COVID-19: Macht sie endlich, die Stadt der kurzen Wege!
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Die Essenz von „think local“ tritt jetzt so deutlich zutage wie nie zuvor, da durch die Präventionsmaßnahmen gegen COVID-19 der Bewegungsradius jeder Einzelnen auf das Wesentliche beschränkt ist. Während in ländlichen Gebieten die Herausforderung darin liegt, die flächendeckende Versorgung auch in entlegene Gebiete aufrecht zu erhalten, wird in beengten Städten die ungleiche Verteilung von Wohn-, Straßen- und Grünraum offensichtlich.
Die Beschränkungen gelten für alle Menschen gleich. Doch mit welcher Qualität man individuell durch diese Zeit kommt, hängt stark von der Qualität des wesentlichen Umfelds ab: Die eigenen vier Wände, die Straßen, auf denen man sich für die notwendigen Wege bewegt, die lokalen Versorger*innen und die Frage, ob man einen Park, eine schattige Allee, eine kleine Wiese vor der Nase hat. Die Auswirkungen der Ausgangsbeschränkungen machen die Mängel in diesen Bereichen nun besonders plakativ spürbar. Jede Krise hat Transformationskraft. Diese kann Städte lehren, den öffentlichen Raum neu zu verteilen.
Urbanität
„Stadt der kurzen Wege“ ist seit den 80ern ein beliebtes Schlagwort. Wer etwas auf moderne Urbanität hält, schreibt sich das dick ins städtische Leitbild. Doch der Weg vom Papier in die Umsetzung ist meist alles andere als kurz. Die zahlreichen Fehlentscheidungen und Versäumnisse der Stadtplanung liegen nun offen vor uns: Spätestens jetzt, da alle auf die unmittelbare Umgebung angewiesen sind, wird die Notwendigkeit für viele gut verteilte kleinere Grünanlagen in jedem Grätzel und einen neu verteilten Straßenraum offenbar. Und es wird klar, dass niemand, wirklich niemand große Einkaufstempel auf der grünen Wiese am Stadtrand braucht.
Ganz im Gegenteil, ein neues Bekenntnis zur lokalen Wirtschaft raunt durch die Bevölkerung. Plattformen wie die spontane Idee der Nachhaltigkeitsexpertin Nunu Kaller boomen. Die Menschen wollen bei ihren Nachbar*innen einkaufen. Ein Wunsch, den die Kommunalpolitik ernst nehmen und nach Ende des Lockdown dieses virtuelle regionale Konsumverhalten lokal durch städtische Wirtschaftspolitik manifestieren muss, die sich auf die Kleinen konzentriert.
Zum wesentlichen Aktionsradius in Zeiten der Ausgangsbeschränkung gehört der Weg zur Arbeit. Für manche führt der morgens vom Bett zum Schreibtisch, andere sind darauf angewiesen, dass der öffentliche Verkehr aufrecht bleibt, um zu ihrem Arbeitsort zu kommen. Viele satteln nun um und schwingen sich aufs Rad, was gleich doppelt vor Infektionen schützt. Bewegung stärkt die Lunge, hält das Immunsystem in Schwung und man hält am Fahrrad die gebotene physische Distanz automatisch ein. Die erste, die in angemessen großem Ausmaß auf die neue Situation reagierte, war Claudia López, die Bürgermeisterin der kolumbianischen Hauptstadt Bogota. Sie gab 117 Kilometer Hauptverkehrsstraße für den Radverkehr frei.
Abstand in Städten
Auch das Spazierengehen an der frischen Luft gehört zu den wenigen Ausnahmen, für die man in Coronazeiten die Wohnung verlassen darf. Unter Wahrung von mindestens einem Meter Abstand, natürlich. Leichter gesagt als getan in Städten, die jahrzehntelang für Autos geplant wurden. Die meisten Gehsteige sind schlicht zu eng, um einander in gesundem Abstand zu begegnen. Vielfach werden deshalb nun Rufe laut, Straßen für den sicheren Fußverkehr und Radfahrende zu öffnen, aus der Bevölkerung, aber auch von Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Mobilität, Psychologie und Gesundheitswissenschaften wie in der Petition des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam.
Wie entscheidend die Aufteilung von vielen kleinen Grünflächen quer durch die Stadt wäre, fällt besonders auf, da nun vielerorts große Grünanlagen geschlossen sind. Dass sich der Großteil des Grünanteils von Großstädten an wenigen Orten konzentriert, während andere Stadtteile kein schattiges Fleckchen kennen, ist nicht nur in der COVID-19 Krise problematisch. Kühle Meilen, Stadtbäume, Pocket Parks, also kleine Grünflächen beispielsweise in Baulücken, Infrastruktur für umweltfreundlichen Verkehr, all das ist auch zur Anpassung an die unausweichlichen Folgen der Klimawandels geboten. Denn allen muss klar sein: Auch wenn vieles nun wegen Corona abgesagt ist - die Klimakrise ist es nicht.
Über die Autorin
Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.
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