Screenshot aus einem Video, das von Sora generiert wurde

Screenshot aus einem Video, das von Sora generiert wurde

© OpenAI

Analyse

Filmreife KI-Videos: Ein Hollywood-Drama bahnt sich an

Vor Kurzem fürchteten sich in Hollywood vorrangig Autor*innen vor Künstlicher Intelligenz (KI). „Schreibe mir ein Drehbuch für einen 90-Minüter im Stil von Rambo 2, aber als romantische Komödie“ wäre etwa eine Texteingabe, aus der ein KI-Chatbot in wenigen Minuten ein fertiges Skript macht. Jetzt könnten aber auch Schauspieler*innen, Stuntpeople, Kameraleute, die Requisite und so ziemlich alle direkt am Filmdreh beteiligten Personen obsolet werden – wegen Sora.

Sora ist das neue KI-Modell von OpenAI. Das US-Unternehmen ist vor allem für seinen KI-Chatbot ChatGPT bekannt. So wie der nach der Veröffentlichung im November 2022 die Welt in Aufsehen versetzte, könnte das jetzt Sora mit der Filmebranche machen.

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KI-Videos, die Gefühle auslösen

Sora verwandelt Texteingaben in fotorealistische Videos – oder surreale, wenn man das lieber hat. Auch Aufnahmen im Stil von Animationsfilmen sind möglich. Einfach Text eingeben, auf „Generieren“ klicken, kurz warten und fertig ist der Streifen. Im Gegensatz zu anderen Text-zu-Video-Generatoren, kann Sora nicht nur simple Einzelaufnahmen erstellen, sondern Szenen mit mehreren Kameraeinstellungen, Objekten und Charakteren. Laut OpenAI ist dies möglich, weil Sora nicht bloß die Texteingaben stur umsetzt, sondern auch versteht, wie sich die Menschen und Objekte in der echten Welt physikalisch verhalten.

Das Ergebnis sind beeindruckend echt wirkende Videos. Eine Kamera folgt etwa einem alten Land Rover Defender auf einer nicht asphaltierten Straße. Staub wirbelt auf und die Federung des „Landy“ ist hart am Arbeiten. Wer schon einmal einen Geländewagen in so einer Situation gefahren ist, spürt regelrecht das Auf- und Abwippen des eigenen Körpers beim Anschauen des Videos.

Wer lieber Hunde statt Autos mag, dem wird bei Soras Zeitlupenaufnahme der im Schnee spielenden Golden-Retriever-Welpen das Herz aufgehen und vielleicht unterbewusst ein „moi!“ über die Lippen rollen.

Und das ist eben nicht nur beeindruckend, sondern beängstigend – für Menschen in der Filmbranche. Bisher wurde KI von Hollywood-Größen eher klein geredet, weil sie keine menschlichen Gefühle auslösen könne. So sagte etwa Terminator-Regisseur James Cameron vor einem halben Jahr: „Ich glaube nicht, dass KI etwas kreieren kann, das die Zuschauer bewegt.“ Sora kann das aber. Wenn das mit so etwas Simplem wie Hundebabys und Geländewagen möglich ist, geht das auch mit Szenen mit Menschen – die alle von der KI „erfunden“ sind.

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Filmstudios zu KI: Ja, bitte!

Das malt eine Dystopie ans Firmament der Stars und Sternchen. Die waren ohnehin schon besorgt, Produktionsstudios würden ihr Aussehen „stehlen“ und mittels KI in Filme einfügen. Programme wie Sora brauchen aber keine Schauspieler*innen als Vorlage. Und fiktive Personen, die genauso aussehen, wie das Filmstudio es will und genau das machen, was sie sollen – zu jeder Tages- und Nachtzeit – und noch dazu nicht bezahlt werden müssen, klingen sehr verlockend. Zur Einordnung: Leonardo DiCaprio hat für den 2021 erschienenen Netflix-Film „Don’t Look Up“ 30 Millionen US-Dollar Gage bekommen.

