iPhone SE im Test
iPhone SE im Test
© Thomas Prenner

Apple

iPhone SE im Test: Operation gelungen, Arzt tot

Lange Zeit hat Apple an der selbstauferlegten Doktrin festgehalten und entgegen des allgemeinen Android-Trends auf kleinere Displays beim iPhone gesetzt. Mit den größeren iPhone 6 und 6s, die Apple letztlich Rekordverkäufe bescherten, lenkte Apple schließlich ein – ohne allerdings ältere 4-Zoll-Modelle aus dem Portfolio zu nehmen. Mit dem nun vorgestellten iPhone SE unterstreicht Apple, dass man die kleine Display-Kategorie auch auf längere Sicht nicht aufgeben will.

Riskante Strategie

Die Entscheidung, das iPhone SE in die gleiche Hülle des fast drei Jahre alten iPhone 5s zu stecken (fast vier Jahre, wenn man das iPhone 5 mitzählt), ist verkaufstechnisch riskant. Bis auf den minimal anderen Kantenschliff und das leicht andersfärbige Logo ist alles beim Alten geblieben. Jetzt kann man darüber diskutieren, wie sinnvoll es ist, dass alle Hersteller praktisch jedes Jahr Geräte mit neuen Designs herausbringen und so tun, wie wenn sie die Welt gerade neu erfunden hätten.

Dass Apple sich aber nicht die geringste Mühe macht, die 4-Zoll-Kategorie vom Gerätedesign her neu zu definieren, finde ich enttäuschend. User, die bereits ein iPhone 5 oder 5s besitzen und bei dem kleineren Formfaktor bleiben wollen, bleibt damit nichts anderes übrig, als ihr Geld in ein Modelldesign zu stecken, das in der schnelllebigen Tech-Welt schon Jahre auf dem Buckel hat. Das konterkariert Apples Bekenntnis zu kleineren Displays und ist schade, da das iPhone SE im Inneren mit leistungsstarken Komponenten ausgestattet ist, die alles andere als alt sind.

Hochwertige Komponenten

Apple hat viele damit überrascht, einige Kern-Komponenten des iPhone 6s in das weitaus günstigere iPhone SE zu verbauen. So werkt im Inneren der leistungsstarke A9-Chip. Und auch bei der Kamera setzt Apple auf die zuletzt verbaute 12-Megapixel-Variante mit 4K-Video-Aufnahmemöglichkeit abzüglich der beim 6s-Plus-Modell verbauten Bildstabilisatoren. Abstriche muss man bei der Frontkamera machen, die nur mit 1,2 Megapixel (statt 5 Megapixel beim iPhone 6s) ausgestattet ist, und beim Display. Dieses weist einen geringeren Kontrast als die neueren iPhone-Modelle auf und kommt auch ohne die neuartige 3D-Touch-Bedienung.

Mit einem simplen Trick werden einige Gigabyte an Speicher frei
Auch auf den Fingerabdruck-Sensor der zweiten Generation hat Apple verzichtet. Der seit dem iPhone 5s eingesetzte ursprüngliche Sensor funktioniert aber ohnehin tadellos. Ein echter Gewinn ist hingegen die längere Akku-Laufzeit, die beim Surfen, aber auch im täglichen Gebrauch sogar mit den großen Plus-Geräten mithalten kann. Im Vergleich zum iPhone 5s kann man die Nutzungsdauer mit dem iPhone SE im Schnitt um einige Stunden am Tag verlängern.

Kamera und Prozessoren

Die aktualisierte Kamera ist neben der Akkuleistung sicherlich das überzeugendste Argument, um vom iPhone 5s upzugraden. Schon die im 5s verbaute Kamera machte bei guten Lichtverhältnissen überzeugende Fotos. Im direkten Vergleich überzeugen die Fotos des iPhone SE mit mehr Detailtreue und besserem Kontrast. Vor allem bei diffusen oder schwierigen Lichtverhältnissen sind die Unterschiede deutlich sichtbar. Dazu kommen die bessere Zeitlupen-Funktion und die Möglichkeit in 4K-Auflösung zu filmen.

Die leistungsstärkeren Prozessoren im Inneren machen sich insofern bemerkbar, als das Gerät bei der Verarbeitung von Videos und anderen aufwändigen Prozessen nicht mehr so heiß wird wie beim iPhone 5s. Noch mehr als von den Prozessoren dürfte das SE allerdings vom verdoppelten Arbeitsspeicher profitieren, von dem nun zwei Gigabyte verbaut wurden. Das Entsperren über den Fingerabdrucksensor ist doppelt so schnell, auch das Starten von Apps läuft spürbar flüssiger ab. Je nach App spart man sich so eine bis vier Sekunden. Ob das ein Upgrade vom iPhone 5s rechtfertigt, ist allerdings fraglich.

