Fernwärme: So schlagen wir uns im europäischen Vergleich
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Ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in Europa wird für das Heizen von Gebäuden und die Warmwassererzeugung verbraucht. Derzeit stammt diese Energie noch zu über 70 Prozent aus der Verbrennung von Erdöl oder Erdgas. Im Zuge der Energiewende versucht man davon wegzukommen.
Eine wichtige Rolle dabei soll die Fernwärme einnehmen. Auch sie verwendet derzeit noch zum Großteil Gas, kann aber eigentlich eine Vielfalt an Wärmequellen nutzen. In Zukunft sollen es vor allem erneuerbare Energien sein.
Lokale Quellen nutzen
„Europa ist bei Fernwärme vergleichsweise gut unterwegs“, sagt Sebastian Zwickl-Bernhard von der Energy Economics Group der TU Wien. Der Gedanke, lokale Ressourcen bestmöglich zu nutzen, habe sich auf dem Kontinent relativ früh verbreitet.
„Gerade in urbanen Gebieten bietet es sich an, Fernwärme zu nutzen“, sagt Zwickl-Bernhard. Hier sei die Wärmedichte hoch. Neben Kraftwerken gebe es hier auch viele andere Wärmequellen, etwa warmes Abwasser, Industrie und Gewerbe sowie viel Müll, den man verbrennen kann.
Je nach Ort gebe es ganz unterschiedliche Potenziale. In Paris oder München werde etwa Geothermie gut genutzt, also heißes Wasser aus mehreren Kilometern Tiefe. Auch in Wien soll Geothermie Teil der Fernwärme werden. Wien Energie will bis 2030 bis zu 125.000 Haushalte auf diese Art versorgen.
Warme Schnitten
In Wien beträgt der Anteil der Fernwärme bei Heizformen rund 43 Prozent. Gasheizungen sind derzeit noch verbreiteter. In Linz liegt der Anteil der Fernwärme bei knapp 60 Prozent, auch in Graz und St. Pölten ist er mit 48 bzw. 46 Prozent höher. In Innsbruck beträgt der Anteil der Fernwärme dagegen nur neun Prozent, in Bregenz null.
Da wie dort wird die Fernwärme großteils durch Gas erzeugt. In ganz Österreich sind die Bemühungen aber groß, dies zu ändern. Linz will industrielle Abwärme künftig stärker nutzen (Stichwort Sektorkopplung), in Wien wird u. a. der heiße Waffelofen von Schnittenfabrikant Manner genutzt, um 600 Haushalte mit Wärme zu versorgen.
Vorbild Dänemark
Zu den europäischen Vorreitern bei Fernwärme zählen skandinavische Länder. „Dänemark ist das Vorzeigeland schlechthin“, sagt Zwickl-Bernhard. „Dort wurde schon früh darauf gesetzt, Biomasse zu nutzen und große Wärmepumpen zu installieren.“ In Kopenhagen wird dem Abwasser Wärme entzogen – etwas, das auch in Wien passieren soll. Wien Energie hat in der Hauptkläranlage dafür bereits riesige Wärmepumpen installiert, die im Vollausbau 112.000 Haushalte mit 90 Grad heißem Wasser beliefern sollen.
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Schweden deckt zwei Drittel seines Fernwärmebedarfs mit Biomasse (v. a. Holz). Island profitiert vom Vulkanismus und nutzt für Fernwärme quasi nur Geothermie. Wegen günstiger Atomkraft heizt Frankreich viel mit Strom, baut Fernwärme mit erneuerbaren Energien aber stark aus. Polen hat zwar bereits weitflächig ausgebaute Fernwärmenetze, die werden aber immer noch großteils mit Kohle betrieben. Sehr großen Aufholbedarf beim Umstieg auf grüne Wärmeversorgung haben auch die Niederlande, Italien und Ungarn.
Stabilerer Preis
Dass Gas in so vielen Ländern immer noch die wichtigste Wärmequelle darstellt, habe laut Zwickl-Bernhard vor allem mit dem Preis in den vergangenen Jahrzehnten zu tun. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der folgenden Gaskrise wurde auch die Fernwärme teurer.
Langfristig könne Fernwärme aber für Preisstabilität sorgen, ist der Experte überzeugt: „Wenn man mehrere Wärmeträger hat, wird man gegenüber Preisschwankungen robuster. Wenn man mehr erneuerbare Energien in die Fernwärme einkoppelt, wird das die Fernwärme wettbewerbsfähiger machen.“
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen Wien Energie und der futurezone.
Einem Haus ein neues Heizsystem verpassen
In Mehrfamilienhäusern sind Gasheizungen noch weit verbreitet. Vorausgesetzt, ein Fernwärmenetz liegt in der Nähe: Welchen Aufwand bedeutet es, von einem Heizsystem darauf umzusteigen? „Das ist schwer zu verallgemeinern. Eine wichtige Frage dabei ist, wie viel vom bestehenden Wärmesystem man weiterverwenden kann“, sagt Fernwärmeexperte Sebastian Zwickl-Bernhard. Bei Gasheizungen habe man immerhin ein wassergeführtes System mit Rohrleitungen und Heizkörpern. Für Fernwärme könnte man es beibehalten. Anders verhielte es sich, wenn man von Elektroheizungen auf Fernwärme umsteigen würde.
Rohre und Raum
Mit Fernwärme werden üblicherweise alle Wohnungen eines Hauses versorgt. Bei Gas hingegen sind Etagenheizungen weit verbreitet, bei denen jede Wohnung ihre eigene Gastherme hat. Bei einem Umstieg müsste man erst einmal ein zentrales Leitungssystem installieren. Eine Anschlussleitung vom Fernwärmenetz zu einem Haus zu legen, sei auch unterschiedlich herausfordernd, so Zwickl-Bernhard. In vielen Fällen müsste im Haus erst Platz gefunden werden, um eine Energiezentrale unterzubringen.
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