© Reuters LUCAS JACKSON

Peter Glaser: Zukunftsreich

Apple stärkelt

Der Kurt, ein alter Freund, war zu Besuch. Ich tippte etwas. „Er schreibt schon wieder über Apple“, sagte Kurt vorwurfsvoll an ein imaginäres Publikum gewandt, aber da war niemand, nur wir beide.

Er wühlte in den bunten Kugeln in meinem Molekülbaukasten, der auf dem Schreibtisch lag. Ein Nikotin-Molekül, das ich zusammengesteckt hatte, wippte daneben an einer Löthilfe - einer sogenannten Dritten Hand -, an der ich es festgeklemmt hatte. Ich finde, Moleküle zusammenzubauen ist erwachsener, als Todessterne aus Lego zusammenzustecken. Ein Wasserstoffatom fiel runter.

„Das ist Kernspaltung, mein Freund. Das ist gefährlich.“

„Der kleine Tim Cook möchte gern aus dem Bällchenbad abgeholt werden“ – Kurt tat so, als sei der Molekülbaukasten eine Ikea-Niederlassung. „Sie duzen uns“, sagte er mürrisch. „Mir ist erst jetzt bewußt geworden, dass das schon eine ganze Weile so geht.“

„Wer duzt uns?“

Apple duzt uns. Als ich im Frühjahr auf die ,30 Jahre Macintosh‘-Seite geklickt habe, war ich sprachlos. „Stell dir vor, was wir in den nächsten dreissig Jahren erreichen können“, stand da. Stell. DIR. Vor. Und „dir“ auch noch klein geschrieben. Will Apple jetzt noch Ikea und Facebook kaufen und eine kleine, schmusige Du-Welt generieren?“

Kurt schüttete grimmig ein paar Kohlenstoffatome auf den Tisch neben mein iPhone, das da schlief wie eine leuchtende, schokotafelförmige Katze und ab und zu einen dieser wie im Traum hingeseufzten metallischen Laute von sich gab. Pli-dong!

Mir war das mit dem Du auch aufgefallen, aber ich bin ja Österreicher und hatte das meiner Sensibilität in Höflichkeitsfragen zugeschrieben.

„Mein Betriebssystem Siezt mich“, sagte ich, „ich schätze das. Im Apple-Store findet schon seit Jahren eine schleichende Verduung statt. Anfangs stand einmal hier was mit Sie, einmal dort was mit Du. Da herrschte das reinste Anredechaos, das ist aber kaum jemandem aufgefallen.“

„Ich mag das nicht“, Kurt knurrte. Ich gab ihm ein paar blaue Atome. „Ich meine: Apple war doch immer eine Erweckung, auch was den Sprachgebrauch angeht. Die schönen Handbücher. Genauer gesagt: Man konnte alles verstehen, ohne das Handbuch lesen zu müssen. Es hieß: Einen Apple-User erkennt man an den eingeschweißten Handbüchern.“

„Ach die Apple-User“, Kurt tat so, als wäre er keiner. „Die sind so eingebildet. Wenn ein Apple-User ein Kreuzworträtsel löst, ist es hinterher natürlich hochaufgelöst.“

„Diese Nachrichtensendung wird auch in Gebärendensprache gedolmetscht“, sagte ich hebammig.

„Zumindest in OSX hält das Sie noch die Stellung“, Kurt pickte sich ein paar rote Atome aus der Box und schielte auf mein iPhone. „,Zum Entsperren streichen‘ ist ja auch nicht wirklich Deutsch.“

„Was soll man denn sagen? Wisch you were here?“

„Das ist auch kein Deutsch.“

„Ich bin Dichter, ich darf das“, sagte ich und blickte auf mein iPhone. „Hier erfahren Sie, wie Sie die Sprache auf Ihrem iPhone ändern können“, teilte mir das Gerät mit. „Tippen Sie im Home-Bildschirm auf das Zahnradsymbol.“ Wenn in „Romeo und Julia“ erstmal einer ,Anstupsen‘ im Zahnradmenü hätte auswählen müssen, wäre die Weltliteratur andere Wege gegangen.

„Eine Firma, die 37,5 Milliarden Dollar Jahresgewinn macht, muß sich doch ein paar Leute leisten können, die lesen und schreiben können“, warf Kurt ein.

Apple stärkelt“, sagte ich. „Und dafür, dass es bei Apple so viele verschiedene Sprachen gibt, haben sie das Problem doch ganz gut im Griff. Die Keynotes mit den ganzen Großartigkeitsadjektiven. Der Apple-Jargon, in dem es Apps statt Programme gibt. Die Sprache im Apple Store, die jetzt also gern Du‘iger sein möchte. Die Tastatursprache. Bei iTunes die Oberflächensprache. Bei Apple-TV die WatchEver-Sprache. Dafür, dass das fast schon die Campingversion einer babylonischen Sprachverwirrung ist, klappt es ganz gut.“

„Ich weiß nicht“, Kurt war unversöhnlich. „Sie reden zum Beispiel immer noch von Textverarbeitung. Das ist doch eine Zumutung.“ Er sah mich an. „Du verarbeitest doch keine Texte. Du schreibst. Michelangelo war doch auch nicht Marmorverarbeiter.“

Jetzt fiel mir auf, dass Kurt ein Molekül zusammengesteckt hatte. Ein Alkoholmolekül.

„Würdest du wohl aufstehen?", fragte ich.

„Tut mir leid, das ist ein Siezplatz", sagte er.

Dann gingen wir, etwas guten Wein zu trinken.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

mehr lesen
Peter Glaser

Kommentare