Demonstration in Wien

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© EPA/CHRISTIAN BRUNA

Meinung

Weniger als eine Verschwörungstheorie: Der Great Reset

Man fühlt sich einfach vereint in einem abstrakten Hass gegen vermeintliche „Eliten“, die angeblich die Weltherrschaft an sich reißen wollen.

Man soll das Wort „Verschwörungstheorie“ am besten überhaupt nicht mehr verwenden, heißt es immer wieder. Man sollte lieber von „Verschwörungserzählungen“ sprechen, weil viele von ihnen die Bezeichnung „Theorie“ gar nicht verdient haben.

In der Wissenschaft verwendet man den Begriff „Theorie“ für ein in sich schlüssiges Konzept, das sich überprüfen lässt und wichtige Beobachtungen erfolgreich erklären kann – für die Evolutionstheorie zum Beispiel, oder die Relativitätstheorie. Wenn jemand von einer geheimnisvollen Medien-Verschwörung fantasiert, die verhindern soll, dass die Wahrheit über die außerirdischen Reptilien-Aliens ans Licht kommt, die in Wirklichkeit die Welt regieren, dann ist das hingegen kein schlüssiges Konzept, es lässt sich nicht wirklich überprüfen und erklärt überhaupt nichts.

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Ich verstehe diesen Einwand gegen die Verwendung des Wortes „Verschwörungstheorie“, fand ihn aber immer etwas überzogen. Auch etwas ziemlich Dummes kann man als Theorie bezeichnen, zum Beispiel die Theorie, dass die Mondlandung von der NASA nur vorgetäuscht wurde. Im Zweifelsfall würde ich mit dem Begriff „Theorie“ eher großzügig umgehen, denn auch mit Verschwörungstheorien sollte man sich fair und faktenbasiert auseinandersetzen. Wenn man der Behauptung der anderen Seite schon von vornherein die Theoriewertigkeit abspricht, wird das schwierig. Natürlich handelt es sich bei Verschwörungstheorien um Erzählungen, um Mythen, und so müssen diese Geschichten auch verstanden werden. Aber wenn wir sie ehrlich und präzise widerlegen wollen, müssen wir sie als Theorien diskutieren – oder anders gesagt: So als ob sie echte Theorien wären.

Great Reset: Nachhaltiger Neustart nach Corona

Schwierig wird das aber bei der derzeit vielleicht boomendsten Verschwörungstheorie: der Geschichte vom „Great Reset“. Begonnen hat sie während der Corona-Pandemie, als Stimmen aus dem Weltwirtschaftsforum dazu aufriefen, die wirtschaftlichen Turbulenzen zu nutzen, um eine weltweite Transformation anzustoßen – weg von bloßer Profitmaximierung, hin zu mehr Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Fairness.

Das klingt eigentlich recht freundlich, wenn auch reichlich unkonkret. Man hätte das in der Kategorie „wohlmeinende Sonntagsrede ohne echte Konsequenz“ abspeichern können – wenn sich nicht plötzlich auf der ganzen Welt Verschwörungstheorie-Fans darauf gestürzt hätten. Gerade weil die Idee eines „Great Reset“, eines Neustarts der Wirtschaft für mehr globale Nachhaltigkeit, so vage und unkonkret ist, kann man nach Belieben seine eigenen Feindbilder und Ängste hineinprojizieren.

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Der „Great Reset“ will das Privateigentum abschaffen und weltweiten Sozialismus durchpeitschen, sagen die einen. Der „Great Reset“ soll die Massen enteignen und die superreichen Eliten noch reicher machen, sagen die anderen. Der „Great Reset“ soll eine ultrakonservative neu-mittelalterliche Weltordnung herbeiführen, hört man. Und wieder andere sehen im „Great Reset“ die heranrückende Herrschaft von AI-Robotern, mit Videoüberwachung, Abschaffung des Bargelds und zwangsweise in die menschliche Blutbahn implantierten Mikrochips.

All das widerspricht sich natürlich völlig – und belegen lässt sich nichts davon. Aber das scheint die „Great Reset“-Gegner nicht zu stören. Man fühlt sich einfach vereint in einem abstrakten Hass gegen vermeintliche „Eliten“, die angeblich die Weltherrschaft an sich reißen wollen.

Als Reaktion darauf setzt man sich aber nicht etwa für mehr Basisdemokratie ein, oder für stärkere demokratische Kontrolle internationaler Organisationen, sondern man erklärt autoritäre Führer wie Donald Trump oder Vladimir Putin zu Helden – also exakt jene Sorte von Eliten, die es mit demokratischer Kontrolle nicht so besonders genau nehmen. Es ist, als würde man darüber jammern, im Regen nass zu werden, und währenddessen kopfüber in einen See springen.

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Was nicht konkret wird, kann nicht konkret widerlegt werden

Genau das macht die Erzählung vom „Great Reset“ so gefährlich: Sie hat keinen echten Kern, keine zentrale These, die man widerlegen könnte. Somit ist sie kaum zu bekämpfen – denn egal, welchen Aspekt davon man durch Fakten widerlegt, immer kann man sagen: „Das habe ich mit Great Reset doch gar nicht gemeint, die große Gefahr des Great Reset liegt ganz wo anders!“

Und in diesem Sinn ist der „Great Reset“ tatsächlich keine Verschwörungstheorie. Es ist eigentlich nicht einmal eine Verschwörungserzählung, denn auch eine Erzählung sollte irgendwie Sinn ergeben. Der Great Resest ist eine Verschwörungsschwurbelei, ein Sammelbegriff für Dinge, über die man sich gerne aufregen möchte, ohne jeden Anspruch darauf, sie irgendwie logisch zu sortieren und zu verknüpfen. Ein solcher Verschwörungsnebel, der nirgendwo konkret wird, ist deutlich schwieriger loszuwerden als eine klassische Verschwörungstheorie, deren Aussagen man klar benennen und somit auch widerlegen kann.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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