Angela Jorns, Leiterin des Nachhaltigkeitsteams bei Fairphone

Angela Jorns, Leiterin des Nachhaltigkeitsteams bei Fairphone 

© Fairphone

Interview

Fairphone-Nachhaltigkeitschefin: "Es gibt kein 100-prozentig faires Telefon"

Angela Jorns ist Head of Impact Innovation bei Fairphone.

Fairphone ist ein Smartphone-Hersteller aus den Niederlanden. Seit der Gründung vor mehr als 10 Jahren hebt sich das Unternehmen von anderen in der Branche durch den Fokus auf Nachhaltigkeit ab. 

Die futurezone hat mit Angela Jorns, Leiterin des Nachhaltigkeits-Teams von Fairphone, gesprochen. Im Interview redet sie über faire Bedingungen beim Rohstoffabbau und wie das Unternehmen versucht Elektroschrott zu vermeiden. 

futurezone: Fairphone gibt es seit 2013. Wie beurteilen Sie die Nachhaltigkeit der Smartphone-Branche heute?
Angela Jorns: Smartphones sind unabdinglich und für uns als Gesellschaft zu einem ständigen Begleiter geworden. Deswegen ist es für uns auch so wichtig, dass diese Begleiter so lange wie möglich funktionieren. Ich denke aber, es gibt noch einige Dinge, die falsch laufen in der Smartphone-Industrie. Das zentrale Problem ist für mich das Wegwerf-Business-Modell. 

Was meinen Sie damit? 
Wenn Smartphones kaputtgehen, schmeißt man sie weg und kauft neue, die neu produziert werden. Das hat großen Einfluss auf die Umwelt, zum Beispiel auf die CO2-Emissionen, den Wasser- und Rohstoffverbrauch. Wenn die Industrie ständig das Neueste verkauft, dann kreiert das Probleme, die wir als Fairphone angehen wollen.

Wieso stehen Sie mit Ihrem Ansatz hinsichtlich Nachhaltigkeit so alleine da? 
Seit der Gründung von Fairphone hat sich schon einiges verändert. Fairphone ist als Kampagne gegen Konfliktmaterialien gestartet. Die Gründer wollten dann beweisen, dass man das Smartphone-Business besser machen kann und so wurde das Unternehmen gegründet. Inzwischen arbeiten auch andere Unternehmen mit nachhaltigeren Materialien. Da sehe ich schon eine Entwicklung. 

Was verhindert Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit?
Das Grundproblem, dieses Wegwerf-Business-Modell, ist immer noch da. Die Langlebigkeit der Geräte ist der Schlüssel, um viele Rohstoffe einsparen zu können. Sehr viel hängt auch damit zusammen, dass es wichtig ist, ehrlich zu sein. Wir haben immer gesagt: Wir sind nicht perfekt. Wir haben aber eine Mission und verbessern uns über die Zeit. Für viele Unternehmen ist diese Transparenz schwierig, weil sie glauben, dass die Gesellschaft erwartet, dass sofort alles perfekt sein muss. Das geht aber eigentlich gar nicht.

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Elektroschrott ist eines der größten Probleme der Industrie. Wie verhindern sie dieses Problem?
Für uns fängt das damit an, Produkte so zu bauen, dass sie möglichst lange halten und damit nicht so schnell zu Elektroschrott werden. Wenn wir ein Produkt verkaufen, nehmen wir dieses auch wieder zurück und schauen, dass sie wiederverwendet oder verantwortungsvoll recycelt werden. Wichtig ist auch, dass die Produkte ganz einfach repariert werden können. Zum Beispiel, dass man die Batterie ersetzen kann, wenn sie schwächer geworden ist. Ältere Produkte refurbishen wir oder wir schauen, dass Teile des Smartphones in anderen Produkten weiterverwendet werden können. 

Was meinen Sie damit konkret? 
Ein Beispiel dafür ist, dass wir mit der Deutschen Telekom und anderen Partnern einen Prozessor des Fairphone 2, also einem wirklich alten Smartphone, in einen Router eingebaut haben. Es geht also auch darum, Rohstoffe in anderen Produkten weiterzuverwenden. 

Viel Elektroschrott landet in anderen Ländern. Was tun Sie dagegen? 
Da haben wir ein Programm, das E-Waste aus Ghana zurücknimmt und recycelt. Ghana ist eines der Länder, in denen der meiste Elektroschrott aus Europa landet und zwar auf unkontrollierten Abfallbergen. Dadurch entstehen große Umweltprobleme und die Menschen, die die alten Geräte sammeln und auseinandernehmen, sind Gesundheitsschäden und Chemikalien ausgesetzt.

