Mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit die Welt retten
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Kann man mit Digitalisierung die Welt retten? Diese Frage stellten sich Viola Muster und Christian Thorun vom ConPolicy-Institut für Verbraucherpolitik auf der Netzkonferenz re:publica in Berlin. „In der derzeitigen Digitalisierungsdebatte kommt Nachhaltigkeit noch viel zu kurz“, erklärt Thorun im Gespräch mit der futurezone.
Dabei sei die Ausgangslage bereits „verheerend“: Neben einer Klimakrise mit steigendem Meeresspiegel, einer zunehmenden Knappheit von Ressourcen und der Verschlechterung der Luftqualität gebe es zudem eine Artenvielfaltskrise. „Die Digitalisierung hat Auswirkungen darauf, wie wir produzieren und konsumieren und damit auch viele Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft.“, sagt Thorun, der auch zahlreiche Politiker in Verbraucherfragen berät.
Transparenz
Dabei kann die Digitalisierung in Nachhaltigkeitsfragen Menschen gezielt unterstützen und bietet große Chancen. „Die Transparenz und der Zugang zu Konsumoptionen wird einfacher. Es gibt Suchmaschinen, Vergleichsportale und Apps. Uns stehen permanent aktuelle Informationen zur Verfügung und zeitliche und örtliche Barrieren sind gefallen“, sagt Muster. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit Fragen rund um nachhaltigen Konsum. „Es gibt viele Apps oder Informationsportale, die uns dabei helfen, nachhaltige Produkte zu finden oder Labels zu vergleichen.“
Ein Beispiel ist die Produkt-Check-App ToxFox, die Aufschluss über hormonell wirksame Chemikalien in Kosmetika gibt, sowie über Giftstoffe in Kinderprodukten. Mit ToxFox können Verbraucher Strichcodes einscannen und direkt bei den Herstellern nachfragen ob und welche bedenklichen Inhaltsstoffe in ihren Produkten enthalten sind. Die Anfragen sollen Produkthersteller dazu motivieren, gefährliche Inhaltsstoffe durch Alternativen zu ersetzen. Je mehr Menschen nach den verwendeten Chemikalien fragen, so die Annahme, desto schneller werden die Hersteller reagieren und schadstofffreie Produkte auf den Markt bringen.
Apps reichen nicht
„Solche Apps sind nett und wichtig, aber die Zugriffszahlen zeigen, dass sie längst noch nicht in der Fläche angekommen sind. Es verändert sich bisher nur wenig“, sagt Muster. Insgesamt ist es immer noch viel zu schwierig und aufwändig, nachhaltig zu konsumieren. Da helfen auch die verbesserten Informationen nur wenig.
Dennoch gibt es laut Muster viele weitere Dinge, die jeder Mensch beitragen kann, um Konsum nachhaltiger zu gestalten. „Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass auch beim digitalen Konsum weniger mehr ist. Mit jeder Suchanfrage, mit jeder Nachricht, die wir verschicken, erzeugen wir Daten und verbrauchen Energie“, sagt Muster. „Daran denken viele Menschen nicht und wenn wir uns dies ein bisschen deutlicher vor Augen führen, wären wir schon ein kleines Stück weiter.“
Ressourcenfrage
Bei digitalen Geräten darauf zu achten, welche Ressourcen drinstecken und wo diese herkommen, sei ebenfalls wichtig. Doch das kann nicht allein die Aufgabe der Verbraucher sein. Hier ist Politik gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Oft werden für ältere Smartphone-Modelle keine Updates mehr angeboten und Nutzer damit gezwungen, das Gerät, obwohl es noch voll funktionsfähig ist, auszutauschen. Derzeit gibt es mit dem „Fairphone“ zwar einen Hersteller, der die Wertschöpfungskette bei der Produktion mitberücksichtigt – doch dieser hat einen verschwindend kleinen Marktanteil. Während Riesen wie Samsung oder Apple jedes Jahr Hunderte Millionen Geräte verkaufen, wurden vom Fairphone 1 und 2 seit 2013 rund 170.000 Stück verkauft.
Jetzt ist das aktuelle Modell gerade ausverkauft und wird nicht mehr nachproduziert – damit bleibt Kunden wieder keine Wahl auf faire, nachhaltige Smartphones. Thorun sieht daher die Verantwortung bei den großen Herstellern am Markt. „Gerade Konzerne könnten in ihren Lieferketten großen Druck ausüben, wenn sie ihrer Verantwortung nachkommen und handeln“, sagt Thorun von ConPolicy.
Noch gibt es ein Zeitfenster
Laut dem schwedischen Wissenschaftler Johan Röckström, der das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung leitet, sei das Zeitfenster, um „verheerende Risiken abzuwenden, noch offen. Entscheidend sind die nächsten zehn bis zwanzig Jahre“. Bis dahin können Menschen, Unternehmen und Politik noch handeln. Doch wer macht den ersten Schritt? „Die Verantwortung muss geteilt sein. Aber Menschen sind bequem. Sie verweisen gerne darauf, dass die Politik es richten müsse. Aber das ist ein Wechselverhältnis“, sagt Muster. „Wenn sich die Bürger nicht dafür einsetzen, wird die Politik nichts tun“, fügt Thorun hinzu.
Es bestehe zudem durchaus die Gefahr, dass durch die Digitalisierung unser Konsumniveau sogar noch steigt, statt schrumpft. „Wir können jetzt viel einfacher als früher einkaufen“, sagt Muster. Ein anderes Beispiel betrifft die Nutzung von Sharing-Diensten, bei denen es statt ums Besitzen ums Teilen und gemeinsame Nutzen geht. „Man darf nicht so naiv sein, zu denken, dass mit Sharing-Plattformen die Welt gerettet wird. Wenn ich davor nie ein Auto benutzt habe und jetzt aber häufiger ein Auto leihe, haben wir umweltpolitisch nichts gewonnen, im Gegenteil“, sagt Thorun.
„Bewegen wir uns weiter auf dem gegenwärtigen Pfad, gibt es einen wirklichen Grund, sehr nervös zu werden“, warnt Klimafolgenforscher Röckström. Es brauche daher „mutigere Politik, die von der Gesellschaft mitgetragen wird."
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