Das Expertenproblem
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Lange Zeit gab es in Diskussionen über wissenschaftliche Themen eine einfache Grundregel: Fragen wir doch die Experten! Du bist der Meinung, dein Hund sollte ausschließlich mit Milchschokolade gefüttert werden? Frag doch lieber mal den Tierarzt! Du glaubst, ein magischer Magnet-Aufkleber auf dem Autotank senkt den Treibstoffverbrauch? Vielleicht redest du erst mal mit der Maschinenbau-Ingenieurin.
Doch leider ist es nicht immer so einfach. In der Corona-Pandemie werden uns fast täglich neue Expertenmeinungen präsentiert, die einander manchmal widersprechen. Soll man ein Gebiet mit hoher Zahl von Neuinfektionen abriegeln? Die Virologin sagt ja, die Politologin ist dagegen. Was sollen wir jetzt glauben? Ist das nicht ein Beweis dafür, dass man der Wissenschaft nicht trauen kann?
Noch verwirrender wird die Sache, wenn Experten Thesen verbreiten, die im Widerspruch zu allgemein akzeptierten wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen: Ein Physikprofessor behauptet, das Coronavirus käme aus dem Labor. Ein pensionierter Mikrobiologieprofessor hält Impfungen für gefährlich. Ist das nicht unwissenschaftlich? Aber es kommt doch von Wissenschaftlern!
Experten in einer Doppelrolle
Das Komplizierte daran ist: Wissenschaftler nehmen in der Öffentlichkeit eine Doppelrolle ein. Erstens treten sie als Person auf, mit einer persönlichen Meinung. Im besten Fall handelt es sich um eine besonders wohlüberlegte und daher besonders verlässliche Meinung, aber es ist immer noch bloß die Meinung einer bestimmten Person. Zweitens treten Wissenschaftler aber auch als Repräsentanten ihrer Fachdisziplin auf. Sie sollen uns erklären, über welche Fakten in der Fachwelt Einigkeit besteht. Und in dieser zweiten Rolle haben sie viel mehr Vertrauen verdient als in der ersten.
Wenn ein Mikrobiologe erklärt, dass eine mRNA-Impfung die Erbsubstanz in unseren Zellkernen nicht verändert, dann ist das nicht bloß seine persönliche Meinung, sondern eine Aussage, die unzählige Fachexperten in unzähligen Forschungslabors auf der ganzen Welt sofort unterschreiben würden. Das ist gut belegter, unumstrittener Stand der Wissenschaft. Darauf können wir uns verlassen.
Wenn er dann hingegen erklärt, dass er die Öffnungen von Schulen zum gegenwärtigen Zeitpunkt für verfrüht hält, dann ist das etwas anderes: Das ist keine wissenschaftliche Frage, auf die es eine eindeutige Antwort gibt. Hier geht es um eine persönliche Meinung. Die mag wissenschaftsbasiert sein, sie mag auch interessant sein, aber sie ist kein wissenschaftliches Ergebnis.
Und noch einmal etwas anderes ist es, wenn jemand eine Meinung verbreitet, die dem Stand der Wissenschaft widerspricht. Manchmal ist das nötig – etwa, wenn man etwas revolutionär Neues entdeckt hat, was den bisherigen Stand der Wissenschaft aus den Angeln hebt. Dafür muss man aber richtig gute Argumente haben. Und wenn ein Physiker behauptet, etwas widerlegen zu können, worüber man in der Virologie weltweit einer Meinung ist, oder wenn ein Finanzmathematiker bei epidemiologischen Fragen der Epidemiologie widerspricht, dann ist auf jeden Fall Skepsis angebracht.
Einzelmeinung oder Konsens?
Die Pandemie zeigt uns: Wir müssen lernen, zwischen diesen unterschiedlichen zu unterscheiden. Es ist gut, Experten zuzuhören. Aber wir müssen immer auch fragen: Sprechen sie gerade als Einzelperson, oder sprechen sie für ihr gesamtes Fachgebiet? Oder widersprechen sie vielleicht sogar dem Konsens des Fachgebiets, das hier eigentlich zuständig wäre? Nur so können wir von Expertenmeinungen profitieren. Andernfalls sorgen sie vielleicht für noch mehr Verwirrung als es in diesen verrückten Zeiten ohnehin schon gibt.
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