Wie stellen Sie faire Bedingungen beim Rohstoffabbau sicher?
Fairphone achtet bei der Rohstoffherstellung und beim Abbau darauf, dass Arbeiterinnen und Arbeiter vor Gesundheitsrisiken und Gefahren geschützt werden und dass sie einen anständigen Lohn bekommen. Die Bevölkerung soll davon leben können, während auch die Umwelt geschont werden soll. Für den Rohstoffabbau gibt es verschiedene Standards. Der wichtigste ist IRMA (Initiative for Responsible Mining Assurance). Das ist eine Initiative, bei der die Zivilgesellschaft, NGOs, die Bergbaufirmen und Investoren oder Unternehmen wie Fairphone zusammenkommen und bestimmen, was verantwortungsvoller Rohstoffabbau bedeutet. Wir arbeiten eng mit Minen zusammen, die sich der IRMA-Prüfung unterzogen haben. 

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Und da kann man sich darauf verlassen, dass der Abbau nachhaltig ist? 
Wichtig ist, dass wir bei Fairphone den Ansatz von Continuous Improvement, also stetiger Verbesserung, verfolgen. Das heißt, dass wir nicht einfach sagen, ihr müsst diesen Standard erreichen, sonst schließen wir euch aus. Denn damit ist auch nichts verbessert worden. Wir arbeiten mit ihnen, wenn sie die Bereitschaft zeigen, sich zu verbessern. Wir investieren dann aktiv, um ihnen zu helfen, diese Standards zu erreichen. Gerade bei den Partnerschaften im Bereich Kobalt und Gold sind wir fast jedes Jahr vor Ort. Wir schauen uns diese Minen vor Ort an und reden mit den Partnern, den Minenarbeitern, aber auch mit Regierungsvertretern, damit wir ein umfassendes Bild bekommen. 

Wie viel investieren Sie in solche Projekte?
Das ist unterschiedlich. Bei der Fair Cobalt Alliance ist das ein Mitgliedsbeitrag, der jedes Jahr anfällt. Zusätzlich berechnen wir, wie viel Kobalt wir pro Jahr benutzen und kaufen sogenannte Kobaltkredite. Das stellt sicher, dass diese Menge an Kobalt unter besseren Bedingungen hergestellt wird. Dieser Betrag geht direkt an die Mine und wird genutzt, um die Arbeit in der Mine zu verbessern. 

Arbeiter verlassen eine Kobalt-Mine in der DR Kongo

Arbeiter verlassen eine Kobalt-Mine in der DR Kongo

Sie achten also auf sogenannte Fair Mining Practices. Was kann man sich darunter konkret vorstellen?
Minenarbeit ist eine sehr gefährliche Arbeit. Wir wollen sicherstellen, dass sich die Arbeitsrisiken verringern und die Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen verbessert wird. Der erste Punkt ist zu schauen, dass es Schutzvorkehrungen gibt. Zum Beispiel Stiefel, wenn man in dreckigem Wasser steht oder Helme, wenn sie in Tunneln arbeiten, oder dafür zu sorgen, dass genug Sauerstoff in die Tunnel kommt. Dann möchten wir sicherstellen, dass die Arbeit gut entlohnt wird. Denn wir wissen auch, dass es zu Kinderarbeit kommt, wenn Eltern nicht genug verdienen. Die Kobaltkredite, die wir kaufen, liegen beispielsweise 10 Prozent über dem normalen Kobaltpreis. Dieser Bonus wird dann für Verbesserungen verwendet. 

Wer bestimmt, was mit dem Geld passiert? 
Der Ansatz dabei ist, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst bestimmen, was für sie gerade am wichtigsten ist. Die Frauen in einer Mine haben zum Beispiel gesagt, dass sie einen Ort brauchen, wo sie sich geschützt umziehen können. Und da haben wir mit den Partnern ein System entwickelt, bei dem verschiedene Gruppen mit ihren Vorschlägen kommen und abgestimmt wird.  Das machen wir zum Beispiel auch bei Gold oder Silber. Das ist aber schwieriger zu beeinflussen, weil die Minen weit weg sind und viele Verarbeitungsschritte zwischen dem Rohstoff und dem fertigen Smartphone liegen. Bei den Manufakturen haben wir einen direkteren Ansatz, weil wir näher dran sind. Hier zahlen wir Living-Wage-Bonuses. Das heißt, wir schauen uns an, wie viel die Leute verdienen und wie viel sie verdienen sollten. Diese Differenz bezahlen wir dann. Das machen wir mit mehreren Zulieferfirmen. 

Fairphones Ziel ist, 100 Prozent recycelte oder fair gewonnene Materialien zu verwenden. Ist das überhaupt realistisch? 
Im Moment ist es nicht realistisch. Ein Telefon besteht aus über 60 Materialien und die kommen wirklich von überall auf der Welt. Wir sagen auch immer, es gibt derzeit kein 100-prozentig faires Telefon. Auch Fairphones sind es nicht. Wir fokussieren uns auf die 23 Materialien mit den größten Auswirkungen auf Mensch und Umwelt und verbessern unsere eigenen Lieferketten. Um 100 Prozent zu erreichen, müssten eigentlich alle Minen, Raffinerien, Manufakturen, Elektronik-Zulieferer und Fertigungsstätten weltweit verantwortungsvoll arbeiten. Das ist zwar unser Ziel, unsere Mission und Motivation, aber wir können das nicht allein schaffen. Dafür braucht es Zusammenarbeit, Zeit und dass alle mitziehen. Schritt für Schritt. 

Langlebigkeit ist eine weitere Strategie, um Elektroschrott zu vermeiden. Das Fairphone 5 soll ja beispielsweise mindestens 5 Jahre nutzbar sein. Wie gewährleisten Sie das? 
Langlebigkeit hat für uns verschiedene Aspekte. Wir geben unseren Kundinnen 5 Jahre Garantie und wir unterstützen Softwareupdates für mindestens 8 Jahre. Die Kunden können also sicher sein, dass wir uns um die Telefone kümmern und dass sie auch die neuesten Sicherheitsupdates haben. Wir erleichtern auch den Austausch von Modulen oder Komponenten und die Reparatur. 

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Sehen Sie Nachhaltigkeit und die ständige technologische Entwicklung als Spannungsfeld? 
Für uns ist das eher eine Chance, weil neue Technologien auch förderlich für Nachhaltigkeit sind. Zum Beispiel, wenn neue Displays hergestellt werden, die weniger Energie brauchen. Oder wenn Herstellungsprozesse so angepasst werden, dass weniger Chemikalien genutzt werden. Ich sehe diesen Fortschritt auch als Möglichkeit für Nachhaltigkeit. Das Spannungsfeld besteht eher in diesem Wegwerf-Business-Modell. Da wird den Kundinnen und Kunden immer die neueste Technologie versprochen und man wird motiviert, immer ein neues Telefon zu kaufen. Doch eigentlich ist die Innovation bei den Smartphones inzwischen nicht mehr so riesig. Es wird nicht mit jedem neuen Modell ein neuer technologischer Durchbruch erreicht. Und deswegen setzt Fairphone wirklich auf Langlebigkeit bei Smartphones. Wir finden, das ist die wahre Innovation.

Was würden Sie sich von der Smartphone-Industrie wünschen? 
Ich wünsche mir, dass die Tech-Industrie mehr Verantwortung übernimmt. Der Fokus liegt derzeit noch zu oft darauf, sich von Problemen zu distanzieren. Dabei hat diese Branche einige Menschen sehr reich gemacht. Es wäre aber ebenso möglich, auch denen, die in Fabriken und Minen arbeiten, ein besseres Leben zu ermöglichen.

Wo sehen Sie die Rolle der Konsumenten? 
Ich glaube, die Rolle der Konsumenten ist größer, als man oft denkt. Sie können durch ihre Konsumentscheidungen ein starkes Signal an die Industrie senden. Und das spürt die Branche auch. Gleichzeitig ist es für Konsumentinnen und Konsumenten nicht leicht: Nachhaltigkeit ist ein Trendthema, jeder spricht darüber, aber es ist schwer zu durchblicken, was wirklich nachhaltig ist und was nur so wirkt. Deshalb ist es wichtig, sich so gut wie möglich zu informieren und bewusst zu entscheiden. Jeder ist frei in seinen Entscheidungen, aber es lohnt sich zu überlegen: Was ist mir wichtig? Was bedeutet das für meine Familie, für kommende Generationen, für meinen Blick auf die Welt?

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Sandra Czadul

Begeistert von Wissenschaft und stets auf der Suche nach Ideen, die uns voranbringen.

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