Blick auf ein smartphone mit Substack-Webseite, im Hintergrund das Substack-Logo

Substack positioniert sich als tonangebende Newsletter-Veröffentlichungsplattform (Symbolbild).

© APA/AFP/CHRIS DELMAS / CHRIS DELMAS

Meinung

Lasst mich mit euren Substack-Newslettern in Ruhe!

Eigentlich steckt ein Plattform-Wolf im vermeintlich harmlosen Newsletter-Schafspelz.

Im Jahr 2017 ging Substack online, in den ersten Monaten der Pandemie fasste es so richtig Fuß im englischsprachigen Raum. Namhafte Journalistinnen und Journalisten verließen große Medienhäuser, um eigene Newsletter auf der Plattform zu starten. E-Mail wurde zum Kommunikationskanal der Stunde gehyped, ließen sich damit ja potentiell die algorithmischen Launen von Meta oder Twitter umgehen. 

Mittlerweile begegnen mir auch immer mehr österreichische Substack-Publikationen: u. a. Kulinarik-Kolumnist Tobi Müller, Podcaster Andreas Sator oder Jus-Professor Nikolaus Forgó haben dort eigene Newsletter gestartet. „Subscribe to my Substack“ hat sich in den Reigen der Eigenwerbungs-Floskeln à la „like & follow“ von Medienschaffenden und Content Creators eingereiht. 

Diese Tatsache für sich finde ich schon ein kleines bisschen nervig. Aber es gibt noch viel mehr, das mich an Substack aufregt. Denn ultimativ schadet es dem freien, offenen Web.

Ein „neues Geschäftsmodell“

Die Substack-Gründer – Ex-Journalist Hamish McKenzie und die beiden Start-up-Unternehmer Chris Best und Jairaj Sethi – haben schon recht mit ihrer Ausgangsbeobachtung, dass journalistische Geschäftsmodelle nicht mehr nachhaltig sind und die Aufmerksamkeitslogik von Social Media viel unnötiges Rauschen erzeugt. Sie sahen ihre Mission darin, eine Plattform zu schaffen, mit der Autorinnen und Autoren ihr Publikum direkt erreichen und durch Abos einfach Geld verdienen können.

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Abonnements für Medienprodukte waren 2017 beileibe keine neue Erfindung. Tatsächlich stellten die Gründer sich selbst und ihre frisch gegründete Plattform direkt in eine Reihe mit historischen Zeitungen und Verlagshäusern, ganz im Dienste der vierten Gewalt. 

Viel Geld im Spiel

Doch selbstverständlich ist das kein altruistisches Unterfangen, Substack will Profit machen. Für die Investoren, die bis heute schon 100 Millionen US-Dollar in das Unternehmen gesteckt haben, gilt das erst recht. Kein Wunder, dass Substack sein Motto zu „A new economic engine for culture” („Ein neuer Wirtschaftsmotor für Kultur“) geändert hat.

Einen Newsletter auf Substack zu starten, kostet erstmal nichts. Sobald Autorinnen und Autoren eine Bezahloption einführen, schneidet die Plattform mit. Ein Abo muss mindestens 5 US-Dollar pro Monat kosten, 10 Prozent des Umsatzes gehen an Substack, dazu kommen noch Gebühren für Zahlungsdienstleister. 

Große Publikationen mit vielen zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten bringen der Plattform so zehntausende US-Dollar jährlich ein, berichtete Digiday kürzlich. Verglichen mit anderen Newsletter- oder Hosting-Services ist das enorm teuer für Autorinnen und Autoren.

Ein Wolf im Schafspelz

Im Streben nach mehr Profit verhält sich Substack nach klassischen Plattform-Mustern. Seine kostenlose, Risikokapital-finanzierte Infrastruktur vereinfacht zwar das Veröffentlichen, Entdecken und Abonnieren von Newslettern erst einmal. Und theoretisch können Autorinnen und Autoren zu jedem Zeitpunkt die E-Mail-Adressen ihres Publikums exportieren, um zu einem anderen Service zu wechseln. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu „klassischen“ sozialen Netzwerken, in denen man seine Follower oder Freundinnen nicht „umsiedeln“ bzw. „mitnehmen“ kann.

Eine Hand mit einem Smartphone, auf dem die Icons verschiedener Sozialer Netzwerke angezeigt werden

Substack hat Funktionen anderer sozialer Netzwerke in sein Service integriert (Symbolbild).

Um als Plattform wirtschaftlich wertvoll zu sein, muss das Unternehmen aber möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer dauerhaft an sich binden, oder noch besser, sie völlig abhängig machen. Dafür wurden immer neue Funktionen eingeführt, die eben nur innerhalb des Substack-Universums funktionieren: Notes ist eine Art X-Klon für kurze Postings, auch ein TikTok-artiges Video-Feature und Podcasts stehen zur Verfügung. Community-Funktionen wie Kommentare und Likes sowie eine Startseite mit algorithmischem Empfehlungs-Feed gibt es ebenfalls. Substack erhebt über Mails, Webseite und App hinweg äußerst genaue Nutzungsdaten, was ebenfalls hohen wirtschaftlichen Wert hat. Diesen „Schatz“ teilt die Plattform in klassischer Manier auch nur begrenzt mit Autorinnen und Autoren.

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Substacks Selbstpositionierung als bessere, „faire“ Antithese zu „klassischen“ sozialen Netzwerken ist damit mindestens unehrlich. Eigentlich steckt ein Plattform-Wolf im vermeintlich harmlosen Newsletter-Schafspelz.

Substack im Vordergrund

Ein weiterer wichtiger Punkt im Plattform-Playbook ist die kulturelle Hegemonie, um irgendwann tatsächlich ein Monopol zu erlangen. Das heißt, eine Plattform wird idealerweise tonangebend in ihrem Bereich, oder sogar synonym damit. So gesehen bei Facebook, das im Englischen das neue Verb „to friend“ prägte oder bei YouTubern, deren Beruf nach der Plattform heißt.

Substack stellt die eigene Brand klar in den Mittelpunkt: Newsletter im Postfach enthalten gleich ganz oben Like-, Kommentar- und „Restack“-Button sowie eine Schaltfläche für die Substack-App. Öffnet man einen Newsletter-Post im Browser, springt einem erstmal ein Substack-Abo-Pop-up entgegen. Die Designunterschiede zwischen verschiedenen Publikationen sind gering, Substack bewahrt überall einen ähnlichen Look.

Ob Autorin A oder Autor B einen Text verfasst hat, geht durch das alles eher unter – stattdessen bleibt die Marke Substack, die immerhin auch in der Domain steht, in Erinnerung. Tech-Blogger Anil Dash forderte deshalb einmal: „Don’t call it a Substack“. Denn Newsletter kann man überall dort lesen, wo man seine E-Mails abruft, Posts im Web in jedem Browser.

Meinungsfreiheit und Hassrede

Ähnlich wie Social-Media-Unternehmen zuvor argumentiert Substack außerdem, dass es inhaltlich als bloße Plattform fungiere. Ob also in dort veröffentlichten Publikationen Fake News oder Hassrede vorkommen, liege außerhalb der Verantwortung des Unternehmens. Überhaupt, Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, Zensur mache alles nur noch schlimmer, findet Mitgründer McKenzie.

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Das Argument, nur neutrale Plattform ohne Einfluss auf Inhalte zu sein, ist nur begrenzt glaubwürdig. Einerseits hebt Substack immer wieder verschiedene Publikationen und Posts hervor – fungiert also durchaus wie ein klassischer Medien-Herausgeber. Andererseits nahm Substack 2021 eine Reihe bekannter Journalistinnen und Journalisten in ein Stipendien- und Rechtsschutzprogramm auf, damit sie sich auf ihre Newsletter konzentrieren. Durch ihre Autorität und ihre Inhalte sollte die Plattform wertvoller werden.

Anne Helen Petersen, vormals BuzzFeed-Journalistin, erhielt beispielsweise einen sechsstelligen Vorschuss für ihren Newsletter „Culture Study“, während Casey Newton, der zuvor für The Verge schrieb, für „Platformer“ Unterstützung in der Krankenversicherung bekam, wie damals im New Yorker zu lesen war. 

Rechtsextreme Inhalte

Newton verließ Substack Anfang 2024 gemeinsam mit einigen anderen wichtigen Autorinnen und Autoren und publiziert seither über das Newsletter-Service Ghost. Seiner Ansicht nach unternahmen die Gründer zu wenig gegen (rechts-)extremistische und antisemitische Newsletter, profitierten gar finanziell von rassistischen Inhalten.

Übrigens: Der laut Substack-Statistiken derzeit erfolgreichste Newsletter in Österreich ist mit über 20.000 Abonnentinnen und Abonnenten „Eindrücke aus der geistigen und spirituellen Welt“. Das, was dort außerhalb der Paywall zu lesen ist, sind astrologische Vorhersagen und energetische Analysen.

Kein Ersatz für Redaktionen

An diesem Beispiel deutet sich schon an, warum Substack mit seinen Newslettern von Einzelpersonen kaum alleine die viel beschworene „Zukunft des Journalismus“ sein kann. Mit einem einzigen Newsletter ist eine Redaktion im Hintergrund kaum zu finanzieren. Doch ohne redaktionelles Korrektiv schleichen sich leichter Fehler ein, und abgedrehte Nischenmeinungen werden sowieso nicht geprüft. 

Wenig überraschend bestehen die meisten Newsletter auf der Plattform überwiegend aus Link-Empfehlungen, Kommentaren und persönliche Essays – (Breaking) News gibt es kaum. Dazu kommt: Das Modell des „Unbundling“ – also Inhalte von Einzelpersonen statt einer Redaktion – ist auch für Leserinnen und Leser nicht ideal. Abos von mehreren Newslettern gehen schnell ins Geld.

Zurück ins offene Web!

Inhaltlich ist der Substack-Boom nicht mehr als ein Rebranding bzw. ein Revival des Bloggens. Auf technischer Ebene geht es um E-Mail und RSS, das sind offene, nicht-proprietäre Protokolle. Zur Veröffentlichung im Web gibt es daher viele Alternativen, z. B. das Blogging-CMS WordPress. Zum Versenden von Newslettern gibt es ebenfalls dutzende Anbieter, z. B. Ghost oder Buttondown. 

Das, was die Substack-App kann – Posts von abonnierten Publikationen chronologisch präsentieren – können RSS-Reader schon lange. Und Newsletter empfangen kann man mit jedem E-Mail-Programm.

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Bei der Gefahr, dass ich jetzt klinge wie eine Krückstock-wedelnde Internet-Oma: Das Kernangebot von Substack basiert auf lange Bewährtem. Es braucht keine Plattform dafür, die alle Konkurrenz verdrängt und im Zweifel nur wieder in Enshittification mündet, wie Autor Cory Doctorow profitgetriebenen Niedergang beschrieb. Es braucht in meinen Augen genau das Gegenteil: ein vielfältiges, offenes Web. 

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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Jana Wiese

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