Mickriger Speicher

Kommen wir nun zu dem Punkt, der durch nichts schönzureden oder zu rechtfertigen ist: Apple und der mickrige Speicher. Wie bei allen anderen Modellen wird auch das iPhone SE in der kleinsten Ausstattung wieder nur mit 16 Gigabyte Speicher angeboten. Betriebssystem und anderen unlöschbaren Krempel abgezogen bleiben damit exakt 11,87 Gigabyte für Apps, Musik, Bilder und HD-Videos. Angesichts dessen, dass sich der Speicher nicht durch Micro-SD-Karten oder ähnliches aufrüsten lässt, ist diese Ausstattung bei einem Premium-Produkt im Jahr 2016 einfach nur mehr lächerlich. (Und nein, Filme ausleihen, um App-Speicher freizuschaufeln, ist keine Option)

Der Umstand, dass 12 Gigabyte verfügbarer Speicher selbst für Smartphone-Einsteiger keine wirkliche Zukunftsperspektive sind, relativiert auch den vermarkteten, „günstigen“ Verkaufspreis von 479 Euro. Denn für das 64-Gigabyte-Modell verlangt Apple stolze 100 Euro Aufpreis – es kostet im freien Verkauf 579 Euro. Diese Preispolitik ist nichts Neues, Apple zelebriert absurde Speicher-Aufschläge seit Jahren auch bei Macs und iPads. Angesichts des Preisverfalls im Speicherbereich wirkt die Knausrigkeit Apples diesbezüglich aber besonders unsympathisch.

Vergleichsweise günstig

Da Apple absurderweise auch bei den Top-Modellen mit 16 Gigabyte startet, lassen sich die Preise direkt vergleichen. Für Sparefrohs, die ins Apple-Universum einsteigen oder in diesem bleiben wollen, ist das iPhone SE nicht zuletzt durch das moderne Innenleben eine attraktive Option. Denn im Vergleich zum aktuellen iPhone 6s (739 Euro, 16 GB) und iPhone 6s Plus (849 Euro, 16 GB) ist das kleinere iPhone-SE-Modell (479 Euro, 16 GB) um mehrere Hundert Euro billiger.

iPhone SE im Test
Die Frage bleibt, welche Käufer Apple mit dem iPhone SE erreichen will und für wen sich der Kauf überhaupt lohnt. User mit älteren Modellen (bis iPhone 5), die bei der Displaygröße bleiben wollen, können bedenkenlos zugreifen, sollten aber die 64-Gigabyte-Version wählen. Für iPhone-5s-User würde ich keine unbedingte Kaufempfehlung aussprechen. Diese könnten sich eventuell überlegen, ihr bestehendes Modell um ein paar Hundert Euro zu verkaufen und somit einigermaßen günstig auf das iPhone SE upzugraden. Dass User mit neueren Geräten auf das kleinere SE umsteigen, halte ich für wenig wahrscheinlich.

Attraktives Konzept?

Unterschiedliche Berichte, wonach sich das iPhone SE hervorragend verkauft bzw. die Nachfrage komplett ausbleibt, lassen noch keinen Schluss zu, ob Apples Strategie des geringstmöglichen Aufwands aufgeht. Auch wenn das zu einem SE umfunktionierte 5s auch 2016 noch ein hochwertiges und schönes Gerät ist, läuft Apple mit der eingeschlagenen Strategie Gefahr, totalen Stillstand zu signalisieren. Was ist aus Apples spielerischer Kreativität geworden? Wann war die letzte zündende Idee, die nicht nur grundsolide umgesetzt wurde, sondern wirklich begeisterte? Operation gelungen, Arzt tot, könnte man böse formuliert auch als Fazit zum iPhone SE sagen.

Eine weitere Falle für Apple lauert im zunehmend aufgeblasenen Portfolio, was sich auch in der iPad-Modellreihe mit Mini, großem und kleinem Pro und Air 2 zeigt. Mit dem SE, 6, 6 Plus, 6s, 6s Plus und den verschiedenen Speichervarianten hat Apple 12 Modellvarianten im Angebot, die zudem widersprüchliche Signale an Kunden senden.

Das hochwertige kleine iPhone SE ist günstiger als das ältere iPhone 6/6 Plus, obwohl es bessere Komponenten verbaut hat. Ist es als günstiges Einsteiger-iPhone konzipiert oder als hochwertiges 4-Zoll-Gerät für Highend-User? Die Positionierung des SE bleibt unklar. Auch der Umstand, dass hochwertige Highend-Geräte wie das gerade vorgestellte Huawei P9 (549 Euro, 32 GB) um den gleichen Preis wie das günstigste iPhone zu bekommen sind, stimmt nachdenklich.

Disclaimer: Das Test-Gerät wurde der futurezone leihweise von A1 zur Verfügung gestellt

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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