Peter Glaser: Zukunftsreich

Leben in der Drohnosphäre

Die Anfänge waren kurios und erdgebunden. Im Sommer 1993 wurde im New Yorker Stadtteil Queens ein Roboter auf frischer Tat bei dem Versuch ertappt, eine Bank auszurauben. Das Gerät hatte nachts versucht, die Wand zu einem Tresor zu durchbrechen. Die Ermittlungen ergaben, dass der Roboter nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hatte, sondern von drei Männern ferngesteuert worden war, die in einem Kleinlaster vor der Bank warteten.

Autonome Maschinen durchdringen den Alltag

20 Jahre später war die Technik radikal fortgeschritten – und der Ansatz hatte sich umgekehrt. Nun ließ die EU erforschen, wie sich etwa mit einem unbemannten „Aeroceptor“ von Kriminellen gesteuerte Fahrzeuge stoppen ließen. Spätestens als im deutschen Bundestagswahlkampf 2013 eine von einem Mitglied der Piratenpartei gesteuerte Flugdrohne vor Bundeskanzlerin Merkel zu Boden fiel, wurde deutlich: Drohnen sind längst nicht mehr nur militärische Vehikel. Sie hatten begonnen, das Zivilleben und den Alltag zu durchdringen. Zu den ferngesteuerten oder selbstfahrenden Maschinen zählten schließlich nicht nur Fluggeräte, von meterlang bis mückenklein, sondern auch autonome Autos, deren Entwicklung Firmen wie Google und Amazon vorangetrieben hatten, sowie selbständige Mikrotauchboote, die sich durch die Wasserleitungsnetze bewegen konnten.

Der Drohnen-Underground

Die verschiedenen Formen von Inhouse-Drohnen hatten als gehobenes Spielzeug begonnen, sich aber bald zu Service-, Transport- und Unterhaltungsgeräten emanzipiert. Im zunehmendem Maß einkaufende, den Gehsteig reinigende oder Post zustellende Drohnen machten Regulierungen im öffentlichen Raum nötig. Luftfahrt- und Verkehrsministerium legten Anti-Kollisionstechniken und spezielle Korridore fest, in denen Drohnen fahren, fliegen oder schwimmen dürfen. Die aus Hygienegründen in Trinkwasserleitungen verbotenen Wasserdrohnen wanderten großteils in die Abwassersysteme ab, blieben aber auch als illegale Leitungsparasiten weiter im Trinkwassernetz und bildeten dort einen Drohnen-Underground.

Kriegführen für jedermann

Die erste Generation der Drohnen-Nutzer legte noch Wert auf zurückhaltende Maschinen. Die Vorstellung, wie der Genetik-Ingenieur J.F. Sebastian in dem Film „Blade Runner“ nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Haus zu kommen und von einem wild durcheinanderplappernden Haufen Hightech empfangen zu werden, löste erst später bei den Jüngeren, die mit Drohnen bereits ganz selbstverständlich aufgewachsen waren, ein gewisses Vergnügen aus.

Drohnenbasierte Telepräsenz und Teletourismus veränderten Arbeits- und Freizeitverhalten auf tiefgreifende Weise; zugleich drangen damit virtuelle Realitäten aus Computerspielen in die wirkliche Welt vor. Ex-Google-CEO Eric Schmidt hatte schon früh - und vergeblich - gefordert, die Nutzung von Drohnen zu privaten Zwecken zu verbieten. Die Technologie, so Schmidt, habe das Potenial, „das Führen von Kriegen zu demokratisieren“.

Der Kampf gegen die Paparazzo-Drohnen

Inzwischen können Kids in Stahlbeton-armierten Hallen und hinter Panzerglas hochrealistisch Krieg spielen und ihre ferngelenkten Maschinen aufeinander losgehen lassen. In dichter Folge patrouillierende Security-Drohnen verhindern in der Öffentlichkeit die gröbsten Formen von Unfug und maschineller Aggression. Mit dem Aufkommen immer zudringlicherer Paparazzo-Drohnen hatten Prominente und Reiche massiv in Abwehrmaßnahmen gegen Drohnen investiert, die bald mindestens so intelligent wie die Drohnen selbst waren und eine unabsehbare Rüstungsspirale in Gang setzten.

BringBots machten Post und Zustelldienste obsolet. Durch diese Kurier-Direktverbindungen schwanden die staatlichen Kontrollmöglichkeiten, wie sie zuvor etwa am Zoll vorhanden gewesen waren. Ob jemand mit einer Flugdrohne neue Schuhe oder ein Kilo Kokain geliefert bekam, ließ sich kaum noch feststellen.

Und ein neues soziales Phänomen begann die demokratischen Systeme der Welt in ihrem Innersten zu gefährden. Angesichts der dienstbaren Drohnenschwärme summierte sich ein Verhalten zu neuen Ausmaßen auf, das viele für längst vergangen gehalten hatten – die Herrschsucht und Unduldsamkeit des Sklavenhalters. Auf Maschinen angewandt, schien die Idee der Knechtschaft anscheinend plötzlich wieder ok...

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

mehr lesen
Peter Glaser

Kommentare