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Für die großen Filmproduzenten sind KI-Lösungen wie Sora also höchst willkommen. Einfach Szenen durch Texteingabe erstellen, ohne teure Schauspieler*innen und aufwändige Drehs. Abgesehen von den Arbeitsplätzen, die so verloren gehen, wird das auch Auswirkungen auf uns haben, das Publikum. Obwohl mit solchen KI-Modellen theoretisch jegliche Art von Videos in allen erdenklichen Formen erstellt werden können, haben diese doch einen ähnlichen Stil. Man muss sich also darauf einstellen, dass sich zukünftig Hollywood-Filme und Streaming-Serien noch ähnlicher sehen, als sie das ohnehin schon tun. Denn wenn einmal ein Filmstudio mit so einer KI anfängt, ziehen die anderen nach.

KI hat noch Fehler

Und wir werden es uns vermutlich gefallen lassen, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Zu Beginn werden solche KI-Szenen noch störend auffallen. Dann wird es ein kleines Rauschen im Unterbewusstsein und schließlich sieht es nach ein paar Jahren ganz normal aus. Die Vorarbeit dafür wird mit digitalen Facelifts geleistet, hier ist Disney seit Jahren vorne mit dabei. So wurde unter anderem Harrison Ford in „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ verjüngt, mit einer ähnlichen Technologie, die auch bei den berüchtigten Deep-Fake-Videos genutzt wird. Der Film hat zu Recht schlechte Kritiken bekommen, der digital entalterte Indy war dem Publikum aber eher egal. Der 81-jährige Ford selbst hat die Technologie befürwortet und verteidigt.

Bis komplette Filme mit Sora erstellt werden, wird es aber noch dauern. Derzeit sind nur maximal Videos mit einer Minute Länge möglich. Auch sind noch Probleme zu erkennen, die es ebenso bei KI-Fotos gibt. In einem Sora-Video bekommt eine Katze etwa eine dritte Vorderpfote.

Außerdem muss der KI noch beigebracht werden, sich Dinge zu merken. Wird etwa die Scheibe eines Autos bei einer Verfolgungsjagd mit Kugeln durchlöchert, sollte sie 10 Minuten später nicht wieder ganz sein. Dass KI-Modelle ein „Gedächtnis“ haben, wird aber schon bald möglich sein. Mensch zu sein schützt vor solchen Fehlern übrigens nicht: Es gibt kaum einen Film, in dem nicht „Goofs“ oder Kontinuitätsfehler vorhanden sind.

Die Revolution kommt schleichend

Die KI-Filmrevolution wird nicht wie ein Paukenschlag kommen. Es gibt keinen Lumière-Moment, bei dem die Besucher*innen vor Schock von dem, was da auf der Leinwand auf sie zukommt, aus dem Raum flüchten (nach aktuellen Erkenntnissen ist das ohnehin nur ein Urban Myth).

Erst werden Content Creator damit auf TikTok und YouTube experimentieren. Dann werden Kurzfilme erscheinen, die damit beworben werden, „komplett von KI“ generiert worden zu sein. Es folgen Szenen in günstigen Produktionen, die sonst ohnehin schlecht computeranimiert gewesen wären, bis schließlich Hollywood es zum Standard macht.

Die KI-Bilder lernen also schleichend laufend. Eine schöne Aussicht ist es jedenfalls nicht, was da auf uns zukommt. Mehr visueller Einheitsbrei für die Zuseher*innen, weniger Jobs in der Filmbranche. Freuen über diese Entwicklung tun sich nur die großen Filmstudios, die damit Geld und Zeit und sparen.

Um einen positiven Abschluss für diese pessimistische Zukunftsaussicht zu finden: Vielleicht erleben wir durch die KI-Revolution eine Renaissance der Indie-Filme. In 15 Jahren reißen wir uns um Tickets für die „Humannale“, ein Filmfestival, bei dem ausschließlich Werke gezeigt werden, die von Menschen mit Menschen gemacht wurden. Oder es gibt zumindest auf Netflix eine „Real Humans Only“-Kategorie.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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