Silhouettes of mobile users are seen next to logos of social media apps Signal, Whatsapp and Telegram projected on a screen in this picture illustration
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Netzpolitik

Ein Jahr ohne Datenspuren: Wie man von WhatsApp loskommt

Viele Menschen wissen heutzutage, dass das Durchforsten des Internets keine Privatangelegenheit ist. Jeder Besuch, jede Recherche und jeder Kauf eines Produkts auf einer Webseite wird von mehr als nur einem Unternehmen mitverfolgt. Doch viele glauben, dass es mühsam ist, sich davor zu schützen.

Die Berliner Ärztin Katharina Larisch und Volker Wittpahl vom Institut für Innovation und Technik haben im Oktober vor einem Jahr einen Selbstversuch gestartet: Wie kann man als "Nicht-Techniker" das digitale Leben komplett umstellen, um mündiger mit neuen Technologien umzugehen? Kann man wirklich ohne Datenspuren im Netz leben und ist das nicht viel zu unbequem?

Das Paar hat sich mit diesem Experiment den Herausforderungen gestellt, möglichst selbstbestimmt darüber zu entscheiden, was für Technologien sie einsetzen und auf welche sie besser verzichten. Die futurezone traf die beiden bei der „Privacy Week“ in Wien zum Gespräch.

Digital selbstbestimmt Leben: Was war Ihre Motivation für dieses Experiment?
Volker Wittpahl: Ich bin als Vortragender vor einem Jahr zur „Privacy Week“ nach Wien eingeladen worden, um über Zukunft und Technik zu sprechen. Durch das Vortragsprogramm bin ich auf die Idee gekommen, einen Selbstversuch zu starten, mit all dem Wissen, das dort vermittelt wurde. Ich habe mich gefragt, ob man das in der Praxis tatsächlich umsetzen kann, oder ob es nicht zu unbequem ist. Und ich habe Katharina dazu überredet mitzumachen.

Katharina Larisch: Ich habe als Ärztin durchaus eine Vorstellung davon, was man mit Daten alles machen kann. Ein Freund von uns hat uns dann den Roman von Andreas Eschbach „NSA – Nationales Sicherheitsamt“ empfohlen. Das, was darin geschildert worden ist, hat mich so erschreckt, dass ich Volker dann gesagt habe, dass ich beim Selbstversuch mitmache.

Volker Wittenpahl und Katharina Larisch

Was stört Sie am meisten, das mit Ihren Daten gemacht wird?
Larisch: Ehrlich gesagt: Ich weiß gar nicht, was alles möglich ist. Ich finde es katastrophal, dass Menschen online beeinflusst werden können. Das hat man zuletzt etwa beim Cambridge-Analytica-Skandal gesehen. Da wurden Menschen auch beeinflusst, wen sie wählen.

Wittpahl: Wir bekommen nicht einmal mit, wenn wir manipuliert werden. Das ist für mich erschreckend. Da gab es etwa einen Algorithmus auf Tinder, der abgedreht wurde, weil er stabile Beziehungen erzeugt hatte und das nicht im Interesse des Unternehmens war. Oder es gibt Firmen, die gezielt dafür sorgen, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, um online den Umsatz zu steigern.

Larisch: Ich vergleiche das ganz gerne mit Asbest. Das ist ein toller Werkstoff um zu dämmen und man hat diese positive Eigenschaft gerne genutzt – bis man draufgekommen ist, dass es der Gesundheit schadet. Die Folgen werden erst viel später ans Tageslicht treten und die Welle der Krebserkrankungen kommt erst, weil es so eine Latenzzeit gibt. Dasselbe haben wir auch mit den Daten. Hier wird sich auch erst zeigen, was passiert, wenn alles von uns gesammelt und ausgewertet wird.

Wie sind Sie an das Experiment herangegangen?
Wittpahl: Ich bin es erstmal sehr pragmatisch-technisch angegangen und habe mich gefragt: Welche Geräte haben wir? Was für Betriebssysteme sind da drauf? Welche Software? Wir haben dann systematisch von unten nach oben versucht, einfach alles sicher zu machen. Ich habe bald festgestellt, dass man eigentlich anders anfangen muss. Man muss sich erstmal Gedanken darübermachen, was einem wichtig ist. Wir haben uns komplett auf den privaten Bereich beschränkt, weil wir diesen selbst bestimmen können.

Larisch: Wir haben unser persönliches Risiko bewertet und dann einen Maßnahmenplan daraus abgeleitet. Das hat alles deutlich länger gedauert, als wir gedacht haben. Der Test unserer neuen Systeme im Alltag beginnt jetzt erst richtig.

Was haben Sie dann konkret gemacht?
Wittpahl: Wir haben uns die Betriebssysteme angesehen von unseren Computern und Smartphones angesehen. Wir sind komplett umgestiegen auf Linux und LineageOS. Das ist ein freies Betriebssystem für Android-Geräte, das man selbst auf dem Gerät installieren muss. Als nächstes waren die Browser dran. Die haben wir auf Firefox umgesetellt. Dann die Apps und Messenger. Hier sind wir von WhatsApp zu Signal gewechselt. Es ging einerseits um die Geräte, andererseits um die Anwendungen, die wir täglich nutzen.

Larisch: Facebook und smarte Lautsprecher nutzen wir per se nicht, daher war es für uns auch kein Thema.

Können Sie jetzt schon sagen, was das Schwierigste für Sie war?
Wittpahl: Als Laie rauszufinden, wo man eigentlich anfängt. Wir hatten auch Coaching-Sessions mit dem Chaos Computer Club in Wien, der uns dabei geholfen hat, uns zurecht zu finden. Diese waren extrem hilfreich. Man kriegt nirgendwo ein Gesamtbild, warum digitale Selbstbestimmung wichtig ist, sondern immer nur einzelne Bausteine geliefert.  

Larisch: Es war außerdem schwierig, über ein Jahr motiviert bleiben. Nach einer anfänglichen Begeisterung haben wir festgestellt, dass es nicht so einfach geht, wie wir uns das vorgestellt haben.

Gab es etwas, woran Sie gescheitert sind?
Wittpahl: Bei der Installation von LineageOS habe ich ein Smartphone kaputt gemacht. Es hat sich aufgehängt und ich konnte es nicht mehr starten. Daraufhin habe ich es erst einmal ein paar Monate in eine Ecke geschmissen. Bei mir hat es außerdem länger gedauert, wirklich von WhatsApp loszukommen. Ich habe diesen Prozess hinausgezögert, weil ich mich nicht von alten Freunden und Gewohnheiten trennen konnte. Das sehe ich als große Hürde.

Es war also schwierig von WhatsApp loszukommen?
Wittpahl: Ich habe anfangs mit zwei Telefonen gearbeitet. Allerdings habe ich immer nur das eine mitgenommen, das andere mit WhatsApp blieb zu Hause. Dieses Trennen von Personen und Gewohnheiten, das war ein richtiger Trauerprozess für mich.

Larisch: Es war nicht einfach, meine 70-jährige Mutter dazu zu bringen, auf den Messenger Signal zu wechseln, aber es hat funktioniert. Ich habe ihr Bilder nur noch per Signal geschickt. Am Anfang hat sie diese nicht gesehen und sie hat sie erst nach dem Telefonieren gefunden. Dann hat sie versprochen häufiger in Signal reinzuschauen.

Sie verzichten für mehr Privatsphäre also auf Kontakte?
Larisch: Die meisten kann man auf anderem Weg noch immer erreichen, aber durch den Ausstieg von WhatsApp gingen ein paar Kontakte verloren. Ich vergleiche das ganz gerne mit analogen Dingen: Eigentlich weiß ich, dass ich Gemüse und Obst essen sollte, aber es ist so viel einfacher, sich eine Currywurst zu holen. Wir schneiden jetzt das Gemüse und Obst selbst und da macht nicht jeder mit.  

Schaffen Sie es, komplett auf alte Gewohnheiten zu verzichten?
Wittpahl: Wenn man dann zwischendurch einmal kommerzielle Systeme benutzt, ist das, wie wenn man zwischendurch mal wieder bei McDonalds essen geht. Es hilft, wenn man alte Programme auf dem Computer oder Apps, die man zuvor verwendet hat, komplett entfernt. Dazu muss man schon einen Schweinehund überwinden, ähnlich wie wenn man sich aufraffen muss, um ins Fitnessstudio zu gehen. Die Versuchung zurückzugehen, um einen Text mit Word zu schreiben statt mit LibreOffice, ist groß, wenn man weiß, dass man dadurch viel Zeit sparen kann.

Wie wollen Sie andere Menschen dazu motivieren, es Ihnen gleich zu tun?
Larisch: Wie bringt man Leute dazu, ins Fitness Studio zu gehen oder sich gesünder zu ernähren? Ich glaube, den Menschen fehlt oft die Fantasie, was mit ihren Daten alles angestellt werden kann und dass die Verknüpfung mit allen Daten es ermöglicht, dass ganze Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Wir erzählen allen von unserem Experiment, und hoffen, dass dadurch mehr Menschen anfangen, nachzudenken. Es gibt auch kleine Dinge, mit denen man anfangen und mit denen man schon viel erreichen kann.

Wittpahl: Bei vielen beginnt das Umdenken erst, wenn sie einmal von einem Datenleck betroffen oder ihr Online-Konto gehackt worden ist. Aber der Austausch über das Nutzungsverhalten hebt die Motivation. Das ist, wie wenn man beim Sport gemeinsam läuft.

Sechs Tipps, wie man seine Privatsphäre schützen kann

Katharina Larisch nennt es „Quick Wins“, also rasch zum Erfolg führende Dinge, die jeder Einzelne durchführen kann, um seine eigenen Daten zu schützen.

Einstellungen zu Privatsphäre am Smartphone ändern
Je nachdem, ob man ein iOS- oder Android-Gerät hat, sind jeweils andere Einstellungen aktiviert. Diese sollte man sich in aller Ruhe durchsehen. Ein guter Tipp ist hier, das GPS-Tracking abzudrehen.

Apps ausmisten
Bei Apps werden oft viele Daten im Hintergrund an Firmenübertragen, auch wenn man die Anwendungen nicht verwendet. Hier zahlt es sich aus, die Apps vom Gerät zu entfernen, die man nicht verwendet.

Messenger wechseln
Statt WhatsApp empfehlen die beiden allen Nutzern, auf den Dienst Signal zu wechseln, weil bei diesem keine Metadaten an einen Konzern übertragen werden.

Jitsy statt Skype
Beim Kommunizieren via Videotelefonie raten die beiden zu einer Alternative. Bei Skype wurde bekannt, dass die Videogespräche von Dritten protokolliert werden, um den Dienst zu verbessern.

Open Street Map
Bei Karten empfehlen die beiden OpenStreetMap statt Google Maps.

Firefox als Browser
Für das Surfen kann Firefox als Standard-Browser installieren werden. Zusätzlich kann man sich  über passende Anti-Tracking-Plugins informieren.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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