 Kilogramm schweres Metallteil, das auf die Schienen gelegt wird, um die einzelnen Waggons abzubremsen. Die Fahrzeuge selbst wiegen mehrere Tonnen, ein kleiner Fehler kann hier bereits schwere Verletzungen bedeuten.

Ablenkung als Grund für Unfälle

Um das zu verhindern, gibt es Florian Pfeffer, der für die Betriebssicherheit bei den ÖBB zuständig ist. “Im Durchschnitt ist jede tausendste menschliche Handlung eine Fehlhandlung”, erklärt Pfeffer. Im Umgang mit schweren Maschinen sei es dabei besonders wichtig, die Fehler auf ein Minimum zu begrenzen. 

Pfeffer geht dafür laufend auf Fehlersuche. 2017 ergab so zum Beispiel eine ÖBB-interne neurowissenschaftliche Analyse, dass 75 Prozent der Fehler auf eine kognitive Ursache - sprich: Ablenkung - zurückzuführen waren. “Die Erkenntnis war, dass diese Ursachen sehr individuell sind. Das ist natürlich schlecht, weil es so keine Generallösung gibt, um die Sicherheit zu erhöhen”, meint der Sicherheitsbeauftragte.

Ein ÖBB-Mitarbeiter mit einer Eyetracking-Brille.

Ein ÖBB-Mitarbeiter mit einer Eyetracking-Brille.

Eyetracking soll für mehr Sicherheit sorgen

Das neueste Projekt soll daher auf diese individuellen Fehler aufmerksam machen - mit einer Eyetracking-Brille. Das Gerät vom österreichischen Hersteller Viewpointsystem misst die Bewegung der Pupillen und verzeichnet, wie lange man sich auf einen gewissen Punkt fokussiert oder wie oft man blinzelt. 8 Stück der 12.000 Euro teuren Brille werden momentan an den 8 großen Verschubknoten verwendet, um die Verschieber*innen zu schulen.

Vorteil und gleichzeitig auch Nachteil des Augentrackings ist, dass wirklich jeder Blick aufgezeichnet wird. Das Gerät kann man nicht überlisten, es registriert jedes noch so kleine Zucken und jede flüchtige Abschweifung. Das ist ungewohnt: Bisher waren unsere Augenbewegungen immer noch privat, die Aufzeichnungen der Brille sind etwas Höchstpersönliches.

Für die Auswertungen werden die Augenbewegung über ein Video gelegt. Dieses wurde mit einer Kamera aufgezeichnet, die in der Brille montiert ist. So sieht man, wohin die Verschieber*in bei der Arbeit geblickt hat. Ein kurzes Beispiel dafür hat die ÖBB als Video veröffentlicht:

Eyetracking-Daten sind streng vertraulich

“Am Anfang war der Betriebsrat auch sehr skeptisch”, berichtet Pfeffer. Datenschutz wird daher beim Training großgeschrieben. “Fachtrainer ist immer ein erfahrener Kollege, und kein Trainer von außen”. Das erhöhe das Vertrauen. Außerdem wird die Aufzeichnung nach dem Training auf einen USB-Stick kopiert, der Verschieber*in übergeben und dann aus dem System gelöscht. 

Das Augentracking stellt für die “Spitzenverschieber” eine Art Qualitätskontrolle dar - so, als würde sich ein Tennisspieler nach dem Match noch einmal die Aufnahme seines Spiels analysieren. Spitzenverschieber nennt man die Arbeiter*innen, die an der Spitze der anfahrenden Waggons stehen und der Fahrer*in der Verschublok über Funk Anweisungen geben. 

Ein Spitzenverschieber bei der Arbeit.

Ein Spitzenverschieber bei der Arbeit.

“Hier gilt immer noch das Prinzip ‘Mensch über Maschine’”, weiß Pfeffer. In der Schweiz wurde bereits versucht, den Spitzenverschieber durch Kameras an der Rangierlok zu ersetzen, und die Bilder direkt an die Lokführer*in zu übertragen. Erfolglos. “Trotz 5G waren die Latenzzeiten einfach zu hoch, das Projekt musste eingestellt werden”, sagt Pfeffer.

Eyetracking für die ÖBB nur der Anfang

Bleibt also nichts anderes übrig, als die Waggons weiter persönlich zu rangieren. Damit weiterhin keine schweren Unfälle vorkommen, sollen in den kommenden 2 Jahren 1.800 Trainings mit den Brillen durchgeführt werden.

Eyetracking-Brillen könnten aber nur der Anfang sein, um die Sicherheit bei den ÖBB zu erhöhen. “In Zukunft könnte man mit Augmented Reality oder Virtual Reality ganze Simulationsumgebungen erzeugen, in denen Mitarbeiter trainiert werden”, so Pfeffers Vision.

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Marcel Strobl

marcel_stro

Ich interessiere mich vor allem für Klima- und Wissenschaftsthemen. Aber auch das ein oder andere Gadget kann mich entzücken.

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