Besorgte Frau
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Gastkommentar

Marketingstrategie Klimaschuldgefühle

Sich jedes Mal schuldig zu fühlen, wenn wir keine perfekten Umweltschützer*innen sein können, ist kontraproduktiv

Die Unterscheidung zwischen ökologisch richtigen oder falschen Entscheidungen ist zu einem schwer lösbaren Puzzle geworden, das man als Konsument*in unmöglich alleine zusammensetzen kann. Zertifikate, Labels, Gütesiegel, Ernährungsgewohnheiten, Mobilität, Mülltrennen, Reparieren und Upcycling, Second-Hand kaufen, Plastik vermeiden – es gibt vielfältige Weisen, auf die man die eigenen Emissionen reduzieren kann.

Und dennoch wird man immer wieder aufs Neue feststellen, dass man niemals damit fertig sein kann. Das kann, wenn man dem Anspruch eines perfekten umwelt- und klimafreundlichen Lebensstils gerecht werden will, sehr frustrierend sein und führt mitunter zu Scham- und Schuldgefühlen, die auch gerade für junge Generationen zunehmende Ursache für Stress sind. Um der Überforderung zu entgehen, treffen manche Menschen schließlich gar keine umweltfreundlichen Entscheidungen mehr und lehnen die persönliche Auseinandersetzung mit der Klimakrise vollends ab.

Kein Zufall, sondern Marketing

Sich jedes Mal schuldig zu fühlen, wenn wir keine perfekten Umweltschützer*innen sein können, ist also kontraproduktiv. Zu glauben, alleine wir Verbraucher*innen hätten die Entscheidungsmacht über das Klima in unseren Händen und Geldbörsen durch die Verhaltens- und Kaufentscheidungen, die wir treffen, ist ein Irrweg, der weder uns persönlich noch dem Klima im Großen und Ganzen nützt. Dass wir dieses Credo dennoch so tief in uns verankert haben, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von cleverem, gezielten Marketing.  

Die gesellschaftlichen Erwartungen an das Verhalten eines jede*n Einzelne*n sind viel zu hoch angesetzt – und sie wurden von der fossilen Industrie bewusst zu hoch gesteckt. Erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal begonnen haben, Ihren persönlichen CO2-Fußabdruck zu hinterfragen? Fest steht: Das kann nicht vor 2000 gewesen sein. Denn davor gab es den Begriff „CO2-Fußabdruck“ gar nicht.

CO2-Fußabdruck: Erfindung von Ölkonzern

Er wurde in einer preisgekrönten Werbekampagne eingeführt. Nicht etwa von Umweltschutzorganisationen oder Klimaministerien, sondern von British Petroleum (BP), dem zweitgrößten nicht staatliche Ölunternehmen der Welt mit Treibhausgasemissionen von zuletzt 33 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr – nur auf die direkte Produktion bezogen, nicht auf den Ausstoß, den ihre Produkte in weiterer Verwendung verursachen, also etwa als Auto-Abgase. Zum Vergleich: Wenn Sie in Österreich leben, lag Ihr Ausstoß im Jahr 2020 bei durchschnittlich 7,25 Tonnen, es sei denn, Sie zählen zu den reichsten 10 Prozent – dann lag er um ein Mehrfaches darüber.

Ziel der BP-Kampagne war es, die Meinung zu verbreiten, dass der Klimawandel nicht die Schuld von Ölgiganten, sondern die von Einzelpersonen sei. 2004 stellte BP dann den ersten „CO2-Fußabdruck-Rechner“ vor, damit man selbst einschätzen kann, wie sehr man durch den täglichen Einkauf, Arbeitsweg oder Urlaubsreisen Mitschuld an der globalen Erwärmung trägt. Zwei Jahrzehnte später ist der „CO2-Fußabdruck“ nicht mehr wegzudenken und wir können uns durch Kompensationszahlungen etwa beim Fliegen sogar davon freikaufen. Wie praktisch für uns – und vor allem für fossile Konzerne wie BP, die nach wie vor gutes Geschäft und uns ein schlechtes Gewissen machen.

Marktwirtschaftlicher Umweltschutz

Eine schlüssig erscheinende Logik untermauert das Argument der persönlichen Verantwortung. Die fossile Industrie und ihre Unterstützer:innen argumentieren, dass sie nur die Nachfrage der Verbraucher*innen am Markt bedienen würden. Ohne strenge staatliche Regulierungen für Treibhausgasemissionen ist es den Unternehmen und ihren Lobbys seit Jahrzehnten überlassen worden, sich selbst zu regulieren.

Dieser marktwirtschaftliche Umweltschutz basiert auf einem Wirtschaftsprinzip, das vom fiktiven Homo Oeconomicus ausgeht und den Verbraucher*innen die Verantwortung zuschiebt, zu erkennen, welche Unternehmen tatsächlich umweltfreundlich handeln. Das ist, nicht zuletzt dank irreführender Werbung, ein Ding der Unmöglichkeit, nennt sich doch das prominenteste Ergebnis von marktorientiertem Umweltschutz Greenwashing.

Verantwortung wieder aufteilen

Während die Ermutigungen vielleicht harmlos erscheinen mögen, unsere individuellen Emissionen zu reduzieren, sehen wir, dass diese Marketingstrategien seit Jahrzehnten zu einer riesigen Diskrepanz führen zwischen der Schwere der Klimakrise und dem Hauptfokus auf vergleichsweise kleine Aktionen wie dem Trennen von Einwegplastikmüll im Haushalt. Das lenkt jedoch nicht nur von der Unternehmensverantwortung ab, sondern scheint auch keinen nennenswerten Unterschied zu machen.

Wenn die Last allein auf unseren Schultern liegt, führt das nicht zu Ermächtigung, sondern zu Ohnmacht und blendet aus, wer über den größten Hebel für jene Veränderungen verfügt, die schnell die notwendige beträchtliche Menge an CO2-Reduktion bringt, die wir für das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze stemmen müssen: Regierungen und Unternehmen. Teilen wir die Verantwortung wieder auf